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Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Ein nüchterner Blick auf die 2. Säule

Alle reden von der AHV-Sanierung. Doch die ganz grosse Baustelle ist die 2. Säule. Hier sind die Fakten.
Publiziert: 27.02.2021 um 13:40 Uhr
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Die berufliche Vorsorge, BVG, sei eine Lotterie und keine rentable Vorsorge. Das findet BLICK-Kolumnist Werner Vontobel.
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Werner Vontobel

Erstens: Die berufliche Vorsorge, BVG, ist eine Lotterie. Zwar finanziert sie sich wie die AHV aus Lohnprozenten, aber die Beiträge werden erst jahrzehntelang auf dem Kapitalmarkt «rentabilisiert». Mit sehr unterschiedlichem Erfolg: Gemäss dem Pensionskassenindex der CS hat die schlechteste Kasse in den letzten fünf Jahren im Schnitt 0,27 die beste aber 7,17 Prozent Rendite erzielt.

Doch schon ein Prozent weniger Rendite lässt die Rente im Endeffekt um rund 30 Prozent schrumpfen. Wer heute pensioniert wird, hat gut ein Viertel weniger Rente als die zehn Jahre älteren Ex-Kollegen. Pech gehabt, das falsche Los gezogen.

Der «3. Beitragszahler» ist in Wirklichkeit der Mieter

Zweitens: Die Pensionskassen melken die Mieter. BVG-Fans werden einwenden, dass auch eine kleine Rendite immer noch besser als gar keine, wie im Umlageverfahren der AHV. Doch die Rendite fällt nicht vom Himmel. Um die nötige «Performance» zu erzielen, haben die PKs den Anteil der Immobilienanlagen am Gesamtkapital seit 2003 von 10,1 auf 24,2 Prozent erhöht, und damit rund 220 Milliarden Franken auf steigende Immopreise gewettet und weitere Spekulanten angelockt. Mit der Folge, dass man heute für eine 100 Quadratmeter-Wohnung in Zürich oder Genf rund 1,5 Millionen Franken Kaufpreis oder 4200 Franken Wohnungsmiete zahlen muss. Der «3. Beitragszahler», von dem die BVG-Fans gerne reden, ist in Wirklichkeit der Mieter.

Drittens: Das BVG schiesst mit Kanonen auf Spatzen. Bei einem Kapital von aktuell rund 1200 Milliarden Franken (Stand heute) werden gerade mal 30 Milliarden Renten (Stand 2018) ausbezahlt. Die gut neun Milliarden Kapitalauszahlungen haben mit dem eigentlichen Zweck des BVG, der Sicherung des Lebensstandards im Alter, wenig zu tun. Sie dienen meist nur der Steuer-Optimierung.

PK-Renten für die ärmsten Rentnerhaushalte praktisch inexistent

Viertens: Ausser Spesen wenig gewesen. Die Kosten der Vermögensverwaltung belaufen sich laut der Oberaufsichtskommission BV auf 0,5 Prozent des Kapitals, bzw. auf rund sechs Milliarden Franken. Dazu kommen etwa zwei Milliarden Verwaltungskosten. Damit fressen die Spesen etwa 20 Prozent der (sonst möglichen) Rente auf. Die indirekten Spesen, die innerhalb von Aktien- oder Immofonds anfallen, sind dabei noch nicht berücksichtigt.

Fünftens: Die 2. Säule steht schief in der sozialen Landschaft. Für das ärmste Fünftel der Rentnerhaushalte sind die PK-Renten praktisch inexistent. Keine 100 Franken für Einzelpersonen, 350 Franken für einen Paarhaushalt. (Zahlen von 2017). Das deckt gerade mal den Esssensbedarf von 18 Tagen. Nur gut 30 Prozent aller PK-Renten fallen bei den ärmsten 60 Prozent der Haushalte an. Im Gegensatz dazu verteilen sich die AHV-Renten sehr gleichmässig auf alle Einkommensklassen.

Weltweit bewundertes 3-Säulen-System steht schief

Sechstens: Die 2. Säule ist voller selbst gemachter heisser Luft. Allein seit 2010 haben die Pensionskassen netto rund 360 Milliarden Franken gespart. Weil weder der Staat noch die Unternehmen dieses Geld brauchen, drehte es erst ein paar Runden auf den Aktien- und Immobilienmärkten und hat dort die Kurse um je gut 60 Prozent hochgetrieben. Letztlich ist das Geld aber weitestgehend bei der Nationalbank gelandet und ist dort Teil der von rund 100 auf 1000 Milliarden angestiegenen Devisenreserven.

Wir Schweizer haben immer noch einen sehr verklärten Blick auf unser weltweit bewundertes 3-Säulen-System. Schaut man jedoch nüchtern hin, erkennt man, dass diese sehr schief in der Landschaft stehen.

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