Bald eine Million Tote und Verwundete im Ukraine-Krieg – Russen-Deserteure packen aus
Putins Soldaten haben genug von ihren Brutalo-Befehlshabern

Zehn Deserteure haben sich vergangene Woche freiwillig den Ukrainern ergeben. Kein Einzelfall. Die von Gefängnishackordnungen inspirierten Foltermethoden russischer Offiziere verbreiten in den eigenen Reihen Angst und Schrecken. Die Ukrainer nutzen das geschickt aus.
Publiziert: 04.06.2025 um 11:10 Uhr
|
Aktualisiert: 04.06.2025 um 12:25 Uhr
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren
Mit der heroischen Darstellung der russischen Propaganda hat der Kriegsdienst in Realität wenig zu tun.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
RMS_Portrait_AUTOR_823.JPG
Samuel SchumacherAusland-Reporter

Nächste Woche wird in der Ukraine der millionste russische Soldat getötet oder verwundet. Das zeigt die Statistik der ukrainischen Streitkräfte. Eine schreckliche Zahl. Doch auch jene russischen Kämpfer, die noch am Leben sind, haben wenig zu lachen.

Daran erinnert ein Anfang der Woche von der ukrainischen Armee publiziertes Video. Es zeigt zehn russische Kämpfer, die sich freiwillig ergeben haben, «weil der Missbrauch in unseren Einheiten schlimmer ist als die Gefangenschaft». Der Fall der Deserteure wirft ein neues Schlaglicht auf die Brutalo-Methoden in den russischen Rängen.

Wie unzimperlich russische Kommandeure mit ihren eigenen Männern umgehen, zeigen die täglich neuen Folterfotos und -videos, die vorwiegend auf Telegram kursieren. Hinweis: Blick bezieht sich in diesem Artikel auf Fälle, die von der polnischen Denkfabrik Centre for Eastern Studies oder der unabhängigen russischen Plattform Astra überprüft worden sind.

1/10
Mit der heroischen Darstellung durch Russlands Propaganda hat der Kriegsdienst in Realität wenig zu tun.
Foto: keystone-sda.ch
  • Ein Video vom Mai 2025 zeigt, wie russische Soldaten einen Kameraden bis zum Hals in die Erde eingraben, weil er sich offenbar einem Befehl widersetzt hatte. Was danach mit ihm passiert, bleibt offen.
  • Ein anderes Video aus demselben Monat zeigt, wie ein Offizier zwei Soldaten an eine Laterne fesseln und sie verprügeln lässt, bevor er sie – offenbar mitten im Frontgebiet – ukrainischen Drohnen zum Frass vorwirft. Russische Kriegsgefangene bestätigen diese Strafe für Befehlsverweigerer auch in anderen Fällen.
  • Ein drittes Video von vergangener Woche zeigt, wie ein russischer Soldat an den Füssen an einen Pick-up gebunden und in hohem Tempo während rund 90 Sekunden über einen Feldweg geschleift wird und danach verletzt liegenbleibt.
  • Ein Video mit unklarem Datum zeigt die grausamen Zustände in einem Kerker im Dorf Zaitsevo im besetzten ukrainischen Gebiet Luhansk, wo russische Befehlsverweigerer (sogenannte «Refuseniks») unter katastrophalen Bedingungen ohne Tageslicht festgehalten werden.

Auch die Ukraine kennt Folter-Vorgesetzte

Sadistische Vorgesetzte gibt es in jeder Armee der Welt. Auch die Ukraine hat immer wieder mit Horrormeldungen zu kämpfen, etwa jener über die Zustände in der 211. Pontonbrückenbrigade. Deren Soldaten wurden erpresst, nackt in Käfige gesperrt und in einem Fall sogar an ein Holzkreuz gefesselt, wie die «Ukrainska Pravda» Ende 2024 publik machte.

Im Fall der russischen Armee steckt System hinter den Gräueln an den eigenen Männern. Sadistische Erniedrigungen gehören zum Ausbildungsprogramm russischer Rekruten (aktuell 260’000 jährlich). Die Russen haben gar einen Begriff für die systematische Erniedrigung in der Armee durch Prügel, Kälte oder das in Tschetschenien praktizierte Zwangssitzen auf aufgestellten Flaschen: Dedowschtschina (übersetzt etwa: «Gesetz der Grossväter»). Der Wille des Einzelnen soll gebrochen, die Einheit dadurch gestärkt werden.

Jakub Ber, Experte am polnischen Centre for Eastern Studies, sagt in einer neuen Dokumentation der Denkfabrik, die Schikanen in der russischen Armee seien seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs deutlich eskaliert. Viele der heutigen Befehlshaber hätten sich in den 1990er- und 2000er-Jahren als Soldaten an Kriegsverbrechen in Tschetschenien beteiligt. Durch die Integration der Wagner-Söldner in die offiziellen Streitkräfte seien deren Entmenschlichungstaktiken inzwischen weitverbreitet.

Wie die Ukraine russische Deserteure motiviert

Und: Den rund 50'000 Straftätern, die sich im Austausch gegen Straferlass für den Kriegsdienst gemeldet hätten, würde mit noch schärferen Gewaltmassnahmen Zucht und Ordnung eingetrichtert – ganz ähnlich wie in russischen Gefängnissen, wo Schläge und Vergewaltigungen an der Tagesordnung seien.

Die Investigativ-Plattform «The Insider» berichtet von speziellen Bestrafungseinheiten innerhalb der russischen Armee, deren primäre Aufgabe es sei, Regelbrecher und Befehlsverweigerer aufzuspüren und an ihnen ein Exempel zu statuieren.

Die Ukrainer nutzen den wachsenden Unmut in den russischen Reihen zu ihren Gunsten. «Ergebt auch ihr euch und rettet euer Leben!», sagt ein ukrainischer Vermummter am Ende des neuen Deserteurvideos an russische Zuschauer gerichtet. Die Ukraine hat eine Hotline für russische Kämpfer eingerichtet, die sich freiwillig ergeben wollen. Die Nummer wird mit Flyern und auf Telegram breit gestreut. Die Hotline läuft laut ihren Betreibern heiss.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?