Hier fallen die Schüsse
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Trump bei Auftritt verletzt:Hier fallen die Schüsse

«Aberwitzige Hysterie geschürt»
Experten machen brutalen Wahlkampf mitverantwortlich für Attentat

In den USA ist die politische Stimmung seit Jahren aufgeheizt. Nach dem Mordanschlag auf Donald Trump in Pennsylvania warnen Abgeordnete und Analysten vor den besorgniserregenden Auswirkungen der brutalen Wortwahl im US-Wahlkampf.
Publiziert: 14.07.2024 um 13:10 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2024 um 08:30 Uhr
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Schock bei einer Wahlkampfveranstaltung: Trump wurde angeschossen.
Foto: keystone-sda.ch
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AFPAgence France Presse

Der Mordanschlag gegen Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt im US-Bundesstaat Pennsylvania hat die schlimmsten Befürchtungen wahr werden lassen: Eskalation und Gewalt in der politischen Sprache im US-Wahlkampf sind zu einer echten Gefahr geworden. Viele befürchteten deshalb schon vorher ein Blutbad.

Abgeordnete und politische Analysten in den USA hatten seit der versuchten Erstürmung des Kapitols im Januar 2021 Alarm geschlagen, dass eine zunehmend brutale Wortwahl im Wahlkampf vor der US-Präsidentenwahl im November besorgniserregende Auswirkungen auf die politische Landschaft und die Politiker haben könnte.

Die Gefahr wurde 2022 überdeutlich, als ein Angreifer, der den ultrarechten Verschwörungskreisen zugeordnet wurde, den Mann der früheren demokratischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, mit einem Hammer zu Hause attackierte. Er wollte Pelosi als Geisel nehmen und ihr «die Kniescheiben brechen».

«Aberwitzige Hysterie geschürt»

Die politische Ausrichtung des Schützen vom Samstag – der 20-jährige Thomas Matthew Crooks aus Philadelphia – war zunächst nicht klar. Aber Politiker und Experten nahmen sofort die extreme politische Debatte als Ursache ins Visier.

Wochenlang hätten Spitzenpolitiker der Demokraten eine «aberwitzige Hysterie geschürt, dass ein Sieg von Donald Trump bei der Wahl das Ende der Demokratie in Amerika wäre», prangerte der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Steve Scalise, an. Er war selbst im Jahr 2017 bei einem Schusswaffenangriff bei einer Sportveranstaltung des Kongresses schwer verletzt worden, wie er auf X schrieb. Er hielt «weit links stehenden Irren» eine gewalttätige Sprache vor. «Diese aufwiegelnde Rhetorik muss aufhören.»

Wichtigster Antreiber für die Verrohung der politischen Sprache

Auch Chris LaCivita, der in Trumps Wahlkampf-Team eine wichtige Rolle spielt, nahm die Sprache von «linken Aktivisten, Spendern der Demokraten und sogar (US-Präsident) Joe Biden» ins Visier. Sogar der frühere Vize der grünen Kandidatin Jill Stein, Ajamu Baraka, stellte öffentlich die Überlegung an, ob die Äusserungen von demokratischen Politikern dazu geführt haben könnten, dass es der Schütze als «seine patriotische Pflicht» ansah, das Land vor Donald Trump zu retten. Das räche sich nun, schrieb er auf X.

Was niemand von ihnen einräumte, ist die Tatsache, dass Trump selbst in den vergangenen Jahren einer der wichtigsten Antreiber für die Verrohung der politischen Sprache in den USA war. Viele auch republikanische Politiker, die er ins Visier nahm, mussten nach eigenen Aussagen danach private Sicherheitsfirmen engagieren, weil sie Drohungen von militanten Trump-Anhängern erhielten - darunter der republikanische Senator Mitt Romney und der einst führende Corona-Experte Anthony Fauci.

Zum Sturm auf das Kapital angestachelt

Trump löste im vergangenen Jahr auch wütende Reaktionen aus, als er öffentlich darüber nachdachte, dass die Top-Militärs des Landes exekutiert werden sollten und als er sich über die Hammer-Attacke bei den Pelosis lustig machte. Trumps Hang zu Gewalt ist nichts Neues: So hatte er 2020 bei gewalttätigen Anti-Rassismus-Protesten auch gefordert, dass auf Plünderer geschossen werden sollte. Die Ankläger, die die vielfältigen Justizverfahren gegen ihn leiten, beschrieb er als «Monster», «Psychos» und «Geistesgestörte».

Und vor allem werfen dem heute 78-Jährigen viele vor, dass er seine Anhänger zur gewaltsamen Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 angestachelt habe, um die offizielle Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden als US-Präsident zu verhindern. Bis heute hat Trump seine Wahlniederlage von damals nicht anerkannt. Seinen Anhängern hatte er damals kurz vor dem Sturm auf das Kapitol zugerufen: «Kämpft wie die Hölle». Fünf Menschen starben bei der gewaltsamen Erstürmung.

Drohungen gegen Kongressmitglieder erreichen Höchststand

Auch wenn die Republikaner ihren politischen Gegnern vorwerfen, dass sie die Gewalt aus dem linken Lager kleinreden oder ignorieren würden: Polizei und Justiz weisen zwar auf Bedrohungen von allen Seiten hin, allerdings sei die ultra-rechte Gewalt das grössere Problem.

Was früher noch ein Tabu war in der politischen Sprache, ist heute bei der extremen Rechten gang und gäbe und auch Republikaner im Kongress verwenden inzwischen häufig gewalttätiges Vokabular in ihren Reden. Drohungen gegen Kongressmitglieder erreichten laut Zahlen der Kapitol-Polizei 2021 mit 9625 einen Höchststand. 2017 waren es noch 3939 gewesen.

«Ein Angriff auf unsere Demokratie»

Robert Paper von der Universität von Chicago hat mehrere Umfragen zur politischen Gewalt geführt. In der neuesten vom vergangenen Monat waren zehn Prozent der Befragten der Ansicht, dass die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt sei, um «Donald Trump daran zu hindern, dass er Präsident wird». Gleiches sagten allerdings auch sieben Prozent, die Gewalt einsetzen wollten, um Trump erneut zum Präsidenten zu machen – und Joe Biden zu verhindern.

Politikanalyst Charlie Kolean rief die Menschen in den USA nun auf, zusammenzustehen und gemeinsam solche Gewalt zu verurteilen. Der Mordanschlag auf Trump «ruft die Bedrohung für unsere führenden Politiker in Erinnerung», sagt der Analyst einer eher konservativ ausgerichteten Beratungsagentur. Und er mahnt: «Ein Angriff auf einen Präsidentschaftskandidaten ist ein Angriff auf unsere Demokratie.»

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