Ob Beschuss aus Gaza, aus dem Libanon, aus Syrien oder aus dem Jemen – wenn die Sirenen aufheulen, decken sich israelische Bürger mit Wasserflaschen und haltbaren Lebensmitteln ein. Sie ziehen mit Kind und Kegel in ihre Bunker und lauschen in den Himmel. Bis der Spuk vorbei ist.
Doch das, was das jüdische Volk Sonntagnacht gegen 1.54 Uhr Ortszeit aus dem Schlaf reisst, hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Der Iran greift Israel direkt und kraftvoll an – zum ersten Mal in der 45-jährigen Geschichte dieser Erzfeindschaft. Der Staat schickt einen ganzen Schwarm an Hightech-Luftwaffen. 170 Drohnen, 120 ballistische Raketen und 30 Marschflugkörper sollen auf israelischen Boden treffen. Mit genau dieser kombinierten Angriffsstrategie versetzt Russland zurzeit die Ukraine in Angst und Schrecken.
Steht bald der Nahe Osten in Flammen?
«Man hörte unaufhörlich entfernte Explosionen, sah Lichter aufglühen, weisse Streifen durch den Luftraum fliegen», berichtet ein CNN-Reporter im Livestream aus Jerusalem in dieser Nacht über die Schlacht jenseits des Iron Dome. In dieser Form habe es sowas in Israel noch nie gegeben, so Nic Robertson (61). Viele fragen sich: Droht nun der gefürchtete Flächenbrand? Steht bald der halbe Nahe Osten in Flammen?
Joe Biden (81) telefoniert noch in der gleichen Nacht mit Israels Premier Benjamin Netanyahu (74) und verspricht Schulterschluss, einen Gegenschlag aber lehnt der US-Präsident ab. Der UN-Sicherheitsrat will sich am Abend in New York beraten. Auch G7-Präsidentin Giorgia Meloni (47) trommelt die Mitgliedstaaten zur Video-Konferenz für den Spätnachmittag zusammen – danach rufen die G7 alle Seiten zur «Zurückhaltung» auf. Alle fürchten eine Eskalation des Konflikts. Doch die wichtigste Sitzung findet um die Mittagszeit in Tel Aviv statt. Die bange Frage: Wie wird Israel auf den iranischen Angriff reagieren? Iran hat zwar Krallen gezeigt, sein Biss aber blieb eher zahnlos.
Denn Irans historischer Vergeltungsschlag scheitert. 99 Prozent der iranischen Raketen und Drohnen wurden entweder vom Iron Dome, wie Israels Super-Raketenabwehrsystem genannt wird, werden abgefangen. Oder sie werden von israelischen, amerikanischen, britischen, französischen und jordanischen Abfangjägern zerstört, bevor sie Israel überhaupt erreichen konnten. Bilanz des Angriffs: Trümmerteile verletzten zwei Mädchen (7 und 10) in Israel und auf dem israelischen Stützpunkt Nevatim entstanden, nach Angaben des israelischen Militärs, leichte Schäden.
Vergeltung für Angriff auf iranisches Konsulat in Syrien
Die Operation sei die Reaktion auf den Raketenangriff in Damaskus gewesen, sagt Irans Generalstabschef Mohammad Bagheri (63). Am 1. April 2024 war das iranische Konsulat in der syrischen Hauptstadt beschossen und zwei Brigadegeneräle sowie fünf weitere Mitglieder der iranischen Revolutionsgarde getötet worden. Für den Iran war der Auftraggeber Israel. Daher seien die Ziele die israelische Geheimdienstzentrale und der Stützpunkt Nevatim gewesen, so der General. Im ersten sei der Angriff auf das iranische Konsulatsgebäude geplant worden, vom zweiten aus seien die F-35-Kampfflugzeuge gestartet, die es bombardiert hätten.
Bagheri zieht jetzt die Notbremse, droht aber gleichzeitig. Man habe keine Absicht, den Einsatz weiterzuführen, «doch sollte das zionistische Regime eine weitere Aktion gegen die Islamische Republik Iran unternehmen, dann wäre unser nächster Einsatz sicher stärker als dieser hier», so der General weiter.
«Den Vergeltungsschlag hat Israel eindeutig provoziert»
Nun ist also Israel am Zug. Noch am Sonntag griff die israelische Armee Ziele im Osten des Libanons an. Werden Netanyahu und sein Kriegskabinett an der Eskalationsschraube drehen? Im Vorfeld gab es lautes Säbelrasseln. «Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen. Das gilt noch immer», sagt Aussenminister Israel Katz gegenüber dem israelischen Armeesender. Der ultrarechte Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir (47) fordert auf der Onlineplattform X «einen vernichtenden Schlag gegen den Iran». Pläne gäbe es schon, so Verteidigungsminister Yoaw Galant (65). Darunter sei auch ein Angriff auf eine iranische Atomanlage, meldet Elaph News. Netanyahu ist weiter auf Kriegspfad. Dieser sichert ihm und seinen rechtsextremen Koalitionspartnern die politische Macht. Kommt der Frieden, muss die jetzige Regierung gehen, davon sind in Israel viele überzeugt.
Für den Schweizer Experten Erich Gysling (87) droht die Lage aus dem Ruder zu laufen. «Nach dem Angriff auf das Konsulat konnte Irans Staatsoberhaupt Ali Chamenei (84) nicht als Verlierer dastehen. Den Vergeltungsschlag hat Israel eindeutig provoziert», sagt der langjährige Nahost-Journalist, «doch ich weiss nicht, was im Kopf von Netanyahu vorgeht». Ein Flächenbrand nütze niemandem. Weder dem Westen, noch China noch der arabischen Welt. «Saudi-Arabien will neue Städte hochziehen, die Emirate Tourismus pflegen, China seine Seidenstrasse ausbauen. Die USA stecken im Wahlkampf und können keinen weiteren militärischen Auslandseinsatz gebrauchen», sagt Erich Gysling, «selbst Russland hat kein Interesse an einem Nahost-Krieg». Israel und Iran fänden keine Unterstützung.