Darum gehts
Achtung, dieser Stuhl ist heiss! Wo Ukraine-Präsident Selenski, Südafrika-Präsident Ramaphosa und Jordanien-König Abdullah II. gedemütigt worden sind, wird heute Abend Friedrich Merz (69) Platz nehmen. Der Besuch bei US-Präsident Donald Trump (78) ist für den deutschen Kanzler der ultimative Bewährungstest.
Denn seit Trump an der Macht ist, schiesst das Weisse Haus ständig gegen Berlin. Zu migrationsfreundlich, zu gierig, militärisch zu schwach, gegen die AfD zu gemein: Die Vorwürfe aus Washington wiegen schwer. Auch Merz wird heute deswegen grilliert werden. Doch der Neo-Kanzler hat gar nicht so schlechte Karten in der Hand, um sich gegen Trump zu wehren. Und vielleicht kann er ein gemeinsames Hobby nutzen, um das Eis zu brechen.
Wie Merz Trump packen muss
Merz reist nicht unvorbereitet nach Washington. Seine Mitarbeiter werden ihn mit allen möglichen Fragen und Provokationen trainiert haben, die heute auf ihn zukommen könnten. Merz weiss: Auf Aggression niemals Gegendruck aufbauen, sondern die Angriffe lächelnd abfedern.
Was Merz – etwa im Gegensatz zu Selenski – hilft, sind mehrere Gemeinsamkeiten. Allen voran das Hobby Golf. Beide nutzen den Sport als Möglichkeit, Beziehungen zu knüpfen und zu vertiefen. Merz hat vor der Abreise beim finnischen Präsidenten Alexander Stubb (57) Tipps geholt, der mit Trump schon Golf gespielt hat.
Trump soll ein sehr gutes Handicap von 2,7 haben. Jenes von Merz – er hat es bisher für sich behalten – dürfte höher liegen. Vielleicht gönnt er Trump einen Triumph und verrät es heute?
Wo Merz punkten kann
Es ist nicht nur Golf, mit dem Merz Trump beeindrucken kann. Es ist schlicht der Umstand, dass er nicht Merkel ist und auch nicht Scholz. Denn zu Merz’ Vorgängern hatte Trump eine schlechte Beziehung. Mit Olaf Scholz (66) herrschte ein Frost-Verhältnis – zu links ist der Sozialdemokrat. Und Angela Merkel (70) mochte Trump schon deswegen nicht, weil sie eine Obama-Freundin war. Dass Merz parteiintern sogar ein Widersacher von Merkel war, dürfte ihm beim Besuch in Washington sicher zugutekommen.
Da sind aber noch weitere Pluspunkte: etwa, dass Merz gut Englisch spricht und – wie Trump – kein ewiger Politiker ist, sondern im wirtschaftlichen Bereich tätig war.
Wovor sich Merz hüten muss
Merz muss sich nicht nur Trump stellen. Wenn er auf dem heissen Stuhl sitzt, werden ihn vielleicht 20 Augenpaare durchbohren. Denn wie bei andern Besuchen dürften heute ebenfalls Trumps Gefolgsleute im Oval Office anwesend sein.
Aussergewöhnlich aggressiv in Erscheinung getreten ist bisher Trumps Vize J. D. Vance (40). «Politico»-Vizechefredaktor Joe Schatz schreibt in einem Beitrag auf bild.de: «Vorsicht vor Vance!» Vance hatte im Februar in München die Behinderungen europäischer Regierungen gegenüber einwanderungskritischen, rechten Parteien kritisiert.
Wie Trump provozieren wird
Merz muss sich auf einiges gefasst machen. Trump wird Deutschland als «säumigen Zahler» kritisieren, der zu wenig für die Verteidigung ausgibt. Er wird die Ukraine-Hilfe infrage stellen und Deutschland auffordern, selber mehr zu investieren. Erneut wird Berlin wegen Exportüberschüssen als unfairer Handelspartner kritisiert.
Besonders heikel wird es, wenn Trump das Thema AfD anspricht. Trump und Vance sind Fans der rechtspopulistischen Partei, Merz will – nach einem kurzen und massiv kritisierten Flirt – auf keinen Fall mit ihr zusammenarbeiten. Was tun? Merz wird sich vor Trump von der Partei weiterhin distanzieren, muss aber betonen, dass Deutschland unter seiner Kanzlerschaft beim Thema Sicherheit und Migration die Schrauben angezogen hat und noch weiter anziehen wird.
Treffen heute Abend
Merz ist am Donnerstagmorgen (Schweizer Zeit) in Washington gelandet. Das Treffen mit Trump im Oval Office findet um 17.30 statt, um 18.45 folgt eine Medieninformation. Im Gepäck hat er für Trump das Buch «News from the Land of Freedom – German Immigrants Write Home» mit Briefen deutscher Auswanderer.
Merz kann im Blair House übernachten, dem Gästehaus des US-Präsidenten in unmittelbarer Nähe des Weissen Hauses. Das ist eine besondere Ehre – und schon mal ein gutes Zeichen für Merz’ Bewährungsprobe.