«Schauen Sie, was die Ukraine alles geschafft hat»
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Selenski hält Rede am WEF:«Schauen Sie, was die Ukraine alles geschafft hat»

Er will Ölembargo, Bankenausschluss und IT-Sanktionen
Selenski rüttelt die WEF-Elite auf

Der ukrainische Präsident fordert Waffen, Geld und Haltung. Der Druck auf die Schweiz wächst.
Publiziert: 23.05.2022 um 22:13 Uhr
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Aktualisiert: 24.05.2022 um 09:43 Uhr
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Von Kiew aus virtuell präsent: Wolodimir Selenski, Präsident der Ukraine.
Foto: keystone-sda.ch
Lea Hartmann, Nicola Imfeld, Fabienne Kinzelmann und Christian Kolbe aus Davos

Davos GR ist blau-gelb. Am Ortseingang begrüsst die WEF-Besucher ein grosses Banner mit den offiziellen Wappenfarben der Gemeinde. Es sind die gleichen Farben wie diejenigen der ukrainischen Flagge: ein symbolträchtiger Zufall. Drei Monate nach Kriegsbeginn drehte sich am ersten Konferenztag alles um das unter russischer Attacke leidende Land.

«Allein heute haben wir 87 Menschen verloren und die Zukunft der Ukraine wird ohne diese 87 Menschen sein», sagte Wolodimir Selenski (44) in einer Videoansprache. Der ukrainische Präsident kritisierte die Gespräche und Meetings in Davos, während sein Land ums nackte Überleben kämpft. Dem Ausland warf er vor, frühere Warnungen der Ukraine in den Wind geschlagen zu haben – mit fatalen Folgen. «Wenn es diese Einigkeit, diesen Druck auf Regierungen und Unternehmen schon früher gegeben hätte – hätte Russland dann diesen Krieg begonnen? Ich bin sicher, die Antwort auf diese Frage ist: nein.»

«Russland fordert die gesamte westliche Welt heraus»
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Abgeordnete Yevheniia Kravchuk:«Russland fordert die gesamte westliche Welt heraus»

Selenski will Ölembargo, Bankenausschluss und IT-Sanktionen

Es könne nicht sein, dass man Sanktionen erst dann ergreife, wenn etwas Schlimmes geschehe. Finanzielle, politische und militärische Hilfe sei umso wertvoller, je rascher sie komme. «Hätten wir das alles schon Ende Februar bekommen, wären Zehntausende gerettete Leben das Resultat.»

Selenski forderte maximale Sanktionen gegen Russland: ein Ölembargo, den Ausschluss aller russischen Banken vom Zahlungsverkehr und Sanktionen gegen den IT-Sektor. Russische Vermögen müssten konsequent aufgespürt, beschlagnahmt oder eingefroren werden. Ein zentraler Punkt seiner Rede war zudem der Wiederaufbau der Ukraine, den er so rasch wie möglich angehen will.

Die WEF-Teilnehmer applaudierten stehend für den virtuell zugeschalteten Selenski. Andere Vertreterinnen und Vertreter der Ukraine waren persönlich vor Ort. Wie etwa Yevheniya Kravchuk (36), eine führende Abgeordnete aus Selenskis Partei.

«Der Präsident hat genau das Richtige gesagt. Jeder Staats- und Regierungschef, jeder Wirtschaftsführer kann sich jeden Morgen dafür entscheiden, die Ukraine zu unterstützen», sagt Kravchuk im Gespräch mit Blick. 19 Stunden lang fuhr sie mit dem Zug nach Warschau, dann stieg sie ins Flugzeug in die Schweiz, um die WEF-Teilnehmer vom maximalen Druck auf Russland zu überzeugen.

«Mitten in Europa tötet jemand Kinder, vergewaltigt Frauen»

Kravchuk trägt eine weisse Bluse mit Wyschywanka, einem traditionellen Stickmuster aus ihrer Heimat. Von der Strasse in Kiew brachte sie ein Stück einer Artilleriegranate mit. «Mitten in Europa tötet jemand Kinder, vergewaltigt Frauen, verschleppt Leute, steckt sie in Konzentrationslager. Das ist der blanke Horror. Es gibt in diesem Konflikt nur Schwarz und Weiss und man kann nicht irgendwo in der Mitte stehen», sagt sie mit Blick auf die Schweiz.

Wer in Davos dabei ist, kann das kaum ignorieren. Ukraine, Ukraine, Ukraine überall: Die ukrainische First Lady hat einen virtuellen Auftritt im Ukraine House, im Russia House werden Kriegsverbrechen gezeigt und «Krypto-Queen» Olga Feldmeier organisiert am Mittwoch das House of Ukraine. Vielbeachtet war zudem der Auftritt der Klitschko-Brüder am Montag. Vitali Klitschko (50), Bürgermeister von Kiew, richtete seine Worte ans Publikum. «Wir verteidigen Sie alle», sagte er. Wobei die Ukraine dafür den höchsten Preis zahle: Menschenleben. «Es ist darum wichtig, dass Sie die Ukraine weiterhin unterstützen», flehte er.

Was kann die Schweiz tun?

Selenski und seine Mitstreiter haben die Ukraine noch nicht zurückerobert, aber dafür die Aufmerksamkeit in Davos gewonnen. «Das war eine sehr eindringliche Rede, die uns klargemacht hat: Es darf keine Gewöhnung geben. Denn der Krieg ist für viele Menschen in der Ukraine eine bittere Realität», sagt Robert Habeck (52), deutscher Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Energie, nach dem Auftritt des ukrainischen Präsidenten.

Auch Bundespräsident Ignazio Cassis (61) hat die Rede beeindruckt. Der Bündner Regierungsrat Christian Rathgeb (52) gab sich nachdenklich: «Selenski hat uns alle aufgerufen, jeden Tag darüber nachzudenken, wie wir der Ukraine helfen können.»

Wie die Schweiz helfen kann, steht für Ukrainerinnen und Ukrainer fest. Sie brauchen Geld – und Waffen. Das sei «die beste humanitäre Hilfe», sagt die ukrainische Parlamentarierin Kravchuk. Hinter den Kulissen machen Deutschland und die USA Druck auf die Schweiz, die Lieferungen für Panzermunition zu genehmigen. Die Schweiz habe sich intellektuell verrannt, heisst es.

Bisher ist allerdings nicht absehbar, dass die Schweiz in dieser Sache ihre Meinung ändert. Bundespräsident Cassis hat in seiner Rede am WEF die roten Linien der Schweiz betont. Diese seien durch das Neutralitätsrecht vorgegeben. Internationale Zusammenarbeit sei erlaubt – die Mitgliedschaft in militärischen Allianzen und Waffenlieferungen an Kriegsparteien aber nicht.

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