Über 250 EDA-Mitarbeitende sorgen sich um den humanitären Ruf der Schweiz. In einem Brief an Bundesrat Ignazio Cassis (64) forderten sie Anfang Juni ein entschlosseneres Eintreten für das Völkerrecht. «Wir bitten Sie, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um Israel zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu bewegen. Ihr Engagement für die Einhaltung des Völkerrechts ist dringender und notwendiger denn je», stand in dem Schreiben.
Für die Unterzeichnenden hatte der Brief Konsequenzen: Sie erhielten einen Anruf aus der Personalabteilung, was viele als Einschüchterungsversuch empfanden. Gegen das «Klima der Angst» im EDA protestierte SP-Nationalrätin Barbara Gysi (61), die zugleich Präsidentin des Personalverbands des Bundes (PVB) ist. «Wir haben im EDA-Generalsekretariat und bei Bundesrat Cassis interveniert», teilte Gysi Blick mit.
Doch damit nicht genug: Die Botschafter, die den Brief unterschrieben hatten, erhielten auch einen telefonischen Rüffel von Staatssekretär Alexandre Fasel (64). Das EDA bestätigt gegenüberBlick, dass Fasel mit den Botschaftern «gesprochen und mit ihnen den Brief und die Loyalitätspflicht erörtert hat». Es habe sich «um konstruktive Gespräche» gehandelt.
Es rumort weiter im EDA
Inzwischen hat Aussenminister Cassis auch eine leichte Kurskorrektur vorgenommen. Im August unterzeichnete er zusammen mit 20 anderen Aussenministern einen Appell für humanitäre Hilfe. Noch im Mai hatte sich Cassis geweigert, einen Brief mit anderen Aussenministern zu unterschreiben, in dem Israel kritisiert wurde. Auch lässt Cassis verstärkt seine Abteilungsleiterin für den Nahen Osten, Botschafterin Monika Schmutz Kirgöz (57), das Vorgehen der israelischen Regierung öffentlich verurteilen.
Trotzdem rumort es weiter im EDA. Eine Gruppe von Ex-Botschaftern, die bereits im Juni Cassis einen Brief geschickt hatte, verfasste nun einen weiteren Brief – diesmal adressiert an den Gesamtbundesrat. Das zweite Schreiben, das Blick vorliegt, begründen die Ex-Diplomaten mit der «dramatischen Verschlechterung der Lage vor Ort». Sie werfen der israelischen Regierung eine «neue militärische Eskalation zur Besetzung des gesamten Gazastreifens» vor und kritisieren den Bau von 3400 neuen Wohneinheiten im Westjordanland. Damit wolle Israel einen Palästinenserstaat «endgültig verhindern». Die Diplomaten sprechen von «flagranten und systematischen Verstössen gegen das Völkerrecht», gegen die die Schweiz vorgehen müsse.
Kritik kommt auch von einem FDP-Parteifreund
Die Ex-Diplomaten finden, Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) solle während der Uno-Vollversammlung im September in New York Palästina anerkennen. Auch fordern die Ex-Botschafter, die militärische Zusammenarbeit mit Israel sofort zu beenden und Rüstungsgeschäfte zu verbieten. Die Schweiz solle sich stärker humanitär engagieren – und zwar durch die «Aufnahme von verletzten Kindern zur medizinischen Behandlung in unseren Spitälern». Hierzu solle die Schweiz die Einreise administrativ und finanziell erleichtern.
70 Botschafterinnen und Botschafter haben den Brief unterschrieben, darunter Tim Guldimann (74), Jean-Daniel Ruch (62), Georges Martin (73), Toni Frisch (79), Jenö Staehelin (85) und Cassis’ FDP-Parteikollege Didier Pfirter (66).