«Hätten wir uns zu stark gewehrt, gäbe es vielleicht keine EM»
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Frauenfussball-Pionierin Boll:«Hätten wir uns zu stark gewehrt, gäbe es keine EM»

Madeleine Boll
Die Schweizer Rebellin, der Männer den Fussball verboten

1965 wurde sie zur ersten Schweizerin mit einer Fussball-Lizenz. Gleich darauf nahm man sie Madeleine Boll wieder weg.
Publiziert: 30.06.2025 um 17:24 Uhr
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Aktualisiert: 01.07.2025 um 06:40 Uhr
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Sie hat die Welt verblüfft, weil sie 1965 Fussball gespielt hat: Die zwölfjährige Madeleine Boll jongliert im Garten ihres Elternhauses in Granges.
Foto: RDB

Darum gehts

  • Madeleine Boll: Pionierin des Schweizer Frauenfussballs trotz Widerständen und Verboten
  • Sie gründete die erste Schweizer Frauenliga und war Captain des Nationalteams
  • Mit 17 spielte sie für einen italienischen Klub und an der ersten Weltmeisterschaft
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Florian RazReporter Fussball

Sie wollte doch nur spielen. Und tat genau darum Unerhörtes. Sie lief als Zwölfjährige vor verdutzten Journalisten auf, als Fussball spielende Frauen noch unerhört waren. Also verboten ihr die Männer den Ball. Sie wurde ausgelacht und beleidigt – und später wie ein Star quer durch Italien geflogen. Sie gründete die erste Schweizer Frauenliga mit und war Captain des Schweizer Nationalteams.

Madeleine Boll steht an einem Juni-Abend vor einer kleinen Vitrine im Fifa-Museum in Zürich. Da sitzt das Maskottchen der Euro 2025, das ihr zu Ehren Maddli heisst. Darunter der Holzteller, der ihr 1965 als Trost dafür geschenkt worden war, dass ihr untersagt wurde, was sie doch unbedingt tun wollte: Fussball spielen. Und jetzt, mit 71 Jahren, geht ihr so richtig auf, was sie da alles angestossen hat: «Dass es diese Dimensionen annehmen würde, hätte ich nie gedacht.»

Mit zwölf Jahren macht sie weltweit Schlagzeilen

Dabei fängt alles so unschuldig an. Die kleine Madeleine aus Granges im Wallis will kicken. Der Nachbarsjunge nimmt sie mit zum FC Sion. Und als dieser beim Verband 15 Kinder anmeldet, erhält auch Boll ihren Spielerpass.

Dass sie so zur ersten Schweizer Fussballerin mit einer Lizenz wird? Begreift niemand. Aber als Boll am 15. September 1965 im Vorspiel des ersten Europacupauftritts des FC Sion aufläuft, ist die Aufregung gross.

Die Sittener gewinnen gegen Galatasaray 5:1. Weltweite Schlagzeilen jedoch macht sie: Madeleine Boll, zwölf Jahre jung, einziges Mädchen in einem C-Juniorenspiel. Eine schwedische Zeitung druckt eine Doppelseite. In Venezuela wird sie als «weisse Pelé» bezeichnet, Medien aus Gabun und Mexiko berichten.

Es könnte ein grosser Moment für die Gleichberechtigung sein: die Schweiz als Vorreiterin im Frauenfussball – und das sechs Jahre vor Einführung des nationalen Frauenstimmrechts. Aber so viel Fortschritt weiss der Fussballverband rigoros zu unterbinden.

Ein Holzteller als Entschädigung für das Spielverbot

Bolls Lizenz wird für ungültig erklärt. Sie sei «versehentlich» erteilt worden, heisst es im Urteil. Im Reglement sei nur von Spielern «männlichen Geschlechts» die Rede. Und ausserdem sei Fussball «aus sportmedizinischer Sicht» für den weiblichen Körper gefährlich.

Boll selber begreift gar nicht, was da geschieht. «Ich fand es ungerecht. Ich habe viel geweint», erzählt sie. Ihre Eltern, «sehr fortschrittlich», wie sie sagt, schreiben eine Beschwerde an den Verband. Aber der schickt ihr bloss diesen Holzteller und die Einladung, sie könne in ein paar Jahren ja Schiedsrichterin werden.

Boll lehnt dankend ab. Stattdessen wird sie zur Lausanner Schülermeisterschaft eingeladen, die ohne Lizenzen gespielt wird. So läuft das eigentlich immer: Jemand stellt sich zwischen sie und den Ball. Aber sie findet trotzdem immer wieder zurück.

Nach dem Verband kommt ihr die Schule in die Quere: Alle Mädchen werden ausgerechnet dann in der Haushaltsschule zu guten Ehefrauen ausgebildet, wenn die Buben in Lausanne dem Ball nachjagen. Also macht Boll erst einmal Leichtathletik.

Migros-Verkäuferinnen gegen Bar-Frauen

Doch 1968 wird sie von der Migros für ein Show-Spiel eingeladen: Verkäuferinnen gegen Bar-Frauen. Sie werden beschimpft und ausgelacht. Und doch wird daraus ein Moment der Selbstermächtigung. Als zwei Monate später der Fussballplatz von Granges eingeweiht wird, lässt Bolls Vater die Frauen noch einmal spielen. Tage später erhält Boll einen Brief von drei Sittener Mädchen, die einen Verein aufbauen wollen. 1969 gründen sie die Westschweizer Frauenliga, 1970 die Schweizer Frauenliga.

Es ist etwas angestossen. Boll spielt mit der Schweiz im selben Jahr an der ersten WM in Italien gegen die Gastgeberinnen. Auch hier: Die Männer bremsen, wo sie können. Der Schweizer Verband und der Weltverband Fifa zählen das erste Spiel der Frauen-Nati bis heute nicht, es gilt als «nicht offiziell».

Aber das kann die Entwicklung nicht stoppen. Und Boll schon gar nicht. Sie erhält 1970 mit 17 eine Einladung, für Gommagomma Mailand zu spielen. Weil sie noch zur Schule geht, trainiert sie im Wallis und spielt am Wochenende in Italien.

Mit dem Flugzeug durch Italien

«Das erste Jahr war das beste», sagt sie heute, «wir reisten im Flugzeug durch Italien.» Später wird das Budget knapper. Die Spielerinnen erhalten sowieso nur etwas Reisegeld. Boll spielt trotzdem während fünf Jahren in Italien. 1972 führt sie die Schweizerinnen als Captain an bei einem 2:2 gegen Frankreich, das dann auch von den Männern als Länderspiel anerkannt wird.

In der Heimat holt Boll danach mit dem DFC Sion zweimal das Double. Aber nach dem hohen Niveau in Italien fehlt ihr im Entwicklungsland Schweiz irgendwann der Reiz. Sie wird Sozialarbeiterin und hört auf zu spielen. Dafür setzt sie sich als erste Frau im Walliser Verband und danach in der Amateurliga für den Frauenfussball ein. Nirgendwo öffnen sich die Türen von selbst. Immer muss sie selbst einen Effort leisten, damit es vorwärtsgeht.

Ohne Frauen wie sie würde 2025 die Europameisterschaft nicht in der Schweiz stattfinden. Alle Widerstände sind noch immer nicht verschwunden. Aber die Pionierin blickt optimistisch in die Zukunft. «Mädchen heute können träumen», sagt Madeleine Boll, «das konnten wir damals noch nicht.»

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