Ungewöhnliches Familienleben
Zwei Männer und vier Reborn-Babys

Sie sind erwachsen und kümmern sich um lebensechte Puppen – Reborner. Britney Spears sorgte damit kürzlich für Aufsehen, in Brasilien herrscht ein ­regelrechter Hype. Auch hierzulande gibt es sie – der Zürcher Rey erzählt von der Liebe zu seinen Babys.
Publiziert: 19.07.2025 um 13:54 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2025 um 14:27 Uhr
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Rey und sein Partner mit zwei ihrer vier Reborn-Puppen.
Foto: PRIVAT

Darum gehts

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Maja ZivadinovicFreie Journalistin Service-Team

Mit seinem Gesicht hinstehen will Rey* (21) nicht. Nicht einmal einen Spaziergang an der frischen Luft will er mit seinen Babys machen. Nicht, weil er sich schämt. Und schon gar nicht, weil er, wie viele denken, «einen Flick weg hat». Es ist vielmehr die Intoleranz der Gesellschaft, die dem jungen Zürcher zu schaffen macht. 

Rey ist ein Reborner. Sein Partner und er leben mit Puppen, die wie lebensechte Neugeborene aussehen. Während für die einen das Sammeln dieser sogenannten Reborn-Babys ein Hobby ist, hat es für andere eine tiefere Bedeutung. Zum Beispiel, wenn eine lebensechte Puppe nach einem Kindsverlust helfen soll, um die entstandene Lücke zu füllen. Rey gehört weder in die eine noch in die andere Kategorie – kann aber gut verstehen, dass trauende Eltern zur Puppe greifen.

Keine schlaflosen Nächte, keine Erziehungsarbeit

Er selber, erzählt Rey, sei zufällig Reborner geworden. Als er 18 Jahre alt ist, wird ihm auf Youtube eine Doku zum Thema ausgespielt. Rey klickt drauf – und ist gefesselt. Babys hat der Mediamatiker auch schon immer sehr herzig gefunden. Eigene wollte er nie. Er liebe es, sich um andere zu kümmern – punktuell. «Aber mehr oder weniger das ganze Leben lang kann ich mir das nicht vorstellen.» Zudem sei der Weg zum Kind als schwuler Mann nicht ganz einfach. Eine Reborn-Puppe ist der perfekte Kompromiss. Zumal sie auch immer herzige Babys bleiben und so Tobsuchtsanfälle, Schulprobleme und Teenie-Streitereien flachfallen.

«Es geht um den sogenannten Brutpflegeinstinkt»

Blick: Kompensieren sogenannte Reborner etwas mit ihren Puppen?
Thomas Knecht:
Es geht in jedem Fall um die Stillung eines instinktiven Bedürfnisses, des sogenannten Brutpflegeinstinkts, den die meisten Menschen (und Tiere) in irgendeiner Form haben, weil er im Dienst der Arterhaltung steht. Von Kompensation spricht man, wenn dieser Naturtrieb nicht auf natürliche Weise befriedigt werden kann.

Rey und sein Partner bezeichnen ihre vier Puppen als einfache Alternative zu echten Kindern. Was halten Sie davon?
Sie stärken offenbar die Bindung und bereichern die Beziehung. Für die beiden scheint das besser zu passen als beispielsweise die Adoption von echten Kindern.

Bei einem homosexuellen Paar könnte der Vorwurf der Pädophilie entstehen.
Seine Homosexualität macht es dem Paar schwer, eigene Kinder zu bekommen. Reys Kinderliebe könnte gut Ausdruck des genannten Brutpflegeinstinkts sein. Eine pädophile Veranlagung braucht nicht dahinterzustecken.

Kann eine solche Leidenschaft problematisch werden?
So wie Puppen bei kleinen Mädchen nur als Übergangsobjekte gedacht sind, um die Mütterlichkeit zu üben, sind Reborn-Babys oft eher behelfsmässige Problemlösungen. Für Eltern, die einen Kindsverlust nicht verkraften, können sie anscheinend einen gewissen Trost spenden und den Schmerz temporär lindern. Sie ersparen jedoch nicht die echte Trauerarbeit, die unter Umständen auch therapeutisch unterstützt werden sollte, damit das Trauma wirklich bewältigt werden kann.

Thomas Knecht (67) ist Forensischer Psychiater und war bis Juni 2023 Leitender Arzt im Psychiatrischen Zentrum AR in Herisau.
Daniel Ammann

Blick: Kompensieren sogenannte Reborner etwas mit ihren Puppen?
Thomas Knecht:
Es geht in jedem Fall um die Stillung eines instinktiven Bedürfnisses, des sogenannten Brutpflegeinstinkts, den die meisten Menschen (und Tiere) in irgendeiner Form haben, weil er im Dienst der Arterhaltung steht. Von Kompensation spricht man, wenn dieser Naturtrieb nicht auf natürliche Weise befriedigt werden kann.

Rey und sein Partner bezeichnen ihre vier Puppen als einfache Alternative zu echten Kindern. Was halten Sie davon?
Sie stärken offenbar die Bindung und bereichern die Beziehung. Für die beiden scheint das besser zu passen als beispielsweise die Adoption von echten Kindern.

Bei einem homosexuellen Paar könnte der Vorwurf der Pädophilie entstehen.
Seine Homosexualität macht es dem Paar schwer, eigene Kinder zu bekommen. Reys Kinderliebe könnte gut Ausdruck des genannten Brutpflegeinstinkts sein. Eine pädophile Veranlagung braucht nicht dahinterzustecken.

Kann eine solche Leidenschaft problematisch werden?
So wie Puppen bei kleinen Mädchen nur als Übergangsobjekte gedacht sind, um die Mütterlichkeit zu üben, sind Reborn-Babys oft eher behelfsmässige Problemlösungen. Für Eltern, die einen Kindsverlust nicht verkraften, können sie anscheinend einen gewissen Trost spenden und den Schmerz temporär lindern. Sie ersparen jedoch nicht die echte Trauerarbeit, die unter Umständen auch therapeutisch unterstützt werden sollte, damit das Trauma wirklich bewältigt werden kann.

Überhaupt ist am Leben mit Reborn-Babys alles praktisch. Man muss sie nicht 24 Stunden am Tag betreuen, hat keine schlaflosen Nächte und muss keine Erziehungsarbeit leisten. Elternschaft light, sozusagen. 

Für sein erstes Baby gibt Rey 300 Franken aus, viel Geld für einen Lehrling. Als er es in den Händen hält, überkommt ihn ein wohliges Gefühl. Auch sein Partner ist angetan. Gemeinsam kümmert sich das Paar um den Familienzuwachs. Die Puppe ist geschlechtslos. «Nur der Kopf, die Arme und die Beine sind lebensecht», sagt Rey. Der Rest ist gefüllter Stoff. Erst nach ein paar Wochen entscheidet das Paar, dass das Baby ein Bub ist. Sie nennen ihn Charly. 

Reys Freude an seiner neuen Familie ist so gross, dass er sein Leben mit Charly auf Instagram teilt. Sein Account «reborn_dad_» zählt 165 Followerinnen und Follower. Ums Publikum gehts ihm aber auch nicht. Er geniesst es einfach, seine Leidenschaft zu teilen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Kein Verständnis hat Rey für Menschen, die schubladisieren und Urteile fällen, ohne sich mit der Leidenschaft der Reborner auseinanderzusetzen.

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Anfangs, als sie noch mit Charly alleine sind, gehen die Männer auch mal mit dem Kinderwagen raus. «Wir haben abgeschiedener gewohnt und waren freier», sagt Rey. Inzwischen hat das Paar vier Puppen – zu Charly gesellten sich noch Ariadne, Penelope und Elysian – und lebt am rechten Zürichseeufer in einer Blockwohnung.

Charly, Ariadne, Penelope und Elysian (von links nach rechts) bereiten Rey und seinem Partner viel Freude.
Foto: PRIVAT

Seine Passion zelebriert es hinter verschlossenen Türen. Die Ecke eines Zimmers gehört den Babys. Da haben sie Bettchen, Kleider, Spielsachen, Nuggis, Schoppen, Windeln. 

Früher, als er mehr Zeit hatte, habe er die Babys jeden Tag gewickelt, umgezogen und zurechtgemacht, so Rey. Heute geht er nur noch am Wochenende als Erstes ins Baby-Zimmer. «Dann ziehen wir die vier auch um und machen sie zurecht.» Auch beim Kuscheln auf dem Sofa sind die Puppen regelmässig dabei. «Aber nicht zwingend immer.»

Die Familie weiss von nichts

Ist es eigentlich Liebe, die Rey gegenüber der Reborns fühlt? «Ich habe sie sehr gerne und wäre traurig, wenn eines kaputtgeht», sagt er. Auch würde er sie nie weggeben oder verkaufen. Liebe wie die zu einem eigenen Kind aber, so betont er, ist es nicht. «Es fühlt sich wohl mehr wie die Liebe eines passionierten Velofahrers zu seinem Velo an.» Seinem Partner geht es gleich.

Nicht alle Freunde wissen von der Leidenschaft des Paars. Die Eingeweihten haben allesamt gut reagiert. Wie sieht es mit der Familie aus? «Meine Eltern wissen nichts. Dafür hätten sie kein Verständnis», ist sich Rey sicher. Psychiater Thomas Knecht hingegen schätzt Reys ungewöhnliches Familienleben nicht als problematisch ein.

Anders sähe es aus bei Eltern, die mit Reborn-Babys einen Verlust wettmachen wollen: «Für Eltern, die einen Kindesverlust nicht verkraften, können die Puppen anscheinend einen gewissen Trost spenden und den Schmerz temporär lindern. Sie ersparen jedoch nicht die echte Trauerarbeit, die unter Umständen auch therapeutisch unterstützt werden sollte, damit das Trauma wirklich bewältigt werden kann.» 

Ist die Familie denn jetzt mit vier Kindern komplett? «Zurzeit schon», sagt Rey. Auch wenn sie nicht so viel kosten wie echte Babys, billig sind die Puppen nicht. Das günstigste Baby hat 300 Franken gekostet, das teuerste 500. Dazu kommt das ganze Zubehör, «das geht mächtig ins Geld». Ausserdem würden ihm und seinem Partner die vier Babys genug Freude bereiten, so Rey, es gehe nicht um noch mehr und noch krasser. Im Gegenteil. «Es ist schön, für die vier da zu sein.» Dann, wann es für sie passt. 

* Name geändert

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