Sie weigerte sich als Ärztin in den Krieg ziehen
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Asyl in der Schweiz abgelehnt:Sie weigerte sich als Ärztin in den Krieg ziehen

Ärztin Ekaterina Sinitsa flüchtete in die Schweiz – jetzt wurde ihr Asylantrag abgelehnt
Kehrt sie zurück nach Russland, droht ihr die Front

Als Russland die Ukraine angreift, beginnt für Ekaterina Sinitsa ein Albtraum. Jeden Tag hat sie Angst, als Ärztin an die Front geschickt zu werden. Schliesslich flüchtet sie in die Schweiz, doch ihr Asylantrag wird abgelehnt.
Publiziert: 24.10.2022 um 11:34 Uhr
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Aktualisiert: 25.10.2022 um 10:39 Uhr
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Ekaterina Sinitsa war Ärztin in einem Spital in St. Petersburg. Doch als Putins Truppen in die Ukraine einmarschieren, bekam sie Angst.
Foto: zVg
Jenny Wagner

Ekaterina Sinitsa (46) führte ein ganz normales Leben. Sie arbeitete als Ärztin in einem Spital, hatte Freunde und Bekannte, mit denen sie sich gut verstand und eine schöne Wohnung in St. Petersburg, in der sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebte. Doch als Russland am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert, fällt ihre Welt Stück für Stück auseinander.

Sinitsas liebster Radiosender wird verboten, der Satz «Frieden für die Welt» gilt plötzlich als Auflehnung gegen die Regierung. Bei der Arbeit unterhalten sich Kollegen darüber, dass sie die «Spezialoperation Z» im Nachbarland befürworten. Für die Ärztin ein Albtraum. Im April lässt sie alles zurück und flüchtet mit ihrer 17-jährigen Tochter in die Schweiz. Von da an lebt sie in einem Flüchtlingsheim. Ihr 18-jähriger Sohn bleibt in Russland.

Dass sie ein Schweizer Visum hat, ist reiner Zufall. Ihre Tochter hatte an einem Austauschprogramm teilgenommen, Sinitsa war zu Besuch bei ihr. Nach Kriegsbeginn ist das ihr Ticket in die Freiheit.

Sie führte einen Protest im Stillen

«Ich bin kein mutiger Mensch», sagt die Frau, die immerhin den Mut aufgebracht hat, ihre geliebte Heimat zu verlassen, zu Blick. «Ich bin nicht auf die Strasse gegangen und habe mich öffentlich gegen die Regierung aufgelehnt. Davor hatte ich zu grosse Angst.» Doch während viele Russen im März noch hinter Wladimir Putin (70) und seinem Krieg stehen, kann Sinitsa auch aus moralischen Gründen nicht mehr bleiben.

In dem Spital, in dem sie gearbeitet hat, seien Ärztebrigaden für die Front gebildet worden, erzählt Sinitsa. Wer ein Schreiben erhielt, musste an die Front. Zwar nicht, um zu kämpfen, doch Bomben können auch in ein Lazarett fallen. «In Russland fragt man nicht: Willst du an die Front? Es kommt ein Befehl von oben und du wirst Teil der Brigade.»

Sinitsa bekam Angst. Nicht nur Chirurgen, sondern auch Kinderärzte habe man in St. Petersburg einberufen, erzählt sie. Jeder Arzt in Russland erhalte eine Kriegsausbildung und damit die nötigen Fähigkeiten für die Front. «Ich wollte auf keinen Fall so einen Befehl bekommen», sagt Sinitsa.

Ihre Angst reicht nicht als Beweis

Als sie in der Schweiz ankommt, beantragt sie Asyl. «Ich empfinde meine Situation als lebensbedrohlich», stellt Sinitsa klar. Im August dann die Antwort: Antrag abgelehnt. Sie und ihre Tochter sollen nach Russland zurückkehren. Im Brief heisst es: «Ihr Asylantrag basiert ausschliesslich auf der Angst, als Ärztin an die Front im Krieg in der Ukraine geschickt zu werden.» Blick liegen die Dokumente vor. Nach Ansicht des Staatssekretariats für Migration (SEM) hat Sinitsa keine Beweise, die ihre Angst rechtfertigen.

Lukas Rieder, Mediensprecher des SEM, sagt, dass gemäss dem Asylgesetz das Verweigern des Wehrdienstes nicht flüchtlingsrelevant ist. Aber: «Liegen in einem Einzelfall Hinweise vor, dass die Bestrafung nicht nur wegen Desertion erfolgt, sondern zum Beispiel die Strafe wegen der politischen Anschauungen unverhältnismässig hoch ausfällt, können die Voraussetzungen für Asyl erfüllt sein.» Müsste das nicht auf russische Deserteure zutreffen?

«Es ist dem Staat erlaubt, Personen, die sich ihrer staatlichen Pflicht entziehen, zu bestrafen», erklärt Nula Frei (35), Expertin für Migrationsrecht an der Uni Freiburg, auf Anfrage von Blick. Das sei auch in der Schweiz der Fall. «Die Frage ist, ob die Bestrafung unverhältnismässig ausfällt. Ist die Strafe zu hoch, weil beispielsweise bis zu 15 Jahre Gefängnis drohen, spricht das dafür, dass hier auch die politische Einstellung bestraft wird.»

Das Problem: Sinitsa war in Russland nicht oppositionell aktiv, noch hat sie einen Beweis dafür, dass sie einberufen worden wäre. Doch hätte sie länger gewartet, hätte sie das Land eventuell nicht verlassen können. «Ein Flüchtling kann natürlich nicht abwarten, bis etwas passiert», stellt Frei klar.

Die russische Bevölkerung hat begriffen, dass Krieg herrscht

Seit der Teilmobilmachung am 21. September sind mehrere Hunderttausend Menschen aus Russland geflüchtet, darunter viele Männer im wehrpflichtigen Alter – aber auch Ärztinnen und Ärzte. «Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand bestraft wird, ist seit der Teilmobilmachung viel höher, weil viel mehr Personen der russischen Bevölkerung eingezogen werden können», sagt Frei. Sinitsa reichte nach der Ablehnung ihres Asylantrags Beschwerde ein. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in den kommenden Wochen darüber, ob sie und ihre Tochter in der Schweiz bleiben dürfen.

Im schlimmsten Fall muss sie zurück nach Russland. Doch ihre Flucht könnte ihr dort Probleme machen. «Wer im Ausland um den Flüchtlingsstatus bittet, ist ein Verräter der Heimat», erklärt sie. Und wer sich der Regierung in Russland widersetzt, bekommt die Folgen zu spüren. Sinitsa macht klar: «Für mich war es ein politischer Akt des Widerstands, meine Heimat zu verlassen.»

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