Der Mann mit der Flex war wieder da. Oder, was wahrscheinlicher ist, die Männer. Oder auch Frauen vielleicht. So genau weiss das niemand. Jedenfalls hat Italien, Europas Radarfallen-Land Nummer eins, jetzt wieder einige Blitzer weniger: An den Strassen der norditalienischen Kleinstadt Buccinasco wurden soeben in einer einzigen Nacht vier orangefarbene Kästen mit Kameras zu Boden gebracht. Was eigentlich nur eine kleine Meldung für die Lokalzeitung wäre, hat inzwischen nationale Dimension: Italien sucht den «Fleximan» – so genannt nach seinem wichtigsten Werkzeug.
Begonnen hatte die Angelegenheit bereits vergangenes Jahr. Nahe der Stadt Rovigo, ebenfalls im Norden, wurde der erste Blitzermast mithilfe eines Trennschleifers abgesägt. Im Handwerker-Deutsch und -Italienisch: mit einer Flex. Seitdem gab es Dutzende solche Fälle von krimineller Sachbeschädigung. Manchmal fand die Polizei kurze Bekennerschreiben wie «Fleximan sta arrivando» («Fleximann ist im Kommen»). Inzwischen reicht die Spur der Zerstörung von Südtirol bis Kalabrien, sodass klar ist: «Fleximan» ist mehr als einer. Inzwischen sind ein halbes Dutzend Staatsanwaltschaften damit beschäftigt.
Radarfallen sorgen für hohe Einnahmen
Viele Autofahrer verfolgen die Sache mit einer gewissen Grundsympathie. Das Gefühl, von Behörden gegängelt und ausgenommen zu werden, ist auch in Italien verbreitet. Nirgendwo in Europa gibt es so viele Radarfallen wie hier: mehr als 11'000. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 4700. Ausserorts gilt in der Regel Tempo 90, auf Schnellstrassen 110, auf Autobahnen 130. Kontrolliert wird verhältnismässig streng. Auch viele deutsche Urlauber kennen das, weil sie Post von der italienischen Polizei bekommen haben. Trotzdem ist die Zahl der Verkehrstoten höher als anderswo. 2022 waren es annähernd 3200.
Unbestritten ist, dass manche Gemeinden mit den «Autovelox», wie Radarfallen auf Italienisch heissen, gutes Geld verdienen. Die Verbraucherschutzorganisation Codacons hat auf der Grundlage von Zahlen aus dem Innenministerium ermittelt, dass die 20 grössten Städte des Landes 2022 damit mehr als 75 Millionen Euro einnahmen. Allein die Touristenmetropole Florenz verbuchte mehr als 23 Millionen. Für das Städtchen Cavallino an der Staatsstrasse 16, tief im Süden, lohnte sich die Anschaffung einer Kamera ebenfalls: Die Einnahmen stiegen binnen eines Jahres von null auf nahezu drei Millionen.
Kein Wunder also, dass Fleximan von manchen als «Robin Hood der Autofahrer» bejubelt wird. Inzwischen gibt es sogar Graffitis: eine Figur wie aus dem Quentin-Tarantino-Film «Kill Bill» mit Schwert in der einen Hand und zerschnittener Radarkamera in der anderen. Allerdings gibt es auch gegenteilige Stimmen – wie die Journalistin Paola di Caro von der renommierten Zeitung «Corriere della Sera», deren 18-jähriger Sohn zu Tode gefahren wurde. Sie schrieb: «Ich möchte nur, dass «Fleximan» einen einzigen Tag fühlt, was ich fühle, wenn ich Blumen an der Stelle niederlege, wo mein Sohn getötet wurde.»
«Fleximan» droht bis zu drei Jahren Haft
Auch viele Experten empören sich über den Applaus für kriminelle Taten. Der Stadtplaner Matto Dondé sagte der Tageszeitung «La Repubblica»: «Überall, wo Blitzer eingesetzt werden, ist die Zahl der Toten und der Verletzten viel niedriger. Das ist die einzige sichere Tatsache. Alles andere ist Meinung.»
Polizei und Staatsanwaltschaften sehen das ähnlich. Trotzdem gab es bei der Fahndung noch keinen Durchbruch: Auf Bildern von Überwachungskameras sind meist nur schwarz vermummte Gestalten bei Nacht zu sehen. Bei einer Festnahme drohen hohe Geldstrafen und bis zu drei Jahre Haft.
Inzwischen hat sich die Sache auch zu einem Politikum entwickelt. Insbesondere der rechtspopulistische Verkehrsminister Matteo Salvini profiliert sich als Fürsprecher vermeintlich ausgebeuteter Autofahrer. Für nächsten Monat kündigte der Vorsitzende der kleineren Regierungspartei Lega einen Erlass an, um die Zahl der Radarfallen zu beschränken. «Wenn sie über Nacht auf zweispurigen Strassen aufgestellt werden, um Geld zu verdienen, ist das einfach eine weitere Steuer.»
Salvini machte deutlich, dass er von Tempo 50 auf grossen Strassen grundsätzlich wenig hält. Die «Repubblica» erhob ihn deshalb spöttisch zu einer Art «Fleximan» der italienischen Politik. Der «Fleximan» hat aber auch auf andere Art und Weise Nachahmer gefunden. In Brescia, ebenfalls im Norden, hat ein Unbekannter jetzt damit begonnen, in verkehrsberuhigten Zonen eigenhändig Schwellenpoller (auf Italienisch: dosso) von den Strassen zu entfernen. Er bekam sogleich einen Namen verpasst: Dossoman. (SDA)