Die österreichische Regierung – bestehend aus der ÖVP (Österreichische Volkspartei) und den Grünen – hat eine regelrechte Berg- und Talfahrt hinter sich: Zu Beginn ihrer Legislaturperiode im September 2019 erzielte die konservativ-grüne Koalition laut dem nationalen OGM-Vertrauensindex noch ein rekordverdächtiges Hoch von +19,5 Prozent Vertrauen in der Bevölkerung. Im September 2024, zwei Tage vor den Nationalratswahlen, steht sie bei ebenfalls rekordverdächtigen –13,3 Prozent.
Eine neue Regierung muss her, so viel ist klar. Die grosse Frage ist jedoch, wer das Land für die nächsten fünf Jahre regieren wird. Schon vor den Wahlen am Sonntag zeichnet sich allerdings eine doppelte Zäsur für Österreich ab.
Krise nach Krise erschütterte Regierung
Die schwarz-grüne Regierung hatte es nicht leicht. Kurz nach dem Regierungsbeginn erschütterte die Corona-Pandemie die Welt. Darauf folgte der Ukraine-Krieg, damit einhergehend eine enorme Teuerung. Eine Krise nach der anderen liess das Vertrauen in die Regierung erodieren. Anfang September wurden auch die Folgen des Klimawandels mit Wucht ersichtlich: Niederösterreich und auch die Region Wien standen aufgrund extremer Regenmassen unter Wasser.
Und genau diese tragischen Umstände rund um das Hochwasser schienen den beiden Regierungsparteien einen kurzen Boost zu geben. Laut österreichischen Politikerwissenschaftlern handhabte ÖVP-Kanzler Karl Nehammer (51) die Situation souverän. Zudem sehen laut aktuellen Umfragen 82 Prozent der Österreicher die Erderwärmung durchaus als Bedrohung, was das Wahlprogramm der Grünen attraktiv erscheinen lässt.
Doch es hilft wohl alles nichts: Beide Regierungsparteien dürften laut Umfragen massiv an Wähleranteilen verlieren, eine Mehrheit im Nationalrat, der Abgeordnetenkammer des Parlaments, ist rechnerisch nicht mehr vorstellbar. Was folgt also auf Schwarz-Grün?
Kickl, der «Volkskanzler»?
Aktuell liegt die rechtspopulistische FPÖ («Freiheitliche Partei Österreichs») mit ihrem Spitzenkandidaten und Parteichef Herbert Kickl (55) in den Umfragen vorne. Deren fehlendes Engagement während des Hochwassers und das Ausbleiben einer klaren Haltung zur Klimakrise versetzten der Partei zwar einen kleinen Dämpfer. Doch noch immer liegt sie laut dem Institut für Demoskopie und Datenanalyse mit 27 Prozent vor der ÖVP, die auf 25 Prozent kommt.
Diese Ausgangslage stellt gleich eine doppelte Zäsur für Österreich dar. Zwar war die FPÖ – anders als beispielsweise die AfD in Deutschland – schon mehrmals an der Regierungsbildung beteiligt. Sollte Kickls Partei jedoch als Siegerin aus dieser Wahl hervorgehen, wären die Rechtspopulisten zum ersten Mal die stärkste Kraft im Land. Kickl leitet daraus bereits jetzt den Anspruch ab, im Erfolgsfall auch Regierungschef zu werden – er nennt es selbst «Volkskanzler».
Damit würde sich auch die zweite Zäsur bewahrheiten: Die «Grosse Koalition» – bestehend aus ÖVP und SPÖ («Sozialdemokratische Partei Österreichs») – wäre keine Option mehr. Die Kombination Schwarz-Rot ist die am längsten und häufigsten regierende Koalition Österreichs. Sollte aber die FPÖ den Wahlsieg davontragen, stellt sich die Frage, wer mit wem koalieren muss.
An der ÖVP führt kein Weg vorbei
Die grosse Konstante in der österreichischen Politik ist die ÖVP. Seit über 35 Jahren gab es keine österreichische Regierung ohne die Konservativen. Die ÖVP wechselt lediglich ab und zu die Koalitionspartner. Laut neuesten Umfragen wird sich das in den nächsten fünf Jahren auch nicht ändern.
Bei den meisten Wahlen liegen ÖVP, SPÖ und FPÖ nah zusammen. Zwei von drei können gemeinsam eine Mehrheit im Nationalrat bilden. Die ÖVP war zu einer Partnerschaft mit rechts aussen immer wieder bereit, etwa in den Jahren 2000, 2002 und 2017.
Kommt es 2024 erneut zu einer schwarz-türkisen Koalition? Kanzler Nehammer verneint – er könne sich keine Zusammenarbeit mit Kickl vorstellen. Allerdings sehe er Potenzial darin, mit anderen Personen aus der FPÖ zusammenzuarbeiten. Zumindest bei der Regierungsbildung bleibt in Österreich also alles beim Alten.