Auf einen Blick
- Schweizer Regisseur erlebt Feuerkatastrophe in Los Angeles hautnah mit
- Häuser niedergebrannt, geschmolzener Porsche, Trümmer und weinende Bewohner
- Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten könnten Jahrzehnte dauern, viele ziehen wahrscheinlich weg
In Pasadena in Los Angeles ist die Solidarität riesig. «Keine Spenden! Wir sind voll!» steht auf einem grossen Banner im Quartier Sierra Madre. Auf den Strassen stehen immer wieder Leute und bieten vorbeifahrenden Autos Wasser oder Essen an. Hinzu kommt die Nationalgarde, die mit riesigen Armeefahrzeugen ganze Strassenzüge abgesperrt haben. Die Soldaten lassen wegen Plünderungen niemanden hoch in die Hügel. Niemanden ausser Journalisten und Anwohner.
Zu Letzteren gehört Timon Birkhofer. Der 39-jährige Schweizer lebt seit über 10 Jahren in Los Angeles. Als Regisseur dreht er hier erfolgreiche Werbungen und Musikvideos. Er ist Sohn eines Schweizers und einer Schweizerin und wuchs in Deutschland auf. «Ich lebe hier oben, er arbeitet bei der Schweizer Presse», sagt Birkhofer auf dem Beifahrersitz zu einem bewaffneten Soldaten. Wir dürfen hoch – ins Brandgebiet. «Hier passiert selten etwas – und jetzt steht plötzlich das Militär vor der Tür», Birkhofer schüttelt ungläubig den Kopf.
Mit Katze und Schildkröte vor den Flammen geflüchtet
Die Situation ist für Einheimische genauso schwierig zu begreifen, wie für Neuankömmlinge. Was Birkhofer am Dienstagabend erlebte, lässt ihn jetzt noch erschaudern. «Wir sind von einem Event in Hollywood nach Hause gekommen, biegen in unsere Strasse ein und plötzlich steht der Berg hinter unserem Haus in Flammen.» Erst ein bisschen später sei die offizielle Evakuierungsbenachrichtigung gekommen.
Dann sei alles sehr schnell gegangen. «Innerhalb von 30 Minuten waren wir zum Haus raus und haben Katze, Schildkröte und ein paar Kleider mitgenommen. Das wars.» Die Situation sei sehr seltsam gewesen. «Man fragt sich: Was nehme ich eigentlich mit?» Erst später sollte der Regisseur bemerken, welche Zerstörung die Flammen nur einige hundert Meter oberhalb seines Hauses angerichtet haben.
Tränen, Schutt und Asche
In diesem Gebiet kommt Blick mit Birkhofer an. Es bietet sich ein schauriges Bild. Viele Häuser sind bis auf die Grundfesten niedergebrannt, vor einem Haus steht ein «geschmolzener Porsche», wie Birkhofer es nennt. Wir treffen vor den Trümmern eines Hauses auf eine Frau. Sie weint. «Ich habe eben erst meinen Vater verloren und jetzt das», sagt sie unter Tränen. Vor die Kamera treten möchte sie nicht: «Wenn ich das mache, sage ich vielleicht Sachen, die ich später bereue.»
Es ist ein trauriger Ort. Bei einem Grundstück stehen zwei Löwen aus Stein links und rechts des Eingangspfads auf dem gepflegten Rasen Spalier. Sie bewachen vergebens, das Haus hinter ihnen existiert nicht mehr. Nur noch zu einer Schutthalde markieren die Skulpturen den Eingang. Eine junge Frau auf der anderen Seite der Strasse spricht mit uns. Auch ihr Gesicht ist tränenüberströmt.
Sie wollte zum Haus ihrer Grosseltern und schauen, ob es noch steht. «Ich kam die Strasse hoch, sah einige intakte Häuser. Da hatte ich Hoffnung. Doch dann sah ich es.» Das Haus ist zerstört. Kleine Solarlämpchen im Vorgarten haben das Inferno ohne einen Kratzer überlebt. Es wirkt schon fast zynisch. Auch die junge Frau möchte lieber nicht vor die Kamera. «I don't think I have words for this right now» – «Ich glaube nicht, dass ich jetzt gerade Worte finde für das.»
Schwermut in der Sternengreifer-Strasse
Weiter die Strasse hinunter sieht man die Überreste der Weihnachtsdekoration verschiedener Häuser. Gebastelte Sterne und gemalte Engel liegen auf dem Trottoir und inmitten von Trümmern. «Wenn man in diese Strasse zieht, verpflichtet man sich, bei der Dekoration mitzumachen», sagt Birkhofer. Es gebe sogar Gärten, die eine eigene Radiofrequenz mit Musik haben, damit man die Weihnachtsbeleuchtungsshow im Auto mithören kann. Eine herzergreifende Tradition in einer Strasse mit dem passenden Namen «Startouch Drive» – Sternengreifer-Strasse. Eine Tradition, die derart zerstört eine unfassbare Traurigkeit ausstrahlt.
Timon Birkhofer hatte Glück. Sein Haus steht noch, mehr oder weniger unversehrt. Zentimeterdick liegt die Asche jetzt in seinem Haus. Er war die letzten Tage ununterbrochen damit beschäftigt, aufzuräumen, sauberzumachen und seinen Nachbarn zur Hand zu gehen. Was macht diese grösste Feuerkatastrophe Kaliforniens mit den Einwohnerinnen und Einwohnern von L.A.? «Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass weiss jetzt noch niemand. Die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten könnten Jahrzehnte dauern.» Auch kulturell werden sich die Brände richtiggehend eingebrannt haben, ist sich Birkhofer sicher. «Viele Leute haben Angst, weiter in Kalifornien zu leben. Sie werden wegziehen. Los Angeles wird wahrscheinlich nie mehr gleich aussehen.»