VW-Chef mit Charmeoffensive vor Kartell-Enthüllung
«Man tut dem Diesel unrecht»

In einem Interview versucht VW-Chef Matthias Müller (64) die Wogen im Diesel-Skandal zu glätten. Seine Aussagen sind Teil einer grossen Kampagne für den Dieselmotor. Das wird umso deutlicher nach dem am Freitag erhobenen Vorwurf, VW, BMW und Daimler hätten ein Kartell gebildet.
Publiziert: 21.07.2017 um 15:03 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 01:54 Uhr
Matthias Müller, Chef von VW, startete in der NZZ vom Freitag eine Charmeoffensive in Sachen Diesel. Die wirkt nun wie blanker Hohn.
Foto: Philippe Rossier
Vinzenz Greiner

Die Charmeoffensive begann am Frühstückstisch. Und sie endete am Nachmittag in Zynismus. «Man tut dem Diesel unrecht», las man am heutigen Freitagmorgen in der Zeitung. Gesagt hat es VW-Chef Matthias Müller (64) in einem grossen Interview mit der «NZZ». Dass sein Konzern mit der Manipulation von Abgaswerten dem Image des Dieselmotors geschadet hat, spielt er im Interview herunter.

Die Software zur Abgassteuerung sei komplex. «Beim Übergang zwischen einer legitimen Abgassteuerung zum Schutz von Bauteilen bei niedrigen Temperaturen und der gezielten Manipulation der Abgaswerte gibt es Graubereiche», so Müller.

Stunden nach dem Interview enthüllt der «Spiegel» das Auto-Kartell

Das Interview bekommt im Laufe des Freitags eine zynische Note. Denn nur wenige Stunden nach Erscheinen ruft VW-Marke Audi 850'000 Diesel-Autos zurück. «Hierdurch wird das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen weiter verbessert», schrieb die VW-Marke in bestem PR-Deutsch. Will heissen: Die Stinker sollen nach einem Software-Update den gesetzlichen Anforderungen genügen, wie sie es eigentlich schon längst tun sollten. Der Rückruf gilt auch für Modelle der Marken Porsche und VW, die mit baugleichen Motoren ausgerüstet sind.

Am Freitagnachmittag dann enthüllt der «Spiegel»: Die grossen deutschen Autobauer haben sich abgesprochen. Seit den Neunzigern bestehe laut dem Nachrichtenmagazin ein Kartell von BMW, Audi, Daimler, Porsche und VW. Technische Absprachen legten dem Bericht nach nicht nur den Wettbewerb lahm – sondern auch den Grundstein für den Diesel-Skandal.

Deutscher Verkehrsminister und Ökonomen an Charmeoffensive für VW beteiligt

Angesichts dieser Recherchen scheint es wie blanker Hohn, wenn Müller im Interview sich über die Kritik an den Feinstaub-Werten von Diesel-Motoren echauffiert. «Die Kampagne gegen den Diesel ist heftig», sagte der VW-Chef der «NZZ». Die neuen Diesel-Generationen seien sehr gut. Müller plädiert daher «für eine sachliche, ausgewogene Diskussion».

Die wünscht sich auch der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (47, CSU), der gleichzeitig dem «Focus» ein Interview gab. Europäische Hersteller könnten «nur mit ehrlicher Bereitschaft zur Aufklärung, Offenheit und Transparenz» Vertrauen zurückgewinnen. Er selbst würde sich einen Diesel kaufen. «Das sind sparsame, hocheffiziente Kraftpakete», wirbt der Minister im «Focus»-Interview.

Anfang der Woche war das deutsche Ifo-Institut mit einer Studie für die Autoindustrie in die Bresche gesprungen. Über 600'000 Industriearbeitsplätze hingen an der Verbrennertechnik, schrieb das wirtschaftsfreundliche Institut. Die These, die deutsche Automobilindustrie habe «aufgrund ihrer Technikführerschaft bei Diesel und Benziner» zu spät auf alternative Antriebe gesetzt, liesse sich nicht halten.

Kläger gegen VW in Deutschland bisher kaum erfolgreich

Spät kommen dagegen die Erklärungen für den Diesel-Skandal. Bisher stehe fest, «dass individuelles Fehlverhalten und persönliche Versäumnisse von Mitarbeitern und gewisse Defizite in einigen Bereichen der Technik die Diesel-Krise verursacht haben.» Definitive Aussagen über die Ursachen könne man noch nicht machen, so Müller.

Betroffen sind auch Kunden in der Schweiz. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte Anfang 2017 zwischen 1500 und 2000 Klagen gebündelt und an die Staatsanwaltschaft Braunschweig geschickt. In der deutschen Stadt hat VW seinen Hauptsitz. Konsumentenschützer empfahlen betroffenen Schweizern, sich zudem einer Sammelklage einer niederländischen Stiftung anzuschliessen.

Den Klägern versucht Müller nun den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auf die Frage nach der Entschädigung von Kunden, die ihre Wagen in Deutschland zurückgeben, sagte Müller, man müsse jeden Fall für sich betrachten. «In der weit überwiegenden Anzahl der bisher vor Landgerichten behandelten Fälle haben die Kläger nicht recht bekommen.»

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