Darum gehts
- Trump stellt Sicherheitsgarantien in Aussicht. Selenski spricht von einem grossen Schritt
- Thomas Greminger schätzt die Ausgangslage ein
- Verhandlungen könnten zwei Jahre dauern, wie beim koreanischen Modell
Er weiss, wie man erfolgreich zwischen verfeindeten Parteien vermittelt. Thomas Greminger (64) ist der ehemalige Generalsekretär der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) – und hat einst selbst mit Russland und der Ukraine verhandelt.
Heute ist er Exekutivdirektor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Wie schätzt er die Ausgangslage für einen Deal ein? Blick erreicht Greminger in Kerala, Indien, wo er gerade die siebentägige Hochzeit seiner Tochter feiert.
Blick: Beim Treffen im Oval-Office kam es diesmal nicht zum Eklat. Trump stellt Sicherheitsgarantien in Aussicht, Selenski spricht von einem «grossen Schritt nach vorne». War es ein erfolgreiches Treffen?
Thomas Greminger: Ja, ich glaube schon. Insbesondere, dass Trump zum ersten Mal Sicherheitsgarantien in Aussicht stellt. Die Europäer haben das Treffen meisterhaft orchestriert – im Prinzip muss man sagen, dass sie das bestmögliche Resultat herausgeholt haben. Kommt hinzu, dass bei einem Telefon zwischen Trump und Putin offenbar entschieden wurde, hochrangige Unterhändler zu ernennen. Das deutet darauf hin, dass man vor dem nächsten präsidentiellen Treffen sehr seriöse Verhandlungen führen will.
Die Trump-Regierung will Kiew offenbar einen Tauschhandel mit Moskau vorschlagen: ukrainisches Land gegen westliche Sicherheitsgarantien. Was halten Sie davon?
Das ist wohl eine zu verkürzte Formel. Die Ukraine ist prinzipiell nicht bereit, völkerrechtlich auf ukrainische Territorien zu verzichten. Wozu die Ukraine vermutlich mittlerweile bereit ist, ist temporär die Kontrolle über gewisse Territorien zu verlieren. Das wäre in dem Sinne ein Tauschhandel zwischen Land und Sicherheitsgarantien.
Was meinen Sie mit temporär?
Den Ukrainern ist klar, dass man gewisse Territorien kurzfristig militärisch nicht zurückgewinnen kann. Sie könnten am Schluss von Verhandlungen also akzeptieren, dass die Russen diese auf absehbare Zeit hinaus kontrollieren. Im Gegenzug wollen sie aber seriöse Sicherheitsgarantien. Zum Vergleich: Bei der Teilung von Deutschland in Ost und West hat der Westen dies auch nie als definitive Teilung akzeptiert, obwohl man unmittelbar nach Kriegsende zugestimmt hat. Bei einem veränderten politischen Umfeld kann man die verlorenen Teile zurückgewinnen.
Ist das wirklich realistisch?
Der Vergleich mit Deutschland ist das Denkmodell der Optimisten. Das Denkmodell der Pessimisten ist das koreanische Modell. Dort gibt es seit 80 Jahren einen Waffenstillstand, der zwar hält, aber zu einer Wiedervereinigung kommt es wohl nicht so schnell.
Sind Sie Optimist oder Pessimist?
Ich bin immer ein Optimist. Temporäre Konzessionen sind aus meiner Sicht ein realistisches Verhandlungsresultat. Das wäre sowohl mit der ukrainischen als auch der russischen Verfassung vereinbar. Aber ich will das nicht kleinreden: Über die nächsten ein oder zwei Jahrzehnte gehen Gebiete an Russland verloren. Das ist schwerwiegend.
Als Nächstes will Trump ein Treffen mit Putin und Selenski einfädeln. Wie schätzen Sie die Ausgangslage für einen Deal ein?
Putins aussenpolitischer Berater Yuri Uschakow hat es richtig gesagt: Zuerst müssen substanzielle Verhandlungen stattfinden. Danach ist es schon möglich, dass es zu einem Treffen mit Putin und Selenski kommt.
Thomas Greminger (63) kennt sich aus mit Krieg – und mit Frieden. Der Diplomat stieg nach einer Karriere beim Aussendepartement bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein, wo er von 2017 bis 2020 als Generalsekretär tätig war. Heute ist er Exekutivdirektor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Greminger hat schon mit der Hamas verhandelt und vermittelte nach der russischen Annexion der Krim zwischen der Ukraine und Russland.
Thomas Greminger (63) kennt sich aus mit Krieg – und mit Frieden. Der Diplomat stieg nach einer Karriere beim Aussendepartement bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein, wo er von 2017 bis 2020 als Generalsekretär tätig war. Heute ist er Exekutivdirektor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Greminger hat schon mit der Hamas verhandelt und vermittelte nach der russischen Annexion der Krim zwischen der Ukraine und Russland.
Welcher Zeithorizont ist dafür realistisch?
Trump denkt in einem Zeithorizont von zwei Wochen. Ich denke, da braucht es mehr. Es ist zwar möglich, dass man sich relativ rasch auf einen Verhandlungsprozess einigen kann, etwa begleitet durch einen temporären Waffenstillstand. Aber wenn man einerseits die Modalitäten eines Waffenstillstands und zweitens über die Prinzipien einer Konfliktlösung verhandeln muss, dauert das länger. Wenn man Leute entmutigen will, erwähnt man gerne das koreanische Modell. Da wurde zwei Jahre lang verhandelt.
Wo sehen Sie die grössten Knackpunkte?
Erstens bei der territorialen Frage. Wenn man die aktuelle Kontaktlinie an der Front einfriert und die Territorialkontrolle so temporär festlegt, bedeutet das für beide Seiten wesentliche Konzessionen. Putin muss innenpolitisch erklären, wieso er einlenkt, obwohl er ständig betont, das Momentum sei auf der russischen Seite. Und auf ukrainischer Seite gibt man auf unbestimmte Zeit die Kontrolle über einen Grossteil des Donbass, Teile des Südens und die Krim ab.
Wo noch?
Bei den Sicherheitsgarantien und deren genauer Ausgestaltung. Wenn die Ukraine quasi gezwungen wird, neutral zu sein, muss das eine stark bewaffnete Neutralität sein. Das wird Russland für eine Einigung akzeptieren müssen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat die Schweiz als möglichen Standort für weitere Verhandlungen ins Spiel gebracht. Welche Rolle kann die Schweiz einnehmen?
Die Schweiz wäre die perfekte Gastgeberin. Der Bürgenstock war eine logistische Meisterleistung und die Europäer trauen der Schweiz zu, diese Rolle gut wahrzunehmen. Die Franzosen haben die Schweiz da natürlich lieber als zum Beispiel die Türkei oder Saudi-Arabien.
Dann sehen sie eine Chance, dass die Verhandlungen in der Schweiz stattfinden?
Ich würde es nicht ausschliessen. Die Chancen stehen etwas unter 50 Prozent. Am Schluss werden natürlich die Parteien entscheiden. Die Ukraine hat wohl nichts dagegen. Die russische Diplomatie sagt zwar immer, die Schweiz sei nicht mehr neutral, aber letztlich sind die Russen der Schweiz noch immer relativ wohlgesonnen.
Wären Sie bei einem solchen Treffen selbst involviert?
Sicher nicht direkt, ich bin ja nicht mehr aktiver Diplomat. Was natürlich sein könnte, ist, dass wir informell unterstützen, zum Beispiel mit Fachexpertise.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für die OSZE in den kommenden Gesprächen?
Die Organisation könnte etwa einen Waffenstillstand überwachen. Es wäre wichtig, dass die OSZE mit am Tisch sitzt und ihre Expertise einbringen kann.