Düster war die Prognose von Finanzminister Ueli Maurer (71) nach wenigen Wochen Lockdown: «Geht man von 50 Milliarden zusätzlichen Schulden aus, dann dauert es rund 25 Jahre – oder eine Generation –, bis wir diesen Betrag wieder abbezahlt haben», sagte er Ende März 2020 gegenüber SonntagsBlick. Jetzt scheinen wir die Pandemie endlich überstanden zu haben. Und ein Blick auf den Staatshaushalt zeigt: Der Bund steht finanziell deutlich besser da, als es Maurer – und viele andere Experten – erwartet hatten.
Bruttoschulden im Verhältnis zum BIP belaufen sich auf 15 Prozent
Per Ende 2021 rechnet das Finanzdepartement mit Bruttoschulden in Höhe von 111 Milliarden Franken. Das sind satte 14 Milliarden Franken mehr als Ende 2019. Im langjährigen Vergleich ist es aber nicht besonders viel. 2005 stand der Bund mit 130 Milliarden Franken in der Kreide – der bisherige Höchststand.
Wirklich aussagekräftig werden diese Zahlen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP), also dem Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen, die während eines Jahres in einem Land hergestellt werden. Je höher das BIP, desto mehr Schulden kann sich ein Land leisten. Für die Schweiz sind 111 Milliarden Franken 2021 deshalb nicht das Gleiche wie im Jahr 2000. Schliesslich ist unsere Volkswirtschaft seither deutlich gewachsen.
Gemäss Finanzdepartement belaufen sich die Bruttoschulden des Bundes im Verhältnis zum BIP aktuell auf 15 Prozent. Zum Vergleich: In den Jahren 2002 und 2003 betrug dieser Wert 24,9 Prozent. Und auch noch im Jahr 2014 lag die Schuldenquote des Bundes bei über 15 Prozent (siehe Grafik).
Vor sieben Jahren kam niemand auf die Idee, dass der Staat wegen dieser Schuldenquote den Gürtel enger schnallen müsse. Heute ist es anders.
«Wir haben in den nächsten Jahren kaum Geld für neue Aufgaben»
Vor wenigen Wochen, am 15. Januar 2022, sagte Finanzminister Maurer an der SVP-Delegiertenversammlung in Reconvilier BE: «Die Corona-Krise hat dazu geführt, dass wir bis Ende dieses Jahres etwa 35'000 Millionen Franken ausgegeben haben werden zur Bewältigung dieser Krise.» Das sei auch in etwa der Anstieg der Schulden, so Maurer weiter. Und schliesslich: «Das wird uns jetzt einholen in den nächsten Jahren. Wir haben in den nächsten Jahren kaum Geld für neue Aufgaben.»
Kaum Geld für neue Aufgaben? Wie kommt Maurer zu diesem Schluss? Wieso ist eine Schuldenquote von 15 Prozent ein Grund zur Panik, wenn sie noch vor wenigen Jahren kein Problem war? Und wieso sind die Bruttoschulden des Bundes seit 2019 nur um 14 Milliarden Franken gestiegen, obwohl zur Bewältigung der Krise gemäss Maurer zusätzliche 35 Milliarden Franken ausgegeben wurden?
Finanzdepartement klärt auf
Ein Sprecher des Finanzdepartements erklärt die Diskrepanz so: «Im Zusammenhang mit dem Abbau der Corona-Schulden ist der Fehlbetrag von 35 Milliarden Franken entscheidend und nicht die ausgewiesenen Bruttoschulden.» Die Bruttoschulden seien aus verschiedenen Gründen weniger stark angestiegen als dieser Fehlbetrag: «Einerseits konnte 2020 ein grösserer Teil der Corona-Massnahmen mit flüssigen Mitteln gedeckt werden, weil diese Ende 2019 sehr hoch waren. Andererseits war 2021 die Einnahmenentwicklung sehr gut, auch weil die SNB zusätzliche Gelder ausschüttete.»
Um das zu verstehen, muss man wissen: Der Bund verfügt über ein Sonderkonto – ein sogenanntes Amortisationskonto –, auf dem ausserordentliche Einnahmen und Ausgaben verbucht werden. Vor der Pandemie war der Saldo dieses Kontos deutlich positiv. Per Ende 2022 rechnet der Bund aber mit einem Minus von 25 bis 30 Milliarden Franken. «Dieser Fehlbetrag muss wieder abgebaut werden», so das Finanzdepartement.
Zwei Varianten stehen zur Wahl
Die Frage ist, wie das geschehen soll. Denn wie das Beispiel mit dem Amortisationskonto zeigt: Die Buchhalterei ist zuweilen eine erstaunlich kreative Wissenschaft. Und je nachdem, wie viel Kreativität das Parlament dem Finanzdepartement erlaubt – aus Ueli Maurers Sicht dürfte es wohl eher eine Bürde sein –, desto schneller und schmerzfreier könnte der Schuldenabbau vonstattengehen.
Der Bundesrat hat zwei Varianten in Konsultation geschickt. Die erste Variante will die Corona-Schulden innert zwölf Jahren abbauen. Die Hälfte davon sollen erwartete Zusatzausschüttungen der Nationalbank beitragen, die andere Hälfte künftige Überschüsse des ordentlichen Haushalts.
Die zweite Variante ist noch kreativer und soll die Corona-Schulden gar innert sechs Jahren vergessen machen. Dabei soll ein spezielles Ausgleichskonto angezapft werden, über das der Bund ebenfalls verfügt. Auf diesem liegen aktuell rund 25 Milliarden Franken, die von früheren Haushaltsüberschüssen stammen. Der Rest soll wie bei Variante eins von künftigen Überschüssen des ordentlichen Haushalts kommen.
Der langen Rede kurzer Sinn: Der Bund kann die ausserordentlichen Ausgaben, die zur Bekämpfung der Pandemie nötig wurden, ohne spürbare Einschnitte kompensieren – sofern es das Parlament so will.
Der Grund: In der Vergangenheit wurden ausserordentliche Überschüsse angehäuft, die niemand so richtig auf der Rechnung hatte.