Kennen Sie Guan Hu (53)? Wahrscheinlich nicht. Guan Hu ist ein chinesischer Regisseur und Drehbuchautor. Sein neuestes Werk ist ein bombastischer Kriegsfilm über eine epische Schlacht im chinesisch-japanischen Krieg (1937–1945). Titel: «The 800». Kennen Sie wahrscheinlich auch nicht. Sollten Sie aber. Der Streifen spielte 2020 weltweit 461 Millionen Dollar ein und war damit der erfolgreichste Film des Jahres.
Die chinesische Erfolgswelle ging 2021 weiter: Mit «The Battle at Lake Changjin» und «Hi Mom» kamen zwei der drei weltweit erfolgreichsten Filme aus China. Einzig «Spiderman» zog letztes Jahr mehr Besucher vor die Leinwand. Mit 1,16 Milliarden verkauften Tickets stieg China zudem zum Weltmarktführer im Film-Business auf – und überholte die USA.
Was passiert hier?
Ein Land kommt seinem Ziel näher. Das jedenfalls sagt der US-Journalist («The Wall Street Journal») Erich Schwartzel (35), der im Februar das Sachbuch «The Red Carpet» über die chinesische Filmpolitik veröffentlicht hat. Seine These: China will nicht nur ökonomisch und militärisch zur dominierenden Weltmacht werden – sondern die USA auch als kulturelle Supermacht ablösen. Zumindest im Heimmarkt geben chinesische Filme nun den Ton an. Wie der Erfolg von «The 800» zeigt, der vor allem in China Massen in die Säle lockte.
Für den Erfolg hat China seine Filmindustrie auf den Massengeschmack ausgerichtet. «Die chinesischen Filme sind kommerzieller und weniger propagandistisch geworden,» sagt Schwartzel. Zudem bieten sie chinesischen Zuschauern, was Hollywood nicht bieten kann: Identifikation. Schwartzel sagt: «Es sollte nicht überraschen, dass das chinesische Publikum chinesische Filme bevorzugt, denn es sind Geschichten, Schauspieler und Szenen, die sie wiedererkennen.»
Ohne China geht nichts mehr in Hollywood
Während China immer unabhängiger von Hollywood wird, passiert dort das Gegenteil: Zur Finanzierung von teuren Blockbustern ist die US-Filmindustrie immer öfters auf chinesische Investoren angewiesen. Doch das hat seinen Preis. Missfällt eine Besetzung oder ein Dialog, interveniert die Volksrepublik ungeniert bereits während der Drehbuch-Phase eines neuen Films. Hollywood gibt in der Regel nach: «Sich nach Chinas Wünschen zu richten, ist meist das kleinere Übel als eine ausbleibende Finanzierung», sagt Schwartzel.
Jüngstes Beispiel für die Zensur Chinas: der Blockbuster «Top Gun» mit Tom Cruise, wo eine Taiwan-Flagge auf einer Fliegerjacke wegretuschiert werden musste. Doch auch Schauspieler können toxisch werden. Als Beispiel führt Schwartzel den Schauspieler Richard Gere auf. Als bekennender Dalai-Lama-Anhänger stagnierte seine Karriere ab dem Zeitpunkt, als Chinas Filmmarkt an internationaler Bedeutung gewann. Auch inhaltlich hat China klare Vorstellung: Die Volksrepublik soll nicht mit Schwäche assoziiert werden. Aus diesem Grund musste eine James-Bond-Szene, die in Shanghai gedreht wurde, herausgeschnitten werden: Der anonyme Sicherheitsbeamte, der während eines Überfalls erschossen wurde, war Chinese.
Auch Schweizer Filme werden zensiert
Auch die Schweiz bekommt die Zensur Chinas zu spüren. Als Beitrag zum «Monat der Frankofonie» lud die Schweizer Botschaft in Peking Ende März zum Screening des Schweizer Films «Olga» ein. Der Film porträtiert eine ukrainische Turnerin im Jahr 2013, die im bernischen Magglingen im Exil lebt und sich auf die anstehende Europameisterschaft vorbereitet, als in ihrer Heimatstadt Kiew der Euromaidan-Aufstand ausbricht. China intervenierte kurzerhand und sagte die Vorstellung ab. Vermutlich war China der Film vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs zu heikel, mutmasste die «NZZ».
Und trotzdem schielt die Schweizer Filmbranche gierig nach China. Als Vorbild gilt «Heidi». Mit 700'000 Eintritten in China war «Heidi» 2019 mit Abstand der publikumsstärkste Film mit Schweizer Beteiligung. Fast die Hälfte aller internationalen Kinoeintritte eines Schweizer Films wurde in dem Jahr in China generiert. Doch was die Chinesen genau zu sehen bekommen, ist nicht immer klar. Ein Insider aus der Schweizer Filmszene sagt, grundsätzlich wisse man nicht immer, wie der Film in China am Ende gezeigt wird. Was nicht passt, wird weggeschnitten. Nichtsdestotrotz setzte der Branchenverband Swissfilm gemeinsam mit dem Bundesamt für Kultur und Pro Helvetia von 2019 bis 2021 einen Länderschwerpunkt auf China, um Schweizer Filmprogramme dort vermehrt zu fördern.
Chinas Strategie geht auf
Alle wollen Erfolg in China. Der Erfolg chinesischer Filme in Europa hält sich bisher aber noch in Grenzen. «Der Westen ist nicht sehr empfänglich für Filme aus China», sagt Schwartzel. «The 800» hat ausserhalb Chinas gerade einmal eine Million US-Dollar eingespielt. In gewissen Entwicklungsländern wie Kenia stossen die chinesischen Produktionen hingegen zunehmend auf Interesse. Laut Schwartzel ist dies Teil einer Strategie: «China weiss, dass der kulturelle Markt viel Potenzial bietet, um Meinungen zu beeinflussen.»
Gemäss Schwartzel will China seine nationale Unterhaltungsindustrie nutzen, um den politischen Aufstieg des Landes propagandistisch zu begleiten. Chinas kulturelle Machtübernahme folge einem Drehbuch, das bereits vor geraumer Zeit geschrieben wurde. Ziel: «Hollywood soll ausgespielt werden.»