Darum gehts
Wie umgehen mit Selbstzweifeln? Und: Wie stoppe ich das Gedankenkarussell? Oder: Wie geht intensiv leben? Philosophin Barbara Bleisch (52) stellt sich in ihrem neuen, zweiwöchentlichen Podcast «Zimmer 42» den philosophischen Fragen, die Menschen mitten im Leben überrumpeln können. «Wir nehmen Alltagsfragen zum Ausgangspunkt und fragen: Wie kommen wir besser durch das Kuddelmuddel namens Leben?», erklärt die Moderatorin von «Sternstunde Philosophie». «Denn unser Leben zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen, ist nicht immer einfach», ergänzt sie. «Sich darüber auszutauschen, kann erhellend und erleichternd sein.»
GlücksPost: Sie gehen in Ihrem Podcast den grossen Alltagsfragen nach. Welche Frage stellt sich Ihnen persönlich gerade im Leben?
Barbara Bleisch: Mich beschäftigt manchmal die Frage: Wo und wie setze ich Prioritäten? Denn es gibt so viel mehr, das mich lockt, statt langweilt. Was eine Herausforderung ist, aber auch ein Privileg. Denn mich beschäftigt ebenso das viele Leid auf dieser Welt. Auch hier muss ich Prioritäten setzen: Wofür mich engagieren?
Dieser Artikel wurde erstmals in der «GlücksPost» veröffentlicht. Mehr aus der Welt der Schweizer Prominenz, Royals und Sportstars erfährst du immer donnerstags in unserem Heft: zum Abo!
Dieser Artikel wurde erstmals in der «GlücksPost» veröffentlicht. Mehr aus der Welt der Schweizer Prominenz, Royals und Sportstars erfährst du immer donnerstags in unserem Heft: zum Abo!
Und welche Frage beschäftigt Sie und Ihre Familie?
Unsere Töchter sind mittlerweile 15 und 17 Jahre alt und immer mehr selbst unterwegs. Daher stellt sich uns aktuell eine schöne Frage: Wie schaffen wir neue Räume, um miteinander unterwegs zu sein und uns begegnen zu können? Wir haben den Sonntagabend als fixen Treffpunkt etabliert. Ich finde es schön, meine Kinder gross werden zu sehen. Das Schöne an Kindern ist, dass man Wundertüten bekommt. Man weiss nie, was in ihnen steckt. Und immer noch staune ich, was sich alles aus ihnen entwickelt.
Wie kann man sich das innere Kind bewahren?
Ich bin ambivalent, wenn es darum geht, immer Kind bleiben zu wollen. Es ist wichtig, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Was man sich vielleicht bewahren kann, ist der staunende Blick auf die Welt. Zum Beispiel auf den Sternenhimmel. Staunen braucht Offenheit, sich berühren zu lassen. Erwachsene verlieren diese Offenheit manchmal.
Was ist der Sinn des Lebens?
In der Philosophie gibt es eine grosse und eine kleine Sinnfrage. Die grosse Frage stellt sich aus der Vogelperspektive, als blickte man von oben auf die Welt. Man sieht die vielen Menschen wie Ameisen herumrennen und fragt sich, was das soll. Auf diese Frage gibt es nur metaphysische Antworten, also religiöse und spirituelle. Die Philosophie schweigt sich darüber meist aus.
Und die kleine Frage?
Das ist die sogenannte existenzielle Frage nach dem Sinn im Leben. Ergibt das, was ich in meinem Leben veranstalte, Sinn? Ist mein Leben erfüllend? Die Antwort darauf kann niemand von aussen geben. Aber die Frage stellt sich vielen früher oder später.
Was wäre ein sinnhaftes Leben?
Eine der überzeugendsten Antworten für mich ist die von Susan Wolf. Es geht darum, Tätigkeiten zu finden, in denen man sich leidenschaftlich gern engagiert, die aber auch einen Wert haben, der über einen selbst hinausreicht. Zum Beispiel in einem Chor mitsingen: Für viele begeisternd, und ein Chor entsteht nur, wenn viele mitmachen. Oder jemand bepflanzt eine Quartierstrasse mit Bäumen, die ihn überdauern und auch andere erfreuen. Den ganzen Tag faul rumzuliegen, ist auf Dauer für die wenigsten erfüllend.
Was ist ein glückliches Leben?
Eine Frage, über die die Philosophie seit Jahrtausenden nachdenkt. Mich hat zum Beispiel die aristotelische Antwort immer überzeugt. Es geht ein Stück weit darum, die Tüchtigkeit der eigenen Seele zu finden.
1973 in Basel geboren, studierte Barbara Bleisch in Basel, Zürich und Tübingen Philosophie, Germanistik und Religionswissenschaften. Seit 2010 führt sie auf SRF die Diskussionssendung «Sternstunde Philosophie» und hat mehrere Bücher veröffentlicht, wie «Warum wir unseren Eltern nichts schulden», «Familiäre Pflichten» oder «Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre». Seit kurzem hat die Philosophin und Autorin mit «Sternstunde Philosophie: Zimmer 42» ihr eigenes Podcast-Format. Bleisch lebt mit ihrer Familie in Zürich.
1973 in Basel geboren, studierte Barbara Bleisch in Basel, Zürich und Tübingen Philosophie, Germanistik und Religionswissenschaften. Seit 2010 führt sie auf SRF die Diskussionssendung «Sternstunde Philosophie» und hat mehrere Bücher veröffentlicht, wie «Warum wir unseren Eltern nichts schulden», «Familiäre Pflichten» oder «Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre». Seit kurzem hat die Philosophin und Autorin mit «Sternstunde Philosophie: Zimmer 42» ihr eigenes Podcast-Format. Bleisch lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Erklären Sie bitte.
Ein umfassend gutes Leben können wir dann führen, wenn wir uns entfalten können, unsere Talente, unsere besten Seiten. Für Aristoteles ging es dabei nicht nur um intellektuelle oder künstlerische Talente, sondern auch um ethische Charakterzüge. Ein glückliches Leben ist für ihn eines, in dem wir auch gut sind zu anderen. Nur dann erblühen wir ganz in unserem Wesen als Mensch.
Worin erblühen Sie?
Mir kommt die Tätigkeit des Philosophierens, des Schreibens, des Nachdenkens sicher entgegen. Und ich bin mir bewusst, dass es ein Privileg ist, dass ich das machen darf. Glück bedeutet ja nicht, ganztags in der Hängematte zu liegen. Sondern es geht darum, ein Stück weit über sich hinauszuwachsen. Das muss nicht karriereorientiert gemeint sein. Man kann sich auch im Schrebergarten oder in einem Verein verwirklichen.
Wieso machen denn viele das Glück von anderen abhängig?
Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der der Vergleich so wichtig ist. Die vierte Podcast-Folge von «Zimmer 42» dreht sich um soziale Ängste und über das Gift, sich dauernd mit anderen zu messen und zu fragen, was andere über einen denken. Rede ich zu viel? War mein Salat, den ich für die Party brachte, okay? Lachen die anderen gerade über mich? Sich von solchen Fragen zu distanzieren, wäre wunderbar. Arthur Schopenhauer ermuntert uns in seiner Philosophie, uns an dem eigenen Standard zu messen. Finde ich, ich rede zu viel? Und finde ich meinen Salat gut?
Sich selbst zu vertrauen?
Autonom zu sein, das bedeutet in erster Linie, sich unabhängig zu machen, selbst zu denken und zu entscheiden. Aber wir sind auch soziale Wesen, wollen geliebt und gesehen werden. Das ist auch gut so. Aber zu viel Orientierung an anderen ist nicht hilfreich.
Gibt es Glücks- und Pechkinder?
Ich bin keine Psychologin. Philosophisch gesehen würde ich als glücksbegabt bezeichnen, wer fähig ist, zu erkennen, dass nicht alles in unserer Macht liegt. Und oft sogar am wenigsten bei den wichtigsten Themen unseres Lebens. Ob wir gesund bleiben, gesunde Kinder bekommen, uns verlieben, nahe Menschen verlieren – das alles sind Dinge, die nicht in unserer Macht liegen. Das macht uns verletzlich, aber – wenn es gut ausgeht – auch dankbar. Glücksbegabte sind bereit, Dankbarkeit zu kultivieren und Verletzlichkeit anzunehmen.
Wie kann man lernen, ungewollte Tatsachen zu akzeptieren?
Eine stetige Übung! Eine alte Übung aus der antiken Philosophie der Stoa empfiehlt, dass wir uns nicht auf die Dinge konzentrieren sollen, die wir nicht ändern können, sondern auf das, was zu ändern in unserer Macht steht. Viele kennen das Gebet von Reinhold Niebuhr, das auf diese stoische Idee zurückgeht: «Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» Man kann das Gebet auch als Appell an einen selbst verstehen.
Verletzlichkeit gehört zum Leben, sagen Sie. Wie kann man sich auf den Verlust von Menschen vorbereiten?
Das ist schwierig. Die stoische Philosophie empfiehlt, sich der Vergänglichkeit von allem immer bewusst zu sein. Und viele Philosophen sagten, philosophieren heisst, sterben zu lernen. Wir Menschen wissen, anders als Tiere, um unsere eigene Endlichkeit. Das Leben wird nicht zuletzt zur Aufgabe, weil unsere Zeit begrenzt ist und wir sie möglichst gut nutzen wollen. Martin Heidegger spricht davon, in die Eigentlichkeit zu finden. Wie oft sagen wir: «Eigentlich würde ich ja lieber …» In der Eigentlichkeit zu leben, bedeutet, das umzusetzen, was wir eigentlich wollen. Und zwar hier und jetzt. Wir sollten das Leben nicht auf später verschieben. Alte Menschen wissen das. Deshalb führe ich auch so gerne Gespräche mit ihnen.
Einsamkeit im Alter ist ein grosses Thema.
Ein trauriges obendrein. Es ist sogar die Rede von einer Epidemie der Einsamkeit. In England gibt es sogar ein Ministerium gegen Einsamkeit, und betroffen sind auch viele junge Menschen. Die Verstädterung und der Rückzug in virtuelle Räume verstärken den Trend. Dorfgemeinschaften lösen sich auf. Da sind wir als Gesellschaft gefordert, über neue Wohnformen wie Alters-WGs und Pflegegemeinschaften nachzudenken, aber auch darüber, wie junge Menschen vor dem sozialen Rückzug bewahrt werden können. Ich persönlich will mich früh darum kümmern, wo ich mal lebe, wenn ich alt bin. Wenn möglich, möchte ich immer mein eigenes Zimmer haben, das gehört zu meinem Glück dazu.
Gibt es Schicksal?
Die Aussage, dass schon alles seinen Sinn habe, finde ich manchmal zynisch. Denken wir etwa an eine Mutter, die ihr Kind verloren hat. Die Perspektive des Schicksals ist sicher nicht unsere, wenn es denn das Schicksal gibt. Unsere Aufgabe in so einer Situation ist es, die Trauer und das Hadern auszuhalten, wenn jemand von schwerem Unglück getroffen wird. Leiden gehört zum menschlichen Leben dazu. Der Trost besteht darin, dass wir den Schmerz gemeinsam aushalten, nicht ihn kleinreden. Manche Dinge kommen nicht mehr gut.
Wieso haben so viele Angst vor dem Tod?
Ich glaube, die wenigsten haben Angst vor dem Tod, sondern vor dem Sterbeprozess. Schmerzen zu haben, allein und einsam zu sein, vielleicht nicht mehr zu verstehen, was passiert. Ich glaube, darauf kann man sich nur vorbereiten, indem man das Gespräch mit nahen Menschen sucht und frühzeitig mitteilt, was man sich in dieser Situation wünscht. Es gibt ja sogar Sterbevorbereitungskurse – wie Geburtsvorbereitungskurse. Die grossen Übergänge im Leben haben es in sich, und gut zu sterben, ist eine grosse Aufgabe.
Wie kann man verhindern, dass man auf dem Sterbebett etwas bereut?
Ich habe ein Buch geschrieben über die «Mitte des Lebens» und dieser Frage ein ganzes Kapitel gewidmet. In den meisten Fällen besteht kein Anlass, hart mit uns ins Gericht zu gehen. Die Vorstellung, wenn ich noch einmal zurückkönnte, würde ich es anders machen, täuscht uns darüber hinweg, dass uns das Leben beständig formt. Ich wäre heute nicht die Person, die ich bin, wenn ich vieles anders entschieden hätte. Und wer weiss schon, wie etwas sein wird, bevor er die Erfahrung gemacht hat? Das ist ja das Schöne am Älterwerden: Wir werden lebenserprobter. Ich glaube, das kann uns etwas milder auf das eigene Leben schauen lassen.