Gaddafi-Sohn sorgte für Geiselnahme zweier Schweizer in Libyen
Ausgerechnet er bettelt jetzt um Asyl bei uns!

Vor 15 Jahren löste Diktatoren-Sohn Hannibal Gaddafi in der Schweiz eine beispiellose diplomatische Krise aus. Jetzt bittet er aus einem libanesischen Gefängnis um Hilfe – ausgerechnet in Genf.
Publiziert: 12.06.2025 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 12.06.2025 um 06:41 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/5
Hannibal Gaddafi, der Sohn des gestürzten libyschen Diktators, soll in Genf einen Asylantrag gestellt haben. (Archivbild)
Foto: AFP

Darum gehts

  • Hannibal Gaddafi sucht Asyl in Genf nach Inhaftierung im Libanon
  • Diplomatische Krise zwischen Schweiz und Libyen 2008 durch Gaddafis Verhaftung
  • Seit 2015 ohne Gerichtsverfahren im Libanon festgehalten, Asylantrag in Genf
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Sid Ahmed Hammouche

Vom Provokateur zum Bittsteller? Fünfzehn Jahre nachdem er eine schwere diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen ausgelöst hat, sitzt Hannibal Gaddafi (49) noch immer in einem libanesischen Gefängnis. Jetzt bittet der Sohn des gestürzten Diktators Muammar al-Gaddafi (1942–2011) gemäss gut unterrichteten Quellen um Hilfe – bei der Schweiz.

Die Ironie der Geschichte: Mit Genf sucht Gaddafi ausgerechnet in jener Stadt Zuflucht, die er 2008 nach seiner Festnahme mit einer Eskorte verlassen hatte. 

2008 wurde Gaddafi verhaftet

Was war damals passiert? Im Juli 2008 wurde Hannibal Gaddafi in Genf festgenommen – wegen des Verdachts, zwei Hausangestellte misshandelt zu haben. Die Bilder seiner Verhaftung gingen um die Welt.

Die Reaktionen aus der libyschen Hauptstadt Tripolis waren brutal: Drohungen, Kürzungen bei Öllieferungen, Verhaftungen, die Schliessung der Schweizer Botschaft. Das Regime drohte, «die Schweiz in Schutt und Asche zu legen».

Der Diktator liess sogar zwei Schweizer Geschäftsleute festnehmen. Sie sassen monatelang im Land fest und wurden quasi als Geiseln gehalten. Im Alleingang reiste der damalige Bundespräsident Hans-Rudolf Merz (82) nach Libyen und entschuldigte sich öffentlich – er kehrte aber vorerst mit leeren Händen zurück. Eine Blamage für die Schweiz. Fast zwei Jahre lang hielt die Geiselnahme das Land schliesslich in Atem. 

Diese Zeiten sind vorbei. Heute verfügt der Gaddafi-Clan weder über einen Staat noch über eine Armee oder Botschaften. Patriarch Muammar al-Gaddafi wurde 2011 gelyncht, sein Regime fiel den arabischen Revolutionen und der Nato-Intervention zum Opfer. Und der einstige Kronprinz schmort heute – fast vergessen – im Gefängnis.

Der Gefangene von Beirut

Seit 2015 wird Hannibal Gaddafi ohne Gerichtsverfahren im Libanon festgehalten – im Rahmen der Ermittlungen zum Verschwinden des schiitischen Imams Musa Sadr im Jahr 1978. Der Gaddafi-Sohn war zum Zeitpunkt des Vorfalls erst drei Jahre alt.

Hannibal Gaddafi und Aline Skaf im Jahr 2011.
Foto: AFP

Offiziell ist der Libyer wegen «Zurückhaltens von Informationen» angeklagt. Doch seine Anwälte, seine Frau – eine libanesische Schauspielerin –, seine beiden Kinder sowie seine nach Dubai geflüchtete Schwester werfen den Behörden eine willkürliche Inhaftierung vor, die aus Rache und politischem Druck resultiere.

Ein Asylantrag in der Schweiz?

Nun hat Hannibal Gaddafi laut Familienangehörigen und mehreren libanesischen Quellen den Wunsch geäussert, Asyl zu beantragen – und zwar in Genf. In der Stadt führte er in den 2000er-Jahren ein prunkvolles Leben: mit Luxushotels, Sportwagen und einer Leibgarde.

Gaddafis Anwalt Charbel Khoury schweigt bislang zu den Asylbemühungen seines Mandanten. Ebenso die Schweizer Behörden: Das Eidgenössische Aussendepartement (EDA) gibt keinen Kommentar ab. Zuständig sei das Staatssekretariat für Migration (SEM).

Das SEM wiederum gibt auf Anfrage an, aus Gründen der Vertraulichkeit und des Datenschutzes nichts zu Einzelfällen zu sagen. «Wir bestätigen im Übrigen, dass das SEM jedes Asylgesuch individuell und gemäss den geltenden gesetzlichen Bestimmungen prüft», betont SEM-Sprecher Nicolas Cerclé.

Die Vergangenheit ist jedoch nicht vergessen. Für Schweizer Diplomaten bleibt der Name Hannibal Gaddafi untrennbar mit Demütigung, Arroganz und staatlicher Erpressung verbunden. Ihm heute Asyl zu gewähren, hiesse, eine alte Wunde wieder aufzureissen.

Gaddafis Verwandte gehen in die diplomatische Offensive

In den letzten Monaten haben die Angehörigen von Hannibal Gaddafi ihre diplomatischen Bemühungen intensiviert. Sie schrieben etwa an Präsident US-Donald Trump (78) oder UNO-Generalsekretär António Guterres (76), um auf seine seit über zehn Jahren andauernde Inhaftierung aufmerksam zu machen.

Als Gefangener ohne fairen Prozess und potenziell unmenschlicher Behandlung ausgesetzt, könnte Hannibal Gaddafi theoretisch den Schutz mehrerer internationaler Rechtsinstrumente geniessen – darunter auch jenen der Genfer Konventionen.

Schicksal Gaddafis liegt in zahlreichen Händen

Die Auslegung hängt jedoch auch vom Willen des Landes ab, in dem ein Asylantrag gestellt wird – für Gaddafi ein klarer Nachteil. Hinzu kommt: Die grosse Distanz erfordert eine enge Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden. Solange der Streit um den schiitischen Geistlichen ungelöst bleibt, ist das kaum realistisch.

Muammar al-Gaddafi starb am 20. Oktober 2011 in Libyen (Archivbild).
Foto: imago/Belga

Klar ist: Der Fall Hannibal Gaddafi ist noch lange nicht abgeschlossen. Sein Schicksal hängt weiterhin von den geopolitischen Schachzügen zwischen Libyen, dem Libanon und einflussreichen Mächten wie den USA ab.

Letztere haben laut libanesischen Medien ihren Druck auf Beirut erhöht, um den Fall zu einem Abschluss zu bringen. Die Schweiz bleibt vorerst Zuschauerin – doch könnte sie bald eine Rolle spielen? Das bleibt abzuwarten.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?