Milena Moser steigert ihr Wohlbefinden
Freundlichkeit unter Fremden

Wer mich kennt, weiss, dass ich mir keine guten Vorsätze fasse und schon gar keine sogenannten Challenges annehme. Die Vorstellung, mich ständig verbessern zu müssen, erschöpft mich. Selbsthilfe hingegen ist etwas anderes …
Publiziert: 12.05.2025 um 14:26 Uhr
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Aktualisiert: 12.05.2025 um 14:28 Uhr
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«Random acts of kindness», also zufällige Freundlichkeit zu Fremden im Alltag, ist nicht schwierig. Zum Beispiel lässt man jemandem an der Kasse den Vortritt, …
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Optimismus ist eine tägliche Entscheidung und lebenslange Herausforderung für geistige Gesundheit
  • Willkürliche Freundlichkeit als Mittel zur Selbstverbesserung und Wahrnehmung anderer Menschen
  • Milena Moser setzt sich das Ziel, täglich eine nette Geste für Fremde zu machen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Mein Optimismus ist nicht angeboren, er ist eine tägliche Entscheidung. Ich habe lange gebraucht, um ein gewisses Gleichgewicht zu erreichen und zu wissen, wie ich es erhalte. Doch jetzt, wo ich diesen inneren Frieden gefunden habe, wird er von aussen bedroht, und es fällt mir zunehmend schwer, ihn zu schützen. Neulich erzählte ich meinem jüngeren Sohn davon.

«Dabei dachte ich, ich hätte das alles längst im Griff», sagte ich. Er beugte sich vor, legte seine Hand auf meine und sagte in beinahe väterlichem Ton: «Weisst du, Mama, die geistige Gesundheit ist eine lebenslange Herausforderung.» Wobei er es auf Englisch sagte: «Mental health is a lifelong struggle, mom.» «Können wir das bitte auf ein T-Shirt drucken?», fragte meine Freundin, als ich es ihr erzählte.

Darüber denke ich noch nach. In der Zwischenzeit stelle ich mich dieser lebenslangen Herausforderung. Zum Glück kenne ich mich lange genug, um zu wissen, was ich dazu brauche: Ich muss raus. Raus aus meinem Kopf. Denn wenn es eine Sportart wäre, sich in den eigenen Gedanken zu verstricken, dann hätte ich längst eine Medaille gewonnen. Und so fasse ich also gegen meine Gewohnheit einen guten Vorsatz: jeden Tag etwas Nettes zu tun.

Die Idee kam mir, als wir vor ein paar Wochen über die Brückenhäuschen redeten, die unbesetzt sind, seit der Zoll elektronisch bezahlt wird. «Schade», sagte jemand. «Jetzt können wir gar nicht mehr für den Wagen hinter uns mitbezahlen – erinnert ihr euch daran?» Alle nickten und seufzten wehmütig. Das Mitbezahlen für andere, für Fremde war eine weit verbreitete Sitte in San Francisco.

«Willkürliche Freundlichkeit» wurde das genannt oder auch zufällige Freundlichkeit. Random acts of kindness. Jedenfalls versetzte es mir immer einen kleinen elektrischen Glücksschlag, wenn ich grosszügig durchgewinkt wurde, als wäre ich jemand Besonderes. Aber auch, wenn ich die Bezahlung übernahm und mir dann die Gesichter im nachfolgenden Fahrzeug vorstellte.

Es ist so einfach, denke ich. Willkürliche, zufällige Freundlichkeit. Und damit es nicht zu einfach wird, stelle ich gleich noch eine Regel auf: Ich darf die Person nicht kennen, der ich einen Gefallen tue, und sie darf mich nicht darum gebeten haben. Wie gesagt, es geht mir nicht darum, ein besserer Mensch zu werden, nein, ich will mich nur besser fühlen. Purer Egoismus also.

Und es funktioniert: Diese Wette mit mir selbst zwingt mich nicht nur, das Haus zu verlassen, mich unter Menschen zu begeben. Sondern auch, diese wahrzunehmen. Sie zu beobachten. Zu erkennen, ob sie Hilfe brauchen, beim Einsteigen in den Bus, beim Überqueren der Strasse, beim Tragen von Taschen.

Es sind meist nur winzig kleine und komplett nebensächliche Dinge, die ich für sie tun kann. So trage ich einer jungen Mutter, die mit Kinderwagen, Kaffeebecher und Salatteller jongliert, ihr Essen zum Cafétisch. Dabei kommen wir ins Gespräch. «Ich müsste acht Arme haben», sagt sie. «Wie ein Tintenfisch.»

Ich weiss genau, was sie meint. Als ich weitergehe, merke ich, dass ich lächle. Wenn ich meinen Platz in der Schlange freigebe, was ich nach ein paar Tagen schon
automatisch tue, denke ich, wie gut es sich anfühlt, wenn es nicht auf jede Minute ankommt. «Okay, schon gut», sagt meine Freundin. «Aber was ist jetzt mit dem T-Shirt?»

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