Heute überschreitet die Weltbevölkerung diese Grenze
Die fünf wichtigsten Fragen zur 8-Milliarden-Gesellschaft

Seit heute, 15. November 2022, sind wir 8 Milliarden Menschen auf der Erde. Geht das Wachstum nun immer so weiter?
Publiziert: 15.11.2022 um 09:11 Uhr
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Es wird eng auf der Welt – noch diesen Monat werden wir 8 Milliarden Menschen auf unserem Planeten sein.
Foto: REUTERS
Silvia Tschui

Die Uno hat berechnet: Am 15. November knackt die Weltbevölkerung die acht-Milliarden-Marke. Was das für uns und den Planeten und die Menschheit bedeutet, erklären wir anhand fünf dringlicher Fragen zur Bevölkerungsexplosion.

8 Milliarden Menschen! Nimmt die Bevölkerung jetzt einfach immer weiter zu?

Nein. Eine gross angelegte Studie, die 2020 im Fachmagazin «The Lancet» publiziert wurde, geht davon aus, dass die Weltbevölkerung nur noch ca. bis ins Jahr 2064 auf 8,8 Milliarden Menschen ansteigt. Danach soll die gesamte Menschheit wieder schrumpfen. 183 von 195 Länder werden dann eine so tiefe Geburtenrate haben, dass nur noch Einwanderung die Bevölkerungszahl aufrechterhalten kann. Damit unterscheidet sich die Studie deutlich von den Prognosen der Vereinten Nationen: Die gingen kurz vorher noch von einem Bevölkerungsanstieg auf rund 11 Milliarden Menschen im Jahr 2100 aus.

Der Leiter der Studie, Professor Christopher Murray (60) von der Washington-Universität in Seattle, weiss, weshalb die Weltbevölkerung bereits in rund 40 Jahren wieder schrumpfen wird: «Wenn Frauen mehr Zugang zu Bildung und Verhütungsmitteln bekommen, entscheiden sie sich im Durchschnitt für weniger als 1,5 Kinder.»

Wo wächst die Bevölkerung am schnellsten und wo schrumpft sie?

Für eine gleich bleibende Bevölkerungsanzahl wäre eine Geburtenrate von durchschnittlich 2,1 Kindern pro Frau nötig – liegt die Rate höher, wächst die Bevölkerung, darunter schrumpft sie. Weltweit liegt die Fertilitätsrate, also die Anzahl Geburten pro Frau, aktuell bei 2,3 Prozent.

In rund 101 Ländern liegt sie unter dieser Zahl, in sieben, unter anderem Kosovo und Monaco, ziemlich genau bei 2,1 Prozent. Damit ist in mehr als der Hälfte aller Länder auf der Welt die Geburtenrate gleich bleibend oder rückläufig. Die Schweiz liegt übrigens mit einer Geburtenrate von 1,46 Kindern pro Frau im unteren Drittel – und wächst nur wegen der Zuwanderung.

Generell schrumpft die Bevölkerung in westlich geprägten Ländern, also in Nordamerika, Europa, Australien und Neuseeland. Aber auch in diversen asiatischen Ländern ist die Geburtenrate nicht mehr, was sie einst war: Japan leidet bereits darunter, dass die Gesellschaft stark überaltert ist, China hat seine Fertilitätsraten auch mit der Abkehr von der Ein-Kind-Politik kaum wieder anheben können. Auch im bevölkerungsreichen Indien liegt die Rate nach unterschiedlichen Quellen aktuell zwischen 2,0 und 2,18 Kindern pro Frau – Tendenz sinkend.

Weiter wachsen werden der Prognose zufolge hingegen fast alle Länder in Afrika südlich der Sahara.

Ist es gut oder schlecht für unsere Gesellschaft, wenn es mehr Menschen gibt?

Wissenschaftler sind sich uneinig über diese Frage. Die Gesellschaftsverträge vieler Kulturen sind darauf angelegt, dass junge Menschen mit ihrer Arbeitskraft die älteren Menschen unterstützen. Bei uns geschieht dies durch unser Rentensystem, in anderen Kulturen kümmern sich die Nachkommen direkt um ihre Eltern und Grosseltern. Viele junge Menschen in einer Gesellschaft sorgen also dafür, dass es auch den Alten gut geht.

Sinkt hingegen die Geburtenrate, so funktioniert dieser Generationenvertrag nicht mehr: Die Rentenkassen haben zu wenig Geld, um die Renten zu finanzieren, oder es gibt schlicht keine Nachkommen, die sich um ihre Eltern kümmern könnten. Diverse Wirtschaftswissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass es für eine starke Wirtschaft auch ein gesundes Bevölkerungswachstum braucht. Andere bemängeln dieses System und weisen darauf hin, dass unser Planet nicht noch mehr Menschen mit ihrem Ressourcenverbrauch erträgt. Zusammengefasst kann man vielleicht sagen: Kurzfristig ist ein gesundes Bevölkerungswachstum in unserem westlichen Wirtschaftssystem gut, langfristig global gesehen schädlich.

Wie beeinflusst die Anzahl der Menschen den Klimawandel?

Für Professor Hermann Lotze-Campen (56) vom Potsdam-Institut für Klimaforschung ist das Bevölkerungswachstum eine der wichtigsten Grössen, die auf den Klimawandel Einfluss nimmt. Aber: Die meisten CO₂-Emissionen fänden auf absehbare Zeit weiterhin in den reichen Ländern statt. Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum, zum Beispiel Afrika, würden hingegen momentan wenig zu den gesamten Emissionen beitragen. Der ausgebildete Landwirt, Agrarwissenschaftler und Spezialist für nachhaltige Landnutzung sieht denn in unserem Lebensmittelkonsum einen guten Ansatz, CO₂-Emissionen zu reduzieren: Indem wir viel weniger Milch und Fleisch produzieren und konsumieren.

Wie ernähren wir alle diese Menschen?

2021 litten gemäss dem jährlichen Uno-Report zum Welthunger 828 Millionen Menschen an Hunger – 150 Millionen mehr als vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Das sind knapp 10 Prozent der Weltbevölkerung. Fast 3,1 Milliarden, also fast 40 Prozent der Weltbevölkerung, leiden zudem unter Mangelernährung, kann sich also eine ausgewogene, gesunde Ernährung nicht leisten. Die Zukunftsszenarien sind düster: Bereits vor dem Ukraine-Krieg hat die Klimakatastrophe wegen Dürren und Überschwemmungen die Ernten dezimiert. So sind sowohl im Korngürtel der USA wie auch in Westchina und in weiten Teilen Europas diesen Sommer dürrebedingt Ernten ausgefallen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die normalerweise Korn in die ganze Welt exportiert, verschärft diese Lage. Der Uno-Report appelliert deshalb an die Regierungen, Handelsbeschränkungen wie Zölle für Nahrungsmittel zu lockern.

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