10 Fragen an Militärstratege Mauro Mantovani über die zunehmenden Explosionen
Können die Ukrainer die Krim zurückerobern?

Die Ukrainer machen sich an die Rückeroberung der Krim. Wie gross sind die Erfolgschancen? Und wie gross ist die Gefahr einer nuklearen Eskalation? Militärstratege Mauro Mantovani (58) gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 17.08.2022 um 18:33 Uhr
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Aktualisiert: 18.08.2022 um 07:25 Uhr
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Am Dienstag flog in Maiskoje ein Munitionslager in die Luft.
Foto: DUKAS
Guido Felder

Mehrere zerstörte Kampfjets und Fahrzeuge sowie in die Luft gejagte Munition: Die Ukrainer nehmen die Stellungen der Russen auf der Krim ins Visier.

Innerhalb einer Woche hat es auf der von Russland annektierten Halbinsel mehrere schwere Explosionen gegeben: am Dienstag vergangener Woche auf der Luftwaffenbasis Saki, am Dienstag dieser Woche bei einem Munitionslager in Maiskoje sowie einem Luftwaffenstützpunkt bei Simferopol. Auch ein Umspannwerk für Elektrizität stand in Dschankoj in Flammen. Zudem wurde die Bahnstrecke bei Asowskoje beschädigt.

Wollen die Ukrainer nun die 2014 verlorene Halbinsel Krim zurückerobern? Wird ihnen das gelingen? Mauro Mantovani (58), Strategieexperte an der ETH-Militärakademie, gibt Antworten.

Herr Mantovani, wie schätzen Sie die jüngsten Explosionen auf der Krim ein?
Mauro
Mantovani: Die Ukrainer haben erneut gezeigt, dass sie russische Ziele auch auf der Krim angreifen können. Sie haben damit entsprechende Fähigkeiten – die Beherrschung der Technologie und den Besitz des nachrichtendienstlichen Lagebildes – demonstriert. Sie haben aber auch ihren politischen Anspruch auf die Krim bekräftigt.

Die Russen sprechen beim Munitionslager von Maiskoje von Sabotageakten. Sind es Russen, die die Seite wechseln, oder haben die Ukrainer Landsleute auf der Krim eingeschleust?
Beides ist denkbar. Aber auch Fernbeschuss.

Verfügen die Ukrainer denn inzwischen über Raketen, mit denen sie die Krim angreifen können?
Das ist möglich. Spekuliert wird etwa, dass die Ukrainer ihr ballistisches Raketensystem Hrim-2 erstmals eingesetzt haben könnten.

Warum werden sie von den Russen nicht abgefangen?
Raketenabwehr ist technisch generell schwierig und erfordert eine mehrschichtige Architektur. Selbst die am weitesten fortgeschrittenen Israeli holen nicht jede anfliegende Rakete herunter.

Warum haben die Ukrainer bisher die für Russland so wichtige Brücke von Kertsch – die direkte Verbindung zwischen der Krim und dem russischen Festland – nicht angegriffen?
Ich nehme an, weil ihnen ein Angriff auf diese Brücke weniger Erfolg versprechend erschien als Angriffe auf die beiden anderen Ziele. Und dies vermutlich, weil die Russen die Brücke von Kertsch besonders stark gegen Luftangriffe und Raketenbeschuss gesichert haben.

Warum haben es die Ukrainer bei der Rückeroberung zuerst auf die Krim abgesehen und nicht auf den Osten des Landes?
Offenbar sehen die Ukrainer ihre grössten Erfolgschancen aktuell in einem Vorrücken auf Cherson und in diesen Angriffen auf der Krim.

Welche Bedeutung hat die Krim in diesem Krieg?
Die Krim ist nach Meinung von Kiew und gemäss Völkerrecht unveräusserliches ukrainisches Territorium. Militärstrategisch bietet die Krim zudem die Gelegenheit, die Russen im rückwärtigen Raum zu treffen, was psychologisch wichtig ist und ihre militärische Logistik direkt schädigt. Und weil man so nicht «Kern-Russland» angreift, vermindert es das Risiko massiver russischer Reaktionen.

Russland betrachtet aber die Krim als eigenes Territorium. Was könnten die Konsequenzen sein? Kommts doch noch zu einem Atomschlag?
Ich halte dieses Risiko weiterhin für gering, weil im Ukraine-Krieg nicht wirklich vitale Interessen Russlands auf dem Spiel stehen. Allenfalls könnte das Regime Putin den Ukraine-Krieg als entscheidend für seinen Machterhalt erachten und sich durch den Einsatz von Atomwaffen erhoffen, dass die politische Führung der Ukraine einknickt. Dies macht diese Option so gefährlich. Es wäre gleichzeitig eine militärische Bankrotterklärung.

Wie gross ist jetzt die Chance auf eine Rückeroberung der Krim und die andern von Russen besetzten Gebiete?
Die Rückeroberung aller russisch besetzten Gebiete durch die Ukraine ist auf der Zeitachse zu sehen: Kurzfristig ist die Rückeroberung der Oblast Cherson realistisch, langfristig aber auch die Wiederherstellung der Ukraine in den Grenzen von 2013. Die russischen Verluste in der Ukraine sind schon jetzt weitaus höher als die sowjetischen in den 1980er-Jahren in Afghanistan. Eine Folge der Afghanistan-Schlappe war das Ende der Sowjetunion ...

Wie viele Soldaten kann Putin überhaupt noch aufbieten, wenn er alle Register ziehen würde?
Moskau unternimmt jetzt schon alles, um die letzten Freiwilligen für diesen unpopulären Krieg zu mobilisieren. Dass Russland personell am Anschlag ist, stellt aber auch ein qualitatives Problem dar: Immer mehr schlecht ausgebildete Russen gelangen an die Front. Zudem gibt es massenhafte Hinweise darauf, dass die Moral der russischen Truppen miserabel ist. Sie dürfte sich jetzt auch auf der Krim, wo sich die Russen lange sicher gefühlt haben, deutlich verschlechtert haben.

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