Vor dem Fall der Sowjetunion waren Theater in Moskau stets ausverkauft. Es herrschte strikte Zensur. Auf den Bühnen jedoch wurden der Kreml und die Kommunisten gewitzt kritisiert, ohne diese beim Namen zu nennen. Nach dem Fall der Sowjetunion, als alles offen gesagt werden durfte, brachen Theaterbesuche ein. Es fehlten der Witz und Biss von damals. Theater war plötzlich langweiliger.
Die Aktion von einem russischen Duma-Abgeordneten erinnert jetzt an diese Sowjetzeiten. Der fast zweistündigen Rede von Kriegspräsident Wladimir Putin (70) am Dienstag lauschte der Abgeordnete mit Pasta über den Ohren. Eine eindeutige Geste in Russland.
Michail Abdalkin, Vizechef der Regionalduma von Samara, hat sich kurzerhand Spaghetti auf die Ohren gehängt, wie er Putin vor dem Bildschirm gebannt zuhört und seinem Präsidenten andauernd anerkennend zunickt. Neben einem Foto auf Telegram postet Abdalkin auch Worte des Lobes, dass er noch nie eine so packende Rede gehört habe. Auch auf Youtube äussert er seine «Begeisterung». Dabei zeigt er in Wahrheit eine Haltung voller Zynismus und Zorn auf Putin, ohne dass er diesen direkt kritisiert.
Bezichtigt Putin der Lügen
Jemandem Nudeln auf die Ohren zu hängen, das ist eine russische Redensart, die bedeutet, jemanden zu belügen. Und mit Nudeln über den Ohren postet Abdalkin den Text. Auf Ersuchen, sprich: Drängen seiner Duma «habe ich mir die zweistündige Rede des Präsidenten angehört. Ich stimme ihr voll und ganz zu, es war eine ausgezeichnete Rede. So etwas habe ich in den letzten 23 Jahren nicht gehört. Ich war angenehm überrascht.»
Alle in Russland verstehen sofort, was Abdalkin tatsächlich über Putin denkt. Konkret: Wohl auch Abdalkin fand unter anderem absurd, dass Putin von Plänen des Westens sprach, Russland anzugreifen.
In den sozialen Medien wird der Abgeordnete aus Samara an der Wolga auch wie ein Held gefeiert. Hohe Politiker indes fordern seine Bestrafung. Es scheine, dass sein Duma-Kollege «unterschiedliche Ansichten zu Putins Rede» gehabt habe, so der Duma-Abgeordnete Alexander Chinschtein, (48), ebenfalls aus Samara. Er hoffe, schreibt Chinschtein auf Telegram, sein «Parteifreund wird in die Schranken gewiesen».