Auf einen Blick
Das Feindbild war immer so klar: Ein Islamist geht überraschend auf wehrlose Passanten los und tötet sie. Beispiele dafür sind die Amokfahrt auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 mit 13 Toten und der Messeranschlag am 23. August in Solingen mit drei Toten. Für die AfD sind solche Angriffe jeweils ein gefundenes Fressen, um sich gegen den aufkommenden Islamismus und für mehr Sicherheit zu positionieren.
Beim Attentat vom Freitag in Magdeburg mit bisher fünf Toten wird es jedoch kompliziert. Der Täter, ein 50-jähriger Arzt aus Saudi-Arabien und erst noch AfD-Anhänger, unterscheidet sich vom bisherigen Täterbild. Taleb A. erschüttert nicht nur die flüchtlingsfreundliche Regierung, sondern bringt damit auch die AfD in die Klemme.
Die deutschen Parteien benutzen das Attentat einerseits, um Betroffenheit zu zeigen, und andererseits, um Wahlkampf für die Neuwahlen vom 23. Februar 2025 zu betreiben. Kanzler Olaf Scholz (66) und Innenministerin Nancy Faeser (54) von der SPD reisten nach Magdeburg, um dem Hass den Kampf anzusagen und die gründliche Aufklärung der Tat zu versprechen. Auch CDU-Chef Friedrich Merz (69) zeigte sich, um den Einsatzkräften zu danken.
Buh-Rufe für Scholz
Doch für viele Deutsche kamen Scholz’ Worte zu spät. Sie haben das Vertrauen in die aktuelle Regierung schon längst verloren. «Hau ab!», «Wir sind das Volk!», schallte es unfreundlich dem Kanzler entgegen. Ein klares Signal: Wir wollen eine härtere Asylpolitik mit verstärkten Kontrollen und konsequenten Ausschaffungen – sonst wählen wir rechts.
Auch die AfD reagierte umgehend: Co-Vorsitzende Alice Weidel (45) schrieb auf X: «In Gedanken bin ich bei den Hinterbliebenen und Verletzten. Wann hat dieser Wahnsinn ein Ende?» Ihre Partei rief zu einer Grosskundgebung auf und fordert eine Sondersitzung des Bundestags.
Nicht der typische AfD-Feind
Doch wie kann die AfD aus dem Attentat politisches Kapital schlagen? Weil der Täter kein Islamist, sondern sogar ein Islam-Kritiker und AfD-Fan ist, fokussiert sich die AfD nach dem Attentat generell auf das Thema Sicherheit, die in Deutschland abhandengekommen ist. Das Täterbild macht es für die AfD diesmal schwierig, sich klar von ihm zu distanzieren.
Dies wiederum bringt die AfD-Wählerschaft ins Dilemma: Sie möchte zwar eine Partei wählen, die sich gegen die Immigration wehrt – aber keine, zu deren Anhängern Amokläufer gehören, die Deutsche töten. Wenn sich die Partei vor den Wahlen nicht klar gegen den Täter und gegen Gewalt aus allen Richtungen distanziert, könnte dies zu einem Eigentor führen: Bisherige Unterstützer wenden sich ab, weil sie die AfD selber als Teil des Problems wahrnehmen.
Zum Problem könnte die AfD auch die Grosskundgebung werden, zu der sie aufruft. Man kann davon ausgehen, dass rechtsextreme Gruppierungen, die sich schon am Samstag in Magdeburg zu Hunderten getroffen hatten, aufspringen werden. Damit bekäme die Partei, die sich selber als gemässigte politische Kraft präsentieren will, weiter den Extremen-Stempel aufgedrückt.
«Das hatte ich nicht auf dem Zettel»
Die Tat von Magdeburg brachte selbst hartgesottene Terrorismus-Forscher aus dem Konzept. Der am King’s College London lehrende Politologe Peter R. Neumann (50) schrieb auf X: «Nach 25 Jahren in diesem Geschäft denkst du, nichts könnte dich mehr überraschen. Aber ein 50-jähriger, saudischer Ex-Muslim, der in Ostdeutschland lebt, die AfD liebt und Deutschland für seine Toleranz gegenüber Islamisten bestrafen will – das hatte ich wirklich nicht auf dem Zettel.»
Welchen Einfluss das Attentat auf die Neuwahlen am 23. Februar haben wird, ist noch nicht absehbar. Die jüngsten Umfragen waren am Tag vor dem Anschlag durchgeführt worden. Die Insa-Umfrage zeigt die Union von CDU/CSU immer noch klar in Führung mit 32 Prozentpunkten. Auf Platz zwei macht die AfD allerdings Boden gut und kommt auf 20 Prozent. Die weiteren Plätze: SPD (16), Grüne (12), Bündnis Sahra Wagenknecht (8), FDP (3), Linke (3).
Wie sich die Rangliste noch verschieben wird, hängt zu einem grossen Teil vom weiteren Umgang der Parteien mit dem Attentat von Magdeburg ab. Für die Mitte- und vor allem Links-Parteien braucht es ein klares Bekenntnis zu mehr Sicherheit. Die AfD hingegen steht vor der Herausforderung, Probleme mit ihren eigenen Sympathisanten beim Namen zu nennen.