«Ich muss das Land verlassen, obwohl ich hier studiert habe»
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Nach 16 Jahren in der Schweiz:«Ich muss gehen, obwohl ich hier studiert habe»

Doktortitel, lupenreiner Leumund – und trotzdem soll Gabriela Purtschert (36) ausgeschafft werden
«Andere können kaum Deutsch – aber ich muss gehen!»

Sie lebt seit 16 Jahren hier, hat einen Doktortitel in Mikrobiologie und spricht Schweizerdeutsch. Das Zürcher Migrationsamt aber teilte der Ecuadorianerin Gabriela Purtschert mit, sie müsse am Dienstag das Land verlassen. Jetzt braucht Purtschert ein Wunder.
Publiziert: 10.10.2025 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.10.2025 um 06:51 Uhr
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Gabriela Purtschert (36) lebt seit 16 Jahren in der Schweiz und hat einen Doktortitel in Mikrobiologie. Jetzt zwingt das Migrationsamt sie zur Rückkehr nach Ecuador.
Foto: Philippe Rossier

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Gabriela Purtschert (36) steht mit dem Rücken zur Wand. 2009 zog die Ecuadorianerin in die Schweiz, hat an der Uni Zürich Mikrobiologie studiert, «Schwyyzerdütsch» gebüffelt und ihren Partner beim Fondue am Zürisee kennengelernt. Ihr Schweizer Adoptivvater hat ihr schon als Kind beigebracht, wie man «Uno» und «Schwarzer Peter» spielt.

Doch jetzt muss Purtschert gehen – raus aus dem Land. Das Migrationsamt des Kantons Zürich hat ihr unter Androhung von Zwangsmassnahmen mitgeteilt, dass sie bis am 14. Oktober die Schweiz verlassen muss. Die Begründung klingt absurd.

In ihrer Zeit hier habe keine «enge oder nachweislich vertiefte Integration» stattgefunden, schreibt das Migrationsamt. «Ich bin schockiert», sagt Gabriela Purtschert in einem Mix aus Bündner-Dialekt und Hochdeutsch. «Andere können kaum Deutsch – aber ich muss gehen!»

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Gabriela Purtschert (36) lebt seit 16 Jahren in der Schweiz und hat einen Doktortitel in Mikrobiologie. Jetzt zwingt das Migrationsamt sie zur Rückkehr nach Ecuador.
Foto: Philippe Rossier

Purtschert steht vor der Uni Irchel in Zürich. In der Hand hält sie die 20 temporären Aufenthaltsbewilligungen aus ihren 16 Jahren in der Schweiz. «Ich habe fast ein ganzes Jass-Set an Kärtchen beisammen», sagt sie. Am Dienstag läuft das letzte Kärtchen ab. «Es tut weh, dass die Schweiz mich nicht will, nach all dem, was das Land in mich investiert hat.»

Purtscherts Lebensgeschichte liest sich wie ein Schweizermacher-Märchen. Sie wächst in Ecuador mit ihrer Mutter und ihrem Schweizer Stiefvater auf, der sie adoptiert. Den Schweizer Pass erhält sie nicht, weil das Adoptionsverfahren erst nach ihrem 18. Geburtstag abgeschlossen ist.

Sie hat zu Hybrid-Käse geforscht

Von ihrem Papa und ihren 1949 aus Pfaffnau LU nach Ecuador ausgewanderten Grosseltern lernt sie viel über die Schweiz: Sie malt mit Caran d’Ache-Farben, trägt Schweizer Tracht zu Familienfesten und verbringt mit ihren Brüdern viel Zeit in der Käserei der Grosseltern.

2009 kommt sie fürs Studium nach Zürich. Sie lernt Schweizerdeutsch, jobbt als Babysitterin und Kellnerin, taucht ein in die Basler Fasnacht, alpine Bergseen und Abende im Opernhaus. 2022 schliesst sie mit einem Doktortitel in Mikrobiologie ab. «Danach habe ich bei der Bundesbehörde Agroscope zu pflanzlichen Käse-Alternativen geforscht. Viel schweizerischer gehts doch gar nicht», sagt Purtschert.

Seit 2024 sucht sie intensiv nach einer Stelle. «Aber für viele Jobs bin ich in den Augen der Verantwortlichen leider überqualifiziert oder habe zu wenig Praxiserfahrung», sagt die Mikrobiologin. «Und wenn es dann doch einmal passt, macht mir meine fehlende Aufenthaltsbewilligung einen Strich durch die Rechnung.»

Freunde reagieren empört auf Zürcher Beamte

Genau das ist ihr Problem: Während ihres Studiums und ihrem Temporär-Job bei Agroscope erhielt sie immer nur beschränkte Aufenthaltsbewilligungen. So sieht es das Schweizer Gesetz vor. «Für einen B-Ausweis, mit dem ich bleiben dürfte, bräuchte ich eine unbefristete Stelle. Ohne B-Ausweis aber kriege ich als Drittstaatenangehörige gar keine unbefristete Stelle. Es ist ein Teufelskreis.»

Den bevorstehenden Rauswurf versucht sie wegzulächeln. Es sei so absurd, sagt Purtschert. «Ich habe mich doch so bemüht, mich zu integrieren!»

Für ihren Rekurs gegen den Entscheid vom Migrationsamt hat sie Briefe von 15 Freunden gesammelt. Purtschert sei «ein Paradebeispiel für gelungene Integration», schreibt ihre Basler Freundin Alba Stamm. «Das Glück hat mir den Pass gegeben, aber sie hat ihn viel mehr verdient als ich», schreibt ihr Halbbruder Oliver Purtschert, der leibliche Sohn ihres Adoptivvaters.

Ihr Schweizer Partner Dominik Keusch hat seinem Brief viele Fotos angehängt: vom Gurtenfestival, von Ausflügen ins Freiamt, von SAC-Wanderungen. Gabriela sei es, die vor jeder Wanderung auf Swisstopo die Route raussuche. 

«Ich will nicht als Ehefrau hierbleiben»

Heiraten? Ja, das wäre eine Option, sagt Purtschert. «Aber was ist das denn bitte für ein Verständnis von Integration?» Schon als Mädchen habe sie nie heiraten wollen. «Ich will nicht als Ehefrau hierbleiben, sondern als Biologin, die dem Land etwas zu bieten hat.»

Dass die Schweiz die Ehe so stark gewichte, aber Sprachkenntnisse und Leistung einfach nicht beachte, kann sie nicht verstehen. «Ich habe selbst lateinamerikanische Kolleginnen, die Schweizer Männer geheiratet haben und hierbleiben dürfen, obwohl sie kaum Deutsch sprechen. Und ich? Ich muss gehen. Das stört mich», sagt Purtschert.

Ihr Rekurs gegen den Abschiebungsentscheid ist noch hängig. Klar ist: Die einzige Chance, die sie hat, um längerfristig in ihrer Schweizer Heimat zu bleiben, ist ein unbefristeter Arbeitsvertrag – am liebsten in einem Job, indem sie ihr spezifisches Fachwissen einbringen kann.

«Ich habe mich intensiv mit Fermentationsprozessen bei pflanzlichen Lebensmitteln befasst. Dafür schlägt mein Herz. Auch in der Pharmabranche könnte man mich brauchen», sagt sie. Firmen wie Syngenta, Planted oder Emmi kommen ihr in den Sinn. «Ich wäre sowas von bereit.»

Was mit ihr passiert, falls es auf den letzten Metern doch nicht klappt, das will sich Gabriela Purtschert gar nicht ausmalen. Eines aber ist für sie sonnenklar: «Ich fühle mich als Schweizerin. Nicht temporär, sondern für immer.»

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