Vor 25 Jahren entsetzten Schlagzeilen aus Belgien die ganze Welt. Ein heute 64-jähriger Mann hatte sechs Mädchen entführt, gefoltert und vergewaltigt. Vier starben, zwei von ihnen an Hunger. Am 13. August 1996 wurde der Täter festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Alle kannten seinen Namen: Marc Dutroux.
Nun soll der brutale Triebtäter freikommen. Jedenfalls wenn es nach seinem Anwalt Bruno Dayez geht. Sein Mandant sitze seit mittlerweile 25 Jahren in Isolationshaft, klagt er. Sein Leben bestehe daraus, auf neun Quadratmetern eingesperrt zu sein – ohne Kontakt zu andern Häftlingen.
Entlassung wäre theoretisch möglich
Dayez sagt, 25 Jahre Haft seien genug. Danach habe jeder ein Recht auf ein neues Leben in der Gesellschaft. Dieses Recht müsse auch für Dutroux gelten. Dessen Komplizin und Ex-Frau Michelle Martin (61) kam 2012 vorzeitig frei.
2018 schrieb Dayez das Buch «Warum Marc Dutroux freigelassen werden sollte». Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte der Anwalt, dass die Frucht zwar derzeit noch nicht reif sei, er aber nicht aufgeben werde.
Eine vorzeitige Entlassung wäre theoretisch möglich, wenn ein Gutachten Dutroux Ungefährlichkeit bescheinigen und ein Strafvollstreckungsgericht zustimmen würde.
Mädchen verhungerten
Dutroux' Taten sind schrecklich. Zu den Opfern zählen die beiden Mädchen Melissa Russo und Julie Lejeune. Beide wurden achtjährig im Juni 1995 entführt und in dem von Dutroux gebauten Verlies festgehalten und sexuell missbraucht.
Der Fall des Kinderschänders Dutroux
Damaliger Berichterstattung zufolge soll das Verlies rund zwei Meter lang und etwa ein Meter breit gewesen sein. Die Mädchen verhungerten, während Dutroux wegen Autodiebstählen für drei Monate im Gefängnis sass.
Zwei weitere Opfer, Eefje Lambrecks (19) und An Marchal (17), starben im Jahr 1995, nachdem Dutroux und Komplizen sie entführt, missbraucht und gefoltert hatten. Im Mai 1996 entführte Dutroux die damals zwölfjährige Sabine Dardenne und im August die damals 14-jährige Laetitia Delhez und steckte sie in sein Verlies.
Aufgrund von Zeugenaussagen konnte er dann gefasst werden. Die beiden Mädchen kamen frei. Sabine hatte zu dem Zeitpunkt mehr als 70 Tage und Laetitia etwa eine Woche im Verlies verbracht.
Schon vorher in Haft
Besonders schockierend war der Fall, weil der fünffache Familienvater Dutroux und seine Lebensgefährtin bereits in den 80er-Jahren wegen der Entführung und des Missbrauchs von fünf Mädchen verurteilt worden waren. Er sollte eigentlich 13 Jahre absitzen – kam aber nur sechs Jahre nach seiner Verhaftung wegen guter Führung wieder frei.
Nach der endgültigen Festnahme am 13. August 1996 rollte eine Welle der Empörung über Belgien. Etwa 300'000 Menschen demonstrierten damals in Brüssel beim sogenannten Weissen Marsch unter anderem gegen sexuelle Gewalt an Kindern und die Justiz.
Mit Promis unter einer Decke?
Als Auslöser sahen viele vor allem die Absetzung des Untersuchungsrichters Jean-Marc Connerotte vom Fall Dutroux. Der Richter hatte an einem Benefiz-Essen für die Opfer von Dutroux teilgenommen, daher warf man ihm Befangenheit vor. Connerotte hatte sich für ein striktes Durchgreifen gegen Pädokriminelle ausgesprochen.
Zudem beteuerte Dutroux, er habe im Auftrag eines Pädophilennetzwerkes mit bedeutenden Persönlichkeiten gehandelt. Diese Aussagen bestätigten sich zwar nie, für viele Menschen wurde der Fall Dutroux aber dennoch auch zu einem Inbegriff für das Versagen der Justiz und der Polizei. Er gilt auch als einer der Gründe für die Polizeireform in Belgien Mitte der 90er-Jahre.
Dutroux entführte eines seiner Opfer auf offener Strasse und zerrte es in einen weissen Van. Noch immer rufen besorgte Eltern die Stiftung an, wenn sie einen weissen Van auf der Strasse sehen.
Dayez wohl ohne Chancen
Anwalt Dayez kämpft weiter für die Freilassung seines Mandanten. Wie gross sind seine Chancen? Im Moment schwindend klein. 2020 bestätigte ein psychologisches Gutachten, dass Dutroux nach wie vor eine Bedrohung sei und nicht frühzeitig entlassen werden könne.
Zudem: Eine Freilassung würden die Belgier nie goutieren. Auch nach 25 Jahren sitzen ihnen der Schock und die Angst von damals immer noch tief in den Knochen. (SDA/gf)