Darum gehts
Sie lebten nur rund 60 Kilometer voneinander entfernt. Dennoch bestand kaum eine Chance, dass sich Yahli* und Aizen* jemals treffen. Wenn man von ihrem Zuhause, der Stadt Rischon LeZion südlich von Tel Aviv, in seine Heimat Gaza-Stadt möchte, heisst es bei Google Maps: «Offenbar konnte kein Weg dorthin gefunden werden.»
Einen gemeinsamen Weg gibt es im Nahostkonflikt schon seit über einem Jahrhundert nicht. Zuletzt eskalierte die Situation am 7. Oktober 2023: Der Anschlag der Hamas führte zu einem Krieg zwischen Israel und Gaza. Dieser Krieg ist der Grund, warum Yahli und Aizen weg von zu Hause sind. Warum sie jetzt nebeneinandersitzen und von der Landschaft schwärmen. Hier sei es so schön, so grün, so ruhig – das sei der grösste Unterschied zu ihrem Zuhause.
Die 16-jährige Yahli aus Israel und der 18-jährige Aizen aus Gaza sind Austauschschüler in Liechtenstein und Teil des Projekts «Rebuilding Peace». Seit August letzten Jahres leben sie bei Gastfamilien und besuchen ein Gymnasium. Die Idee hatte Maximilien Marxer (41), Anwalt aus Liechtenstein und ehemaliger Austauschschüler von AFS. Die Austauschorganisation unterstützt das Projekt. Marxer: «Ich habe keine Hoffnung, dass die Erwachsenen Frieden schliessen. Aber die junge Generation kann eine Veränderung bewirken.»
AFS ist eine weltweit tätige Austauschorganisation, sie organisiert Schüler- und Freiwilligenaustausche in rund 60 Ländern und setzt sich für interkulturelles Lernen und Toleranz ein. Jährlich kommen etwa 100 internationale Gäste in die Schweiz, andererseits absolvieren jährlich an die 200 Jugendliche aus der Schweiz ein Austauschprogramm mit AFS. Die Organisation wurde während des Ersten Weltkriegs als American Field Service gegründet, daher der Name. 1914 boten in Paris amerikanische Studenten freiwillig Sanitäts- und Fahrdienste für Verwundete an.
Das Friedensprojekt Rebuilding Peace hat Maximilien Marxer, einst selbst Austauschschüler in Hongkong, gestartet. Unterstützt wird er von AFS Schweiz, AFS Ägypten, der Formatio Privatschule aus Liechtenstein, dem aha – Jugendinformationszentrum aus Liechtenstein und The Intercultural Communication Center aus Israel. Das Projekt wird von zwei prominenten Personen unterstützt: Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, und Erbprinzessin Sophie von und zu Liechtenstein, die die Schirmherrschaft übernommen hat.
AFS ist eine weltweit tätige Austauschorganisation, sie organisiert Schüler- und Freiwilligenaustausche in rund 60 Ländern und setzt sich für interkulturelles Lernen und Toleranz ein. Jährlich kommen etwa 100 internationale Gäste in die Schweiz, andererseits absolvieren jährlich an die 200 Jugendliche aus der Schweiz ein Austauschprogramm mit AFS. Die Organisation wurde während des Ersten Weltkriegs als American Field Service gegründet, daher der Name. 1914 boten in Paris amerikanische Studenten freiwillig Sanitäts- und Fahrdienste für Verwundete an.
Das Friedensprojekt Rebuilding Peace hat Maximilien Marxer, einst selbst Austauschschüler in Hongkong, gestartet. Unterstützt wird er von AFS Schweiz, AFS Ägypten, der Formatio Privatschule aus Liechtenstein, dem aha – Jugendinformationszentrum aus Liechtenstein und The Intercultural Communication Center aus Israel. Das Projekt wird von zwei prominenten Personen unterstützt: Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, und Erbprinzessin Sophie von und zu Liechtenstein, die die Schirmherrschaft übernommen hat.
Aizen und seine Familie flohen nach Ägypten
Aizen telefoniert einmal pro Woche mit seinen Eltern und Geschwistern. Er und seine Familie sind nach Ägypten geflohen, wie 120'000 andere Palästinenser. In den Gazastreifen hat er keinen Kontakt. Laut Uno sind mittlerweile etwa 70 Prozent des Gazastreifens entweder evakuiert oder als unsicher eingestuft. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Im Gepäck für das Austauschjahr hatte er nur seine Kleidung. Yahli hat Fotos ihrer Familie und eine Seife mitgenommen. Sie riecht nach Vanille, der Duft erinnert sie an zu Hause.
Über den 7. Oktober 2023 möchte Aizen nicht sprechen. Er wendet den Blick ab. Yahlis Augen füllen sich mit Tränen. Auf Whatsapp hätten viele Leute geschrieben, dass Terroristen in der Stadt seien. «Meine Mutter hat alles verriegelt, und wir sind in den ‹Safe Place›.» Viele Israelis verfügen zu Hause über solche Schutzräume. «Wir dachten zuerst, es sei falscher Alarm», sagt Yahli. «Drei Tage durfte ich das Fenster nicht öffnen und die ganze Woche nicht aus dem Haus.»
Ein paar Tage nach dem Gespräch meldet sich Aizen schriftlich. Er möchte doch etwas zum 7. Oktober sagen. Alle würden von diesem Datum sprechen, aber er habe bereits fünf Kriege miterlebt. Dennoch ist dieser Tag einschneidend: «Der Gazastreifen wurde dem Erdboden gleichgemacht, Kinder, Frauen und Zivilisten wurden getötet. Viele meiner Verwandten und Freunde wurden getötet, ich musste mein Zuhause verlassen. Drei Monate lang lebte ich in einem Zelt, bis sich mir die Gelegenheit bot, den Gazastreifen zu verlassen.» Er schliesst seine Nachricht mit folgenden Worten: «Und wenn ich darüber sprechen wollte, was wirklich alles passiert ist – ich würde niemals damit fertig werden.»
Yahli glaubt an Frieden, auch in ihrer Region
Als Yahli ihren Freundinnen erzählte, dass sie diesen Austausch mit einem Palästinenser macht, hatten sie Angst um sie. Doch genau das ist ein Grund, weshalb Yahli teilnimmt. Sie glaubt, dass die Begegnung mit jemandem «von der anderen Seite des Kriegs» zu einer Veränderung führen kann. Sie glaubt an Frieden, auch in ihrer Region: «Die Leute in Israel und Gaza sind gleich, sie wollen ihr Leben leben.» Es seien die Regierung in Israel und die Hamas in Gaza, die Krieg führen. Und die Zivilisten litten darunter.
Yahli: «Sie schüren Angst. So können sie uns kontrollieren. Wenn ich Angst vor Aizen habe, möchte ich nichts mit ihm zu tun haben.» Der andere ist der Feind. Ein Narrativ, das über viele Jahre und Generationen hinweg aufrechterhalten wird.
Marxer ist überzeugt, dass die Zusammenführung der beiden jungen Menschen aus verfeindeten Lagern mehr Wirkung auf das Umfeld als auf die Schüler selbst hat. Der 41-Jährige möchte damit aufzeigen, dass Frieden nicht einfach entsteht, sondern geschaffen wird – durch jeden einzelnen Kontakt, den wir knüpfen. Doch das mit dem Kontakt ist nicht immer leicht. Marxer erfährt nicht nur positive Reaktionen. Er hörte des Öfteren ein «Das bringt doch nichts!». Freunde haben sich distanziert, als sie erfuhren, dass ein Junge aus Gaza bei ihm und seinem Partner leben wird.
Ähnliches Projekt während Bosnienkrieg
Die Idee, zwei Schüler aus verfeindeten Gebieten nach Liechtenstein zu holen, hatte Marxer im November 2023. AFS lancierte bereits in den 1990er-Jahren während des Bosnienkriegs ein ähnliches Projekt. Drei Schüler unterschiedlicher ethnischer Gruppen kamen während des Kriegs für ein Jahr nach Marseille (F). Am Ende des Aufenthalts waren alle drei gute Freunde.
Auch Yahli und Aizen werden Liechtenstein im Juli wieder verlassen. Marxer wird dann Bilanz ziehen. Was hat es gebracht? Er kann sich vorstellen, dass 2026 erneut zwei Jugendliche aus dieser Region an einem Austauschjahr teilnehmen.
Wie wird die Lage im Nahen Osten dann sein? Und werden Yahli und Aizen den Kontakt halten können?
* Namen geändert