Auf einen Blick
- Verheerende Brände wüten in Los Angeles, Bürgermeisterin in der Kritik
- Obdachlosigkeit könnte durch Brandschäden zunehmen, Versicherungsprobleme verschärfen die Lage
- Fast 90 eigenständige Gemeinden in der Greater Los Angeles Area erschweren Koordination
In jeder Bar, jedem Restaurant, jedem Café in der «Greater Los Angeles Area» gibt es derzeit nur ein Thema: die verheerenden Brände, die seit bald einer Woche in der Region wüten. Noch immer sind die beiden grössten – das «Eaton-Feuer» und das «Palisades-Feuer» – nicht eingedämmt. Noch immer leiden die Menschen unter einer schlechten Luftqualität, viele putzen auch heute wieder die Asche aus ihren Häusern. In einigen betroffenen Gebieten wird sogar vor dem Konsum und Gebrauch von Leitungswasser gewarnt.
Wie geht es in Los Angeles weiter, nachdem die Brände besiegt sein werden? Wer hat hier versagt? Diese Fragen treiben die «Angelenos», die Bewohnerinnen und Bewohner von L.A., wie kaum etwas anderes um. «Ich weiss einfach, dass die Bürgermeisterin von L.A. County verdammte Kacke ist», sagt die 18-jährige Sonja. Blick trifft sie in der noblen Einkaufsgegend des Rodeo Drive. «Sie hat das Feuerwehrbudget kürzen lassen. Das ist doch verrückt!»
«Black Willy Wonka» hofft auf grossen Zusammenhalt nach der Tragödie
Die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass (71), ist vielen Einwohnern und Einwohnerinnen ein Dorn im Auge geworden. Ihre Entscheide und ihr Auftreten während der Katastrophe werden als stümperhaft erachtet. Im Mai letzten Jahres strich sie der Feuerwehr wichtige 18 Millionen Dollar. Einen Tag vor Ausbruch der Brände flog sie – trotz Warnungen vor heftigen Orkanstürmen – nach Ghana. Sie liess ihre Stadt in einer unsicheren Lage allein. Postet sie jetzt etwas auf Social Media, lassen Rücktrittsforderungen in den Kommentaren nie lange auf sich warten.
Einen versöhnlichen Ton schlägt derweil «Legend Already Made» (33), wie er sich selbst nennt, an. Seinen bürgerlichen Namen kennt niemand – und er verrät ihn auch Blick nicht. Er ist eine Art Kunstfigur, und man kennt ihn auch als «Black Willy Wonka» am Rodeo Drive in Beverly Hills. «Ich bin immer noch geschockt», sagt er über die Feuer, die in Teilen von Los Angeles weiter lodern. «Es ist, als ob man in einem Film ist, von dem man nie gedacht hätte, dass man mal darin mitspielt.» Mit dem Finger auf andere zeigen möchte der Künstler nicht. Stattdessen hofft er auf das Glück im Unglück: «Ich denke, die Feuer bringen viele Leute wieder näher zusammen.» Er sagt aber auch: «Die Leute sind verwirrt, sie sind verletzt. Das öffnet Verschwörungserzählungen Tür und Tor.»
«Wir werden praktisch immer übersehen»
Szenenwechsel: weg von den schicken Strassen mit den schönen Autos und den teuren Läden, hin zu einer der vielen Notfallunterkünfte in Los Angeles. Im Westwood Recreation Center, einer Mehrzweckhalle, wird vom Amerikanischen Roten Kreuz seit einigen Tagen ein sogenannter Shelter betrieben. Hier trifft Blick eine Gruppe von Menschen, die schon vor den Feuern praktisch unsichtbar war: die ärmsten der Gesellschaft. Hannah Blair (33) ist eine davon: «Wir werden von vielen Menschen, inklusive der Medien, praktisch immer übersehen.»
Sie wurde mit ihrem Wohnmobil in der Nähe der fast vollständig zerstörten Ortschaft Pacific Palisades vom Feuer überrascht und musste fliehen. «Ironischerweise werden viele Menschen, die jetzt in den Feuern ihr Haus verloren haben, bald in der gleichen Situation landen, in der ich jetzt bin.» Denn insbesondere beim «Eaton-Feuer» in der Ortschaft Altadena waren die abgebrannten Häuser keine Luxusvillen von Superreichen, sondern gehörten oft ganz normalen Menschen.
Diese haben entweder lange auf ihr Haus gespart oder es geerbt. Bitter: Weil sich viele Leute in den weniger wohlhabenden Gegenden keine Gebäudeversicherung leisten konnten, wird sich erst noch zeigen, wie viele Menschen in die Armut und Obdachlosigkeit rutschen werden.
Fast neunzig Gemeinden machen eine riesige Stadt
Für Bill Davidson ist der verwirrende Föderalismus in L.A. mitschuldig an der Feuertragödie: «Auch die Schweizerinnen und Schweizer denken immer, dass L.A. eine einzige riesengrosse Stadt ist. Aber es sind eigentlich rund neunzig eigenständige Gemeinden, die alle zur Region Greater Los Angeles Area gehören.»
Davidson meint, dass die Gemeinden sehr unterschiedlich mit der Katastrophe umgegangen sind und die Evakuierungen unorganisiert waren. «Man evakuierte zu spät – und die Falschen», sagt er. «Meine Region hätte niemals geräumt werden müssen. Andere dafür schon – und schneller.» Koordinationsschwierigkeiten unter den Gemeinden hätten zum schlechten Feuermanagement beigetragen.
«Jetzt ist nicht die Zeit, politisch zu werden»
Zurück im schillernden Teil von Los Angeles. Auf dem Hollywood Boulevard, mit den Sternen auf dem Trottoir, nahe dem berühmten Schriftzug, dominiert das Thema Feuer auch auf den Strassen. Hier trifft Blick Sahj (18) aus Compton. Der junge Mann möchte die Schuld für die Feuer und die Art, wie auf die Katastrophe reagiert wurde, nicht einer einzelnen Person geben.
Vielmehr hat er eine andere Vermutung: «Ich weiss einfach eines: Es gibt Leute, die gerne Feuer entfachen. Es lag in der Luft.» Er spielt damit auf die Vermutung an, dass für einzelne Feuer Brandstifter verantwortlich sein könnten. Für die Zukunft von L.A. bleibt er aber zuversichtlich: «Wir bringen jetzt die gute Energie und die Positivität zurück.»
Der rollstuhlfahrende Rentner Robert William Colia (79) findet, vieles sei im Vorfeld der Brände falsch gelaufen. Die Einsatzkräfte hätten beispielsweise besser vorbereitet werden müssen. Aber: «Jetzt ist nicht die Zeit, politisch zu werden. Jetzt muss man diese Probleme lösen, dann kann man politisch werden. L.A. ist ein Chaos!»