Ein Mann hat ein Bewerbungsgespräch bei der Deutschen Bahn und kommt eine halbe Stunde zu spät. Als er eintrifft, fragt ihn der Chef, ob ihm seine Verspätung bewusst sei. Der Bewerber: «Ja – und es ist mir komplett egal.» Chef: «Wunderbar, sie sind angestellt.»
Die Deutschen haben sich in den letzten Jahren Dutzende Witze dieser Art ausdenken können. Zeit dazu hatten sie genug, während sie auf den Zug warteten. Ihre Staatsbahn ist wegen Management-Versagens und struktureller Probleme Jahr für Jahr schlechter geworden. Da hilft nur noch Zynismus.
Weh dem, der in der aktuellen Hitze ICE fahren muss – nur ein Fünftel (20 Prozent!) ist voll funktionsfähig. «Wir bitten Sie um Verständnis dafür, dass die Klimaanlage nicht funktioniert. Leider ist es den Mitarbeitern im Bordbistro ausserdem nicht möglich, gekühlte Getränke zu verkaufen, weil die Kühlanlagen kaputt sind.»
Satire? Regelmässig Realität!
Das Bisschen mehr an Verspätungen, die Dosto-Farce und der Baustellen-Sommer der SBB sind nichts dagegen. Oder wie viele Witze kursieren über die SBB?
SBB gewinnt in jeder Studie
All das ist nicht nur ein Alltags-Gefühl, sondern erhärtet. Zum einen gibt es nationale Erhebungen zum Image der Bahnen: Laut dem Marktforschungsinstitut GFK waren die SBB 2018 eines der Unternehmen mit der besten Reputation im Land. Ähnliche Umfragen fördern für die Bahn in Deutschland regelmässig das Gegenteil zutage.
Daneben bestehen länderübergreifende Studien, die die Bahnen direkt vergleichen. So hat das Weltwirtschaftsforum (WEF) 2018 als Teil einer grossen Umfrage unter mehreren Tausend Wirtschaftsführern weltweit erhoben, wie gut deren Meinung nach ihre nationale Bahngesellschaft arbeitet. Die Schweiz liegt knapp vor Japan auf Platz eins. Danach kommt lange nichts.
Die Great Train Comparison des englischen Zugreise-Portals Loco2 arbeitet mit härterer Währung als bloss Meinungen: Die Studienautoren haben die Services von 16 europäischen Bahnen ausgewertet. Auch hier schneiden die SBB am besten ab.
Am hellsten scheinen sie in den Bereichen Familienfreundlichkeit, Gastronomie, Behinderten-Freundlichkeit und Velo- und Ski-Mitnahme. Mit auf dem Treppchen stehen die Österreichischen Bundesbahnen und die Deutsche Bahn. Pünktlichkeit war für die Autoren allerdings kein Güte-Kriterium.
Und wie wärs heute?
Am konkretesten ist die Erhebung der Unternehmensberatung BCG aus dem Jahr 2017. Sie lässt unter anderem knallharte Werte wie Pünktlichkeit oder Passagier- und Unfallzahlen in die Schlussabrechnung einfliessen, aber auch die Billettpreise. Und auch hier holen sich die SBB die Goldmedaille.
Nun sind all diese Studien nicht brandneu. Vielleicht würden die SBB heute nicht mehr ganz so grandios abschneiden. Schliesslich ist ein Teil der Vorwürfe an sie, die BLICK diese Woche behandelt hat, erst in den letzten Monaten aufgekommen. Zum Beispiel die Verspätungen wegen der Baustellen-Flut oder die Akzentuierung der Dosto-Krise.
Und doch wird sofort klar, wenn man einmal über den Tellerrand schaut: Die SBB sind noch lange keine Lachnummer.