Bern war schon 2017 gewarnt
Die Schweiz fiel auf Trumps Blender rein – bis der Hammer kam

Der US-Strafzoll trifft die Schweiz hart. Schon 2017 gab es Warnsignale. Doch Bern liess sich einlullen – und wiegte sich nach Trumps erster Amtszeit in vermeintlicher Sicherheit. Eine Rekonstruktion.
Publiziert: 21.08.2025 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 21.08.2025 um 08:10 Uhr
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Donald Trump im Weissen Haus – seine Handelspolitik sorgte in Bern schon vor Jahren für Alarm. Doch zwischenzeitlich war man beruhigt.
Foto: AFP via Getty Images

Darum gehts

  • Schweiz unterschätzte Trumps Handelspolitik trotz früher Warnungen und Zolldrohungen
  • Bern fühlte sich durch positive Signale aus den USA lange sicher
  • Schweizer Firmen investieren Milliarden in die USA und schaffen 500'000 Arbeitsplätze
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven AltermattCo-Ressortleiter Politik

Das Papier von 2017 wirkt heute wie eine vergessene Warnung. US-Präsident Donald Trump (79) hat der Schweiz kürzlich Strafzölle von 39 Prozent hingeknallt – aus Ärger über das Handelsdefizit. Doch die Gefahr hatte man schon Jahre zuvor auf dem Radar: Kaum hatte Trump 2017 das Weisse Haus bezogen, schrillten in Bern die Alarmglocken. Bundes-Ökonomen hielten schwarz auf weiss fest, wie gefährlich seine Handelspolitik für die Schweiz werden könnte.

Eine der wenigen Konstanten bei Trump: sein Hass auf Handelsdefizite. Seine Formel ist simpel: Länder, die mehr in die USA exportieren als umgekehrt, gelten für ihn als Diebe. Warum wähnte sich Bern trotzdem so lange in Sicherheit? Auch wegen der Erfahrungen aus Trumps erster Amtszeit, wie eine Spurensuche zeigt. 

Noch im Januar 2025, als er seine Zolldrohungen verschärfte, hiess es beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) selbstbewusst: «Die Schweiz hatte mit den USA unter der ersten Trump-Administration exzellente Beziehungen.» Daran werde man anknüpfen.

I. Die Schweiz ist gewarnt

März 2017. Die Seco-Ökonomen legten mit ihren «Konjunkturtendenzen» ein Spezialpapier vor. Sie warnten: Unter Trump könnten die Weichen der US-Aussenhandelspolitik neu gestellt werden. Der neue Präsident werte Handelsdefizite als Beweis für «unfaire» Praktiken, hiess es, und dagegen wolle die neue US-Regierung stärker vorgehen. Gerade die Schweiz könnte von «solch tiefgreifenden Änderungen» betroffen sein. 

Die Ökonomen zeigten, wie wichtig die USA für den Schweizer Aussenhandel geworden war – und warum die Schweiz im Warenverkehr einen «wachsenden Handelsbilanzüberschuss» aufwies. Was die USA gern übersahen: Das Plus im Warenhandel schrumpfte deutlich, weil amerikanische Firmen viel mehr Dienstleistungen in die Schweiz verkauften als umgekehrt. Ein grosser Teil des Ungleichgewichts ging auf den Goldhandel zurück – der zwar über die Schweiz lief, für die heimische Industrie aber kaum Bedeutung hatte.

Man war gewarnt. Diplomaten fürchteten, der Überschuss könnte zu Strafmassnahmen reizen. Und doch keimte bald Zuversicht auf: Die USA würden die Schweiz nicht so hart anfassen. «Dieser Eindruck wurde genährt von Signalen aus höchsten US-Kreisen», sagt ein damals hochrangiger Beamter anonym zu Blick. «Das wirkte zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit noch nach.» Auf gut Deutsch: Man liess sich von schönen Worten blenden!

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II. Die Schweiz atmet auf

Im Juni 2017 reiste Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (73) in die USA und traf Handelsminister Wilbur Ross (87). Danach zeigte sich der Bundesrat erleichtert. Die US-Amerikaner wüssten: «Zwar besteht im Güterbereich ein Handelsüberschuss, allerdings gibt es im Dienstleistungssektor ein Plus zugunsten der USA.» Mit der Schweiz gebe es keine Probleme, sagte Ross. Er habe «eine gewisse Entwarnung» signalisiert, bilanzierte Schneider-Ammann.

In Bern hielt man fest: Die Amerikaner beachteten die Dienstleistungen. Nun gingen die Diplomaten in die Offensive. Bei jeder Gelegenheit betonten sie gegenüber den Amerikanern: Schweizer Firmen investieren Milliarden in den USA, schaffen Jobs und zahlen gute Löhne. Im Seco nannte man das eine «ganzheitliche Betrachtung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen».

III. Die Schweiz lässt sich einlullen

Zur zentralen Figur wurde Ed McMullen (61). Der Weggefährte Trumps kam 2017 als US-Botschafter in die Schweiz. Das Handelsdefizit spielte er herunter. «Wenn Sie die Dienstleistungen miteinbeziehen, dann haben wir fast ausgeglichene Beziehungen», sagte er etwa 2019 dem «Tages-Anzeiger». Genau deshalb sei die Schweiz für die USA ein interessanter Partner. 

Was McMullen sagte, hätte auch von einem Schweizer Diplomaten stammen können – Stichwort «ganzheitliche Betrachtung». Die Schweiz sei «zwar klein, aber sehr wichtig», wenn man bedenke, dass sie der siebtwichtigste Investor in den USA sei und Schweizer Firmen 500’000 gut bezahlte Stellen schafften. In der Schweiz keimte sogar leise Hoffnung auf ein Freihandelsabkommen.

IV. Die Schweiz fühlt sich sicher

Dass die Trump-Regierung die Schweiz 2017 auf der «Beobachtungsliste für Währungsmanipulation» liess – wegen Handelsüberschuss und Nationalbank-Devisenkäufen? In Bern sah man zugleich Relativierungen: Die Amerikaner anerkannten in ihren Papieren die positive Dienstleistungsbilanz – und erwähnten erstmals offiziell, dass ein «relevanter Teil» des Überschusses aus dem Goldhandel stammte.

Dass Trumps Handelsbeauftragter Robert Lighthizer (77) 2019 laut über Schutzzölle auf Pharmaimporte aus der Schweiz nachdachte? Bern hakte laut Insidern direkt bei den Amerikanern nach – und bekam signalisiert: keine ausgereiften Pläne, eher politisches Geplänkel. Lighthizer legte sich sonst kaum mit Kleinstaaten an, zu sehr war er mit China oder der EU beschäftigt. 

All das prägte die Wahrnehmung beim Bund. Es war in einer Phase, in der die kleine Schweiz ohnehin mehr Aufmerksamkeit erfuhr. 2019 empfing Trump Ueli Maurer (74) als ersten Bundespräsidenten überhaupt im Weissen Haus. «So viel Nähe hatte es lange nicht mehr gegeben», erinnert sich der ehemalige Bundesbeamte.

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V. Die Schweiz landet hart

2021 musste Trump vorerst aus dem Weissen Haus ausziehen, McMullen war kurz davor in die USA zurückgekehrt. In Bern überwog zwar die Erleichterung über Trumps Abgang. Aber verbunden mit der Überzeugung, während seiner Amtszeit einen «privilegierten Zugang» gehabt zu haben.

Damit verfestigte sich das Gefühl, das Handelsdefizit im Warenhandel wiege nicht allzu schwer. Diese Annahme überdauerte bis zum Beginn von Trumps zweiter Amtszeit.

«Man unterschätzte erstens, wie hart für Trump die Währung des Güterhandels wirklich ist. Zweitens, dass am Ende nur seine Launen zählen. Und drittens, dass ihm Details egal sind», bilanziert der anonyme Ex-Topbeamte. Trumps Spitzenleute entpuppten sich als Blender, die Bern einlullten. Für Trump war es keine grosse Sache, das kleine, wohlhabende Land hart anzupacken. Umso heftiger traf Bern sein Entscheid.

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