Gerhard Pfister spricht Klartext zum Zollstreit
«Wir dürfen unsere Freiheit nicht opfern»

Als Parteichef der Mitte hat Gerhard Pfister die Schweizer Politik neun Jahre geprägt. Er erzählt, woran er sich nach seinem Rücktritt gewöhnen muss, und warnt davor, sich wegen des Zollstreits mit den USA der EU in die Arme zu werfen.
Publiziert: 21.08.2025 um 11:28 Uhr
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Aktualisiert: 21.08.2025 um 11:58 Uhr
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«Die Jungen sind in vielen Bereichen fitter als meine Generation», sagt Gerhard Pfister.
Foto: Marco Bilic

Darum gehts

  • Gerhard Pfister blickt auf seine Zeit als Mitte-Parteipräsident zurück
  • Pfister sieht Herausforderungen für die Schweiz in einer sich verändernden Welt
  • Neun Jahre lang war Pfister Parteipräsident der Mitte, jetzt nur noch Nationalrat
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Jessica Pfister
Schweizer Illustrierte

Es ist nur ein kurzer Spaziergang von Gerhard Pfisters Wohnung in Oberägeri ZG den Hügel hinunter zum See. Der Mitte-Nationalrat setzt sich mit Sonnenbrille und weissem Hemd auf ein Bänkli, blickt auf den idyllischen Ägerisee Richtung Schwyz und hat ein Lächeln auf den Lippen. Der 62-jährige Zuger wirkt tiefenentspannt. «Wenn man bei dieser Aussicht nicht optimistisch sein kann, weiss ich auch nicht.»

Neun Jahre waren Sie Parteipräsident der Mitte. Seit diesem Sommer sind Sie nur noch Nationalrat. Wie ist das für Sie?
Gerhard Pfister: Gewöhnungsbedürftig (schmunzelt).

Inwiefern?
Das Präsidialamt war eine schöne, aber auch intensive Zeit. Ich muss mich wieder daran gewöhnen, dass es Tage gibt, an denen ich ein, zwei Stunden freihabe. Ich verfolge dafür, wie die Parteipräsidenten nach dem Zollentscheid in der Zeitung Stellung nehmen müssen. Und ich weiss, dass dies für meinen Nachfolger Philipp Matthias Bregy ein Stress ist. Da fühle ich mich manchmal wie ein Trainer, der vom Spielfeldrand weiter weg versetzt wurde. Ich kann nicht mehr direkt eingreifen. Aber es ist gut so. Es war an der Zeit – für mich und die Partei.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Was machen Sie mit der freien Zeit?
Zuerst habe ich hier im Ägerital mit meiner Frau Ferien gemacht. Nun möchte ich wieder stärker im Parlament mitarbeiten. Als Präsident ist man nicht immer so tief in den Dossiers drinnen. Und ich bin für andere Mandate angefragt worden.

Welche?
Für Unternehmen und Verbände. Details verrate ich noch nicht – aber es geht wieder mehr in den Kanton Zug. Der Mitte habe ich versprochen, dass ich mich beim Wahlkampf 2026 im Kanton als Co-Wahlkampfleiter zur Verfügung stelle.

Viel Zeit zu haben, ist nicht Ihr Ding?
Nein, im Gegenteil. Ich suche Beschäftigung.

Gelesen haben Sie diesen Sommer auch?
Ja. Einen 1400-Seiten-Schunken von Johan Harstad mit dem Titel: «Unter dem Pflaster liegt der Strand». Ein Roman über Freundschaft, Erinnerung und die Faszination der Atomkraft. Und das Buch «How the World Eats» des Philosophen Julian Baggini über Esskulturen, wie wir uns früher und heute ernähren. Das war sehr spannend. 

Wenn Sie aktuell ein Buch über die Schweiz schreiben müssten. Wie würde der Titel lauten?
(Denkt länger nach ) «Wendezeit». «Verlorene Gewissheiten» wäre auch ein guter Titel.

Wenige Stunden nach Trumps Zollhammer lobte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter die Verlässlichkeit als schweizerische Tugend. Was bringt dies in einer Welt, in der die Willkür regiert?
Verlässlichkeit bringt immer etwas. Es wird zweifelsohne schwieriger für die Schweiz. Aber wir dürfen die Zuversicht nicht verlieren. Ich bin erstaunt, wenn Leute sagen, dass wir uns wie Trump verhalten müssen. Das wäre falsch. Der Bundesrat hat in einer extrem schwierigen Situation alles versucht. Man sollte ihn darum stärken und nicht auf ihm herumhacken.

SVP-Präsident Marcel Dettling nimmt Aussenminister Ignazio Cassis ins Visier. Während dessen Bundesratskollegen in die USA reisten, weilte er in den Ferien.
Mit dieser Kritik schwächen wir uns selber. Nur weil Bundesrat Cassis nicht zusammen mit Keller-Sutter und Parmelin mitgereist ist, heisst das nicht, dass er seinen Beitrag nicht leistete.

Erleben wir das Ende des Schweizer Erfolgsmodells?
Ich hoffe nicht. Ein Kleinstaat wie die Schweiz ist immer darauf angewiesen, dass sich die Grossen an die Regeln halten. Diese Voraussetzung wird nun stark auf die Probe gestellt. Auch Grossmächte wie China oder Russland spielen schon länger nicht mehr nach den Regeln.

Was heisst das nun für uns?
Dass wir alles, was wir bisher gut gemacht haben, weiterhin gut machen. 

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Sie gelten als grosser Kenner des EU-Dossiers: Wird sich der Zollschock auf die Debatte mit der EU auswirken?
Vielleicht. Aber nur weil es mit dem einen Partner nicht funktioniert, sollte man sich nicht blind dem anderen in die Arme werfen. Bis das Volk über die Verträge mit der EU entscheidet, geht es aus meiner Sicht mindestens zwei Jahre – eher drei. Dann wird die Amtszeit des amerikanischen Präsidenten abgelaufen sein. Parlament und Bevölkerung werden sich dann die Frage stellen: Ist das EU-Paket seinen Preis wert oder nicht? Wir dürfen nicht vergessen: Die EU ist auch eine Vereinigung, die ihre Interessen durchsetzt.

Im Gegensatz zu den USA ist die EU aber ein verlässlicher Partner.
Dass die Schweiz beim Forschungsprogramm Horizon nicht mitmachen durfte, war auch ein willkürlicher Entscheid. Wir kommen schon in eine Welt, in der sich die Interessen der Stärkeren durchsetzen. Den USA hat die EU auch viel versprochen – und ich zweifle, ob sie alles einhalten kann. Wenn hingegen bei uns das Volk einmal Ja sagt, halten wir uns daran.

Der Rettungsplan, den Bundesrat und Wirtschaft nun geschnürt haben, beinhaltet ad hoc Waffenkäufe, riesige Investitionen in Flugzeuge, Flüssiggas und in die Medizin. Ist das der richtige Weg?
Da bin ich skeptisch. Denn so geht man auf die absurde Argumentation von Donald Trump mit dem Handelsdefizit ein.

Haben wir denn eine Wahl?
Man hat immer eine Wahl. Wir dürfen unsere Freiheit und Unabhängigkeit nicht opfern. Wenn wir die amerikanischen Dienstleistungen, die ganze US-Tech-Industrie miteinberechnen, ist das Handelsdefizit verschwunden. Dieses Bewusstsein müsste man stärken. Auch in einem zweiten Versuch. In der Schweiz müssen wir jetzt den Unternehmen helfen, die am meisten leiden – das sind nicht die Grossen, sondern die KMU.

Kann die Schweiz ihren Wohlstand halten?
Die Schweiz ist ein historisches Wunder. Kein Land in der Weltgeschichte ist so lange unversehrt geblieben und hat gleichzeitig immer mehr Wohlstand, Sicherheit und Stabilität gewonnen. Nun gibt es zwei Perspektiven: Es ist unwahrscheinlich, dass es nochmals 160 Jahre so weitergeht. Die optimistische Sicht: Kaum ein Land hat bessere Voraussetzungen, mit dem Wandel zurechtzukommen. Wir haben einen gesunden Finanzplatz, der in der Lage war, während der Pandemie Milliarden aufzuwenden. Wir leben den sozialen Ausgleich, behandeln Minderheiten oft besser, als es ihnen grössenmässig vielleicht zusteht. Unsere Wirtschaft leistet eine enorme Wertschöpfung. Ja, wir sind ein Sonderfall, aber es spricht nichts dagegen, dass wir diesen auch für die nächsten Generationen erhalten können. Das war immer meine Motivation für die Politik.

Sie waren lange Lehrer für Literatur und Philosophie, haben eine eigene Schule gegründet. Könnten Sie sich vorstellen, wieder zu unterrichten?
An der Front bin ich heute nicht mehr tätig. Ich würde mir den Unterricht schon noch zutrauen, müsste aber nochmals in die Schule, um mit der neuen Technik mithalten zu können. Meine Frau leitet ein Internat in Engelberg, mit ihr tausche ich mich immer noch gern über die Herausforderungen der Jugend aus.

Sind die Jungen gerüstet für diese verrückte Welt?
Ja! Ich würde sogar sagen, sie sind in vielen Bereichen fitter als es meine Boomer-Generation war. Sie sind mit dem Wandel, den vermehrten Unsicherheiten aufgewachsen. Wer meint, unsere Jugend sei schlechter, dem empfehle ich, an einer Lehrabschlussfeier teilzunehmen. Da sieht man so viele junge Menschen, die unglaublichen Einsatz gezeigt haben, um Coiffeuse, Handwerker oder Schreiner zu werden. Mit solchen Leuten wird die Schweiz auch in Zukunft gut leben.

Auch wenn man heute immer mehr von Jugendlichen hört, die in psychologischer Behandlung sind.
Ich bin nicht sicher, ob die Probleme zugenommen haben oder ob man heute einfach mehr darüber spricht. Früher hatte man auch viel weniger Hilfestellungen. Dort müssen wir noch die Balance finden. Zu Zeiten meines Grossvaters nannte man es Demut, zu Zeiten meines Vaters hiess es Frustrationstoleranz, und heute nennt man es Resilienz. Die Fähigkeit, mit Widerstand und mit Niederlagen umgehen zu können, gehört zum Erwachsenwerden. Ich sage nicht, dass die Menschen heute wehleidiger sind, aber es gibt Herausforderungen, bei denen wir ohne staatliche Hilfe zurechtkommen müssen.

Sie wollten nicht als Nachfolger von Bundesrätin Viola Amherd antreten. Wie leben Sie mit Ihrem Entscheid?
Gut. Als Doris Leuthard zurückgetreten ist, habe ich mich ernsthaft mit dem Amt auseinandergesetzt. Ich kenne mich selber aber recht gut – ich weiss, was ich kann und wo ich meine Grenzen habe. Ich war ein guter Parteipräsident und fühle mich im Parlament sehr wohl. Aber das Amt des Bundesrats passt nicht zu meiner Person.

Und falls die Mitte an den eidgenössischen Wahlen 2027 die FDP überholt?
Für mich wird sich in zwei Jahren nicht so viel verändern. Zudem: Ich bin nicht sicher, ob es für die Schweiz wirklich gut wäre, zwei Mitte-Bundesräte mit dem gleichen Namen aus dem gleichen Kanton zu haben (lacht).

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