Tal wird in gewaltige Staubwolke gehüllt
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Video vom Gletscherabbruch:Tal wird in Staubwolke gehüllt

Blick-Reporter Martin Meul war da, als Blatten verschüttet wurde
Das Lötschental, das ich kannte, gibt es nicht mehr

Das Lötschental erlebte am Mittwoch eine Naturkatastrophe. Der Berg ist gekommen. Der grösste Teil von Blatten VS wurden verschüttet. Die Zukunft des Dorfes: ungewiss. Blick-Reporter Martin Meul erlebte die dramatischen Stunden hautnah mit. Ein Erfahrungsbericht.
Publiziert: 29.05.2025 um 00:19 Uhr
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Aktualisiert: 30.05.2025 um 15:38 Uhr
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Blatten VS wurde am Mittwoch verschüttet
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

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Martin MeulReporter News

Kurz vor halb vier Uhr am Mittwochnachmittag ruft ein Angestellter des Restaurants Sporting in Wiler VS: «Der Berg ist gekommen!» Zuerst reagiert niemand. Dann springen plötzlich alle auf, rennen zur Tür.

«Eine riesige Staubwolke!», ruft der junge Mann weiter. «Man sieht gar nichts mehr. Der Berg ist runtergekommen – der Gletscher auch!» Das, was vor gut anderthalb Wochen mit der Evakuierung des Dorfs Blatten VS begonnen hat, scheint nun eingetreten zu sein. Der Berg ist gekommen. Was dann passiert, habe auch ich in knapp zwei Jahrzehnten als Reporter im Wallis noch nicht erlebt.

Eine andere Welt

Ich lasse meinen Kaffee stehen, greife das Handy und laufe hinaus. Draussen empfängt mich Regen – und eine gespenstische Stille. Und es liegt ein seltsamer Geruch in der Luft. Eine Mischung aus frisch gefälltem Holz und nassem Sand.

Mein Blick geht gegen Osten, hinüber nach Blatten. Was ich dort sehe, habe ich so noch nie gesehen: Mitten durchs Tal zieht sich eine braun-graue Mauer, dahinter türmt sich eine noch höhere auf. Hunderte Meter hoch stapelt sich Eis, Feld, Geröll. Das Lötschental, das ich kannte, gibt es nicht mehr, es ist eine neue, eine andere Welt.

Und ich erkenne: Der junge Mann hatte recht. Jetzt sind das Kleine Nesthorn und der Birchgletscher abgerutscht. Millionen Kubikmeter Eis und Geröll liegen jetzt im Tal.

«Das ist ein Jahrtausendunglück»
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Rösti im Blick-Interview:«Das ist ein Jahrtausendunglück»

Ein Präsident in Tränen

Wie stark der gewaltige Bergsturz, den die Behörden seit Tagen erwartet haben, das Dorf Blatten getroffen hat, weiss zu diesem Zeitpunkt noch niemand. An der Stelle, an der die Strasse nach Blatten seit Montag vor einer Woche gesperrt ist, versammeln sich Leute vom Forstrevier und Gemeindeangestellte. Jemand flüstert: «Die Kirche ist weg!»

Ich frage mich: Hat der Bergsturz wirklich das Dorf verschüttet? Dann sehe ich Matthias Bellwald, Gemeindepräsident von Blatten. Er hat Tränen in den Augen, wird getröstet. Ich weiss: Es ist schlimm, sehr schlimm.

Wenig später kursieren im Netz die ersten Bilder. Sie bestätigen, was alle befürchten. Der Berg hat grosse Teile des Dorfs unter sich begraben. Hunderte Meter hoch. Ich denke an die junge Frau, die mir nach der Evakuierung des Dorfs gesagt hat, dass sie erst vor kurzem mit ihrem Mann in ihr neues Eigenheim in Blatten gezogen ist. Wieder fällt mir der Geruch nach Holz und Sand auf. Der Bergsturz hat tonnenweise Bäume mitgerissen, den Fluss aufgewühlt. Das ist es, was ich rieche.

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Am Mittwochnachmittag hat der Gletscherabbruch Blatten erreicht – das Dorf wurde teilweise verschüttet.
Foto: keystone-sda.ch

Wie bei einer Schweigeminute

Derweil treffen immer mehr Sicherheits- und Rettungskräfte in Wiler ein. Alle, die es nicht braucht, werden weggeschickt. Die Stimmung ist gereizt, wer fremd ist, ist hier nicht erwünscht. Ich fahre nach Kippel, ein Dorf weiter. Im Hotel Bietschhorn haben sich die Inhaber und Angestellten versammelt. Gerade laufen die Nachrichten des Lokalsenders «Radio Rottu Oberwallis». Mit gesenktem Kopf lauschen die Menschen den Nachrichten, wie bei einer Schweigeminute. Es wird wenig gesprochen. «Furchtbar, einfach schrecklich», sagt eine Frau. Jeder hier kennt jemanden, der vermutlich gerade sein Haus, seine Heimat, seine Existenz verloren hat.

Um 18 Uhr läuten im Tal die Kirchenglocken, für mich klingt es wie ein Totengeläut. Der Regen fällt weiterhin, als würde das Tal um das verlorene Dorf weinen. Erst recht, als bekannt wird, dass auch eine Person vermisst wird – laut der Polizei handelt es sich um einen 64-jährigen Einheimischen.

Der Kampf um die Zukunft

Um 19 Uhr treten in der Turnhalle von Ferden die Behörden vor die Medien. Gemeindepräsident Matthias Bellwald, Vertreter des Kantons, der Walliser Regierung. Die Bundesräte Albert Rösti und Martin Pfister sind ebenfalls nach Blatten gereist.

Matthias Bellwald schweigt lange. Das SRF muss erst noch seine Live-Einschaltung beenden, bevor es losgehen kann. Dann wendet er sich an seinen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Blatten. «Wir haben unser Dorf verloren – aber nicht unser Herz», sagt Bellwald. «Wir stehen zusammen – in allem, was wir jetzt tragen müssen.»

Bellwald bemüht sich um Zuversicht. Er sagt: «Dieses Dorf hat eine Zukunft.» Doch der Gemeindepräsident kämpft auch hier mit den Tränen, genauso wie sein Vize-Präsident Martin Henzen. Der Schmerz über den Verlust des Dorfs ist greifbar.

Die Armee kommt

Dann erklärt Raphaël Mayoraz von der Dienststelle für Naturgefahren, was am Nachmittag passiert. Der Schuttberg über dem Dorf ist bis zu 300 Meter hoch. Wegen der gewaltigen Massen wird der Fluss Lonza aufgestaut. «Im schlimmsten Fall droht ein Murgang.» So schlimm auch alles ist, die Gefahr ist noch nicht vorbei.

Bundesrat Albert Rösti sagt den Blattnerinnen und Blattnern die Unterstützung des Bundes zu. Rösti kennt die Berge. «Die Natur ist stärker als der Mensch. Das wissen die Bergler. Heute haben wir aber ein aussergewöhnliches Ereignis erlebt. Das Ereignis macht uns fassungslos und es schockiert, wenn man die Bilder gesehen hat.» Rösti verspricht alle Hilfe, die möglich ist. Etwas Trost in ganz dunklen Stunden. «Die Blattner sollen im Tal eine Zukunft haben.»

Ratskollege und Verteidigungsminister Martin Pfister kündigt den Einsatz der Armee an. «Sie ist unterwegs», sagt er. Auch Pfister will Zuversicht versprühen. Die Armee soll eine noch grössere Katastrophe verhindern.

Den Menschen, die gerade alles verloren haben, wird das aber kaum helfen, denke ich. Zum Glück sagt Matthias Ebener vom Führungsstab, dass ein Care-Team aufgeboten wurde.

Die Pressekonferenz ist vorbei. Am Donnerstag soll ein Aufklärungsflug mehr Details über das Ausmass der Katastrophe bringen. Es wird eine schlaflose Nacht im Lötschental werden. Die Heimat der Menschen von Blatten wurde in Sekunden vernichtet.

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