Umstrittene Genschere
Bald in der Schweiz erlaubt: Rettet Crispr den Planeten?

Die Geneditierung gehört zu den grossen Hoffnungen der Landwirtschaft. Fünf Fragen rund um die Technologie Crispr.
Publiziert: 04.08.2025 um 10:32 Uhr
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren
1/5
Die Crispr-Technologie soll auch in der Schweiz zugelassen werden.
Foto: Anadolu via Getty Images

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
seraina_gross_handelszeitung.jpg
Seraina Gross
Handelszeitung

Eines muss man Albert Rösti lassen: Er hat keine Angst, sich die Finger zu verbrennen. Nach dem Flop mit dem Ausbau der Autobahnen packt der Verkehrs- und Landwirtschaftsminister nun ein weiteres heisses Eisen an: Crispr.

Die Technologie, erfunden von den beiden Nobelpreisträgerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, macht es möglich, das Genom, etwa dasjenige von Saatgut, präzise zu verändern. Nun soll sie in der Schweiz zugelassen werden – eine Volksabstimmung ist so gut wie sicher. Ob Rösti das Seilziehen mit den Bremsern der seit Jahrzehnten bestens eingespielten Anti-Gentechnik-Fraktion gewinnt?

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

1

Wie funktioniert Crispr, und was unterscheidet die Technologie von der traditionellen Gentechnik?

Crispr steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Es handelt sich dabei um eine biotechnologische Methode, mit der das Genom einer Pflanze gezielt verändert werden kann. In der Regel geht es darum, eine bestimmte Sequenz aus dem Erbgut rauszuschneiden, um eine Eigenschaft zu deaktivieren, oder darum, Eigenschaften, die bei der Kultivierung der Pflanze verloren gingen, wieder zu aktivieren. 

Im Gegensatz zur traditionellen Gentechnik wird dabei nicht mit artfremdem genetischem Material gearbeitet. Zudem lässt sich, anders als bei der etablierten Gentechnik, genau bestimmen, wo auf der DNA die genetische Information verändert wird. Im Resultat unterscheidet sich mittels Crispr verändertes Saatgut nicht von Saatgut, das eine natürliche Mutation erfahren hat oder das mit herkömmlichen Züchtungsmethoden verändert wurde. Bei der Regulierung geht es deshalb im Kern um die Frage, was zählt – die Methode oder das Resultat?

2

Warum braucht es eine Regulierung für Crispr?

Gute Frage, wenn man bedenkt, dass das Gemüse, das wir kaufen, womöglich von Pflanzen kommt, die mit Saatgut kultiviert wurden, das mit weit unzimperlicheren Methoden gezüchtet wurde. Etwa mithilfe der Mutagenese, bei der das Saatgut mit radioaktiven Strahlen oder Chemikalien so lange behandelt wird, bis es die gewünschten Eigenschaften aufweist. Oder mit Hybridzüchtung, einer Methode, bei der Eigenschaften mehrerer Pflanzensorten kombiniert werden und die ebenfalls nach dem Zufallsprinzip funktioniert.

Grosse Landwirtschaftsmärkte wie Brasilien und die USA gehen die Dinge deshalb pragmatisch an. Eine Regulierung gibt es nicht, wer will, kann seine Crispr-Züchtung melden. Komplizierter ist es in Europa. Die EU hat Crispr einer eigenen umfassenden Regulierung unterstellt – mit dem Effekt, dass die Musik einmal mehr nicht in Europa, sondern in den USA spielt. In der Schweiz untersteht Crispr dem zum Dauerzustand mutierten Gentech-Moratorium – mit all den negativen Folgen, die das für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort mit sich bringt.

3

Warum braucht die Landwirtschaft Crispr?

Auch wenn das für uns in der Schweiz kaum vorstellbar ist: Die Ernährungssicherheit wird das Thema der kommenden Jahrzehnte werden. Die Weltbevölkerung wächst, der steigende Wohlstand fördert den Konsum von Fleisch – und der erfordert ein Vielfaches an natürlichen Ressourcen, verglichen mit demjenigen von Gemüse oder Getreide. Ein Grossteil der Böden ist durch zu intensive Nutzung degeneriert, selbst in der Schweiz sind es 75 Prozent. Und die Klimaerwärmung erfordert Kulturpflanzen, die mit extremen Temperaturen, Wassermangel oder stark wechselnden meteorologischen Bedingungen umgehen können.

Unternehmen arbeiten deshalb mit Hochdruck an den Saatgutsorten der Zukunft, etwa Syngenta: Der schweizerisch-chinesische Agrokonzern hat vor einem Jahr in Illinois (USA) im «Bread Belt» ein Forschungszentrum eröffnet, bei dem sich alles um Crispr dreht. Die Herausforderung liegt dabei weniger darin, die Technologie anzuwenden, sondern Gene zu finden, die für die gesuchten Eigenschaften verantwortlich sind.

4

Gibt es schon Gemüse, das mit Crispr-Saatgut kultiviert wurde?

Ja. Weltweit sind bereits rund ein Dutzend mittels Crispr veränderte Salate und Gemüse auf den Markt. Zu den spannendsten Start-ups, die mit Crispr experimentieren, gehört Pairwise Plant Services. Die amerikanische Firma hat sich die Senfpflanze vorgenommen. Sie wird vor allem im amerikanischen Süden gegessen – allerdings gekocht, weil sie roh bitter schmeckt. Ein Vorgang, bei dem viele wichtige Vitamine und Spurenelemente verloren gehen.

Die geneditierte Spielart der Brassica juncea enthält kein Bittergen mehr und kann deshalb auch roh verzehrt werden. Die leicht nach Senf schmeckenden Conscious Greens sind in ausgewählten Restaurants und Supermärkten an der kulinarisch besonders experimentierfreudigen amerikanischen Westküste erhältlich. Auch beim Vermeiden von Verschwendung kann Crispr helfen, wie das kalifornische Start-up Green Venus vormacht. Dessen Wissenschaftler haben es geschafft, das Gen auszuschalten, das die enzymatische Oxidation, zu Deutsch Fäulnis, verhindert.

5

Wo kommt Crispr ausserhalb der Landwirtschaft zum Einsatz?

Die Genschere, wie die Technologie auch genannt wird, findet auch in der Medizin Anwendung, allerdings noch sehr beschränkt. Ganz vorne mit dabei ist das Schweizer Start-up Crispr Therapeutics, gegründet von Crispr-Entdeckerin Emmanuelle Charpentier. Das Zuger Unternehmen hat eine Crispr-Therapie zur Behandlung von Sichelzellenanämie in den USA durch die Zulassung gebracht – ein Meilenstein.

Sichelzellenanämie ist eine schwere Blutkrankheit, die vor allem bei schwarzen Männern auftritt. Bei dieser erblichen Krankheit sind die roten Blutkörperchen verformt und deshalb nicht voll funktionsfähig, was zu Problemen bei der Sauerstoffversorgung des Blutes führt. Inzwischen ist Casgevy, so der Markenname der Therapie, auch in der EU, im Vereinigten Königreich und in Kanada zugelassen. Am Einsatz von Crispr gegen Covid, gegen Lebererkrankungen, gegen HIV, gegen entzündliche Erkrankungen und gegen Stoffwechselstörungen wird ebenfalls geforscht.

Fazit

Crispr ist eine Technologie der Zukunft, von der man sich vor allem in der Landwirtschaft sehr viel versprechen darf. Im Unterschied zu den herkömmlichen Züchtungsmethoden ist die Genomeditierung, wie die Methode auch genannt wird, sehr zielgerichtet und ausgesprochen präzise. Im Resultat geht es immer um das Gleiche: um eine Mutation des genetischen Materials mit dem Ziel, der Pflanze eine bestimmte Eigenschaft zu verleihen oder ihr eine unerwünschte wegzunehmen.

Allein die Methode ist anders, wobei Crispr insbesondere im Vergleich zur Mutagenese, bei der Saatgut mit radioaktiven Strahlen oder Chemikalien behandelt wird, sehr schonend ist. Viele Staaten haben sich deshalb entschieden, die neue Technologie keiner speziellen Regulierung zu unterstellen. In der Schweiz untersteht die Technologie dem Gentech-Moratorium. Nun soll sie reguliert werden – die Abstimmung dürfte zum Stresstest für die Technologiefreundlichkeit der Schweiz werden.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?