Fünf, vier, drei, zwei, eins … Der Erstflug der Ariane 6 am 9. Juli war ein beachtlicher Teilerfolg: Die dritte Zündung des Triebwerks der zweiten Raketenstufe schlug fehl, aber der Grossteil der Mikrosatelliten konnte in den Orbit gebracht werden. Der Start markiert den Beginn einer neuen Ära für die europäische Raumfahrt und für zukünftige kommerzielle Flüge. Mit an Bord: die Schweiz.
Das Geschäft mit den Raketen geht steil nach oben. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt das Marktvolumen bis 2028 auf rund 350 Milliarden Dollar pro Jahr, bei einer jährlichen Wachstumsrate von bis zu 10 Prozent. Der Bund geht von einem globalen Umsatz der gesamten Raumfahrtindustrie von 1 Billion Dollar bis 2030 aus. Der grösste Teil davon entfällt auf die Satellitenproduktion für den zunehmenden Datenverkehr, gefolgt von Teilen für die Raketenherstellung und die Produktion für Weltraumstationen. Auch das Geschäft mit Weltraumtouristen zieht an und ist laut McKinsey in vier Jahren bald mehr als eine halbe Milliarde Dollar gross.
Davon profitiert auch die Schweiz. Für die Ariane 6 liefert das grösste Raumfahrtunternehmen des Landes, Beyond Gravity (vormals Ruag Space), bis zu 20 Meter hohe und 1800 Kilogramm schwere Nutzlastverkleidungen. Die Teile werden am Standort Emmen gefertigt. Zudem liefert Beyond Gravity die Technologie für die Trennung der Raketenstufen und schützt die Rakete vor dem Verglühen.
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Grosse Bodenausrüstungen für die Ariane 6 kommen von der zweiten grossen Raumfahrtfirma, mit Sitz in Aigle VD: Apco Technologies produzierte und lieferte für den Erststart im Juli Raketenmodule direkt an den Startplatz in Französisch-Guyana. «Der Erfolg dieses ersten Starts wird das Startsignal geben, um die Produktion zu erhöhen und die nächsten Lose für die Betriebsphase herzustellen», sagt Didier Manzoni, stellvertretender Geschäftsführer von Apco. Sprich: Das Unternehmen wird künftig in Schichten für die weiteren Ariane-Missionen produzieren.
Grosse Wertschöpfung für Schweizer Wirtschaft
Beyond Gravity und Apco sind mit Abstand die grössten Unternehmen der nationalen Raumfahrtindustrie. Es gibt aber noch deutlich mehr Schweizer Firmen, die von der Eroberung des Alls nicht mehr wegzudenken sind. Hierzulande forschen, produzieren und montieren mehr als 124 Firmen direkt Teile für fast alle Missionen der Raumfahrtagentur ESA (European Space Agency) und der NASA (National Aeronautics and Space Administration) in den USA. Auch private Space-Firmen wie Jeff Bezos’ Blue Origin, Elon Musks SpaceX und Richard Bransons Virgin Galactic fliegen mit Komponenten aus der Schweiz. Marsroboter, Raumstationen und geplante Mondbasen kommen nicht ohne Bauteile made in Switzerland aus.
Die hiesigen Firmen im Raumfahrtsektor beschäftigen 2500 Personen und steuern mehr als 300 Millionen Franken pro Jahr zur nationalen Wertschöpfung bei. Inklusive indirekte Beteiligungen, Zulieferer und Kooperationspartner sind 420 Schweizer Firmen bei der ESA gelistet, vom Start-up zur Urinaufbereitung bis zum Hersteller von Satellitenantennen. Indirekt sind es mehrere Tausend Jobs in der Schweizer Weltraumindustrie. Die Wertschöpfung erreicht über Umwegrentabilitäten sogar bis zu 1,5 Milliarden Franken pro Jahr. Die Branche ist im Weltraum und in der Schweiz essenziell geworden.
Kampf gegen Asteroiden
Besonders hoch im Kurs stehen derzeit Komponenten und Technologien der Schweizer Lieferanten für die Entnahme von Gesteinsproben auf dem Mars, Satelliten für die Massenkommunikation und die Erdbeobachtung, die Erkundung des Alls mittels Sonden und Hochleistungsteleskopen, Flüge zum Jupiter und die militärische Sicherheit im Weltraum. Zudem beschäftigt man sich hierzulande seit eineinhalb Jahren mit der planetaren Verteidigung. Nicht gegen Aliens, sondern gegen Asteroiden.
Diese Erfolgsstory kommt nicht von ungefähr. Seit Jahrzehnten dringt die Schweizer Space-Industrie mit Mensch und Maschine tief ins All vor und atmet Geschichte im luftleeren Raum. Den Startschuss gab das 1960 gegründete Swiss Committee for Space Research, um an internationalen Weltraumprojekten teilzunehmen.
Die Projekte reichten bis in die Uhrenindustrie. Buzz Aldrin, der 1969 als zweiter Mensch den Mond betrat, trug während der Apollo-11-Mission auf Anraten der NASA eine Omega Speedmaster. Die Uhr wurde als «Moonwatch» bekannt und ist eine Legende unter den Zeitmessern.
Schweiz als Gründungsmitglied der europäischen Raumfahrt
1975 wurde die Schweiz Gründungsmitglied der ESA. Und nur fünf Jahre später beteiligte sich die Schweiz bereits am Meteosat-Projekt, was die Satellitentechnologie im Land bedeutend vorantrieb.
Knapp zwanzig Jahre nach Aldrins Mondexpedition wurde Claude Nicollier als erster Schweizer Astronaut von der ESA ausgewählt und nahm an diversen Shuttle-Missionen teil. An seinem Handgelenk: die Moonwatch. Die Uhrenmarke setzte zusammen mit der ESA in den 90ern noch eins drauf und entwickelte eine Astronautenuhr für noch grössere Distanzen: die Marstimer X-33. Diese könnte bereits das Handgelenk von Marco Alain Sieber zieren. Sieber wurde 2022 als der zweite Astronaut in der Geschichte der Schweizer Raumfahrt von der ESA ausgewählt. Seine Missionen könnten ihn bald zur Raumstation ISS und einmal zum Mond und zurück führen.
Auf der Erde geht es in der Industrie derweil irdischer zu. Beyond Gravity muss sich überlegen, wie es sein erfolgreiches Space-Business fortsetzen kann. Das Staatsunternehmen hat vom Bund den Auftrag erhalten, das Geschäft bis Ende 2025 zu privatisieren. «Ein Börsengang ist nicht vorgesehen», sagt ein Sprecher, dafür der Verkauf im Rahmen eines Auktionsverfahrens. Gesprochen werde mit Private-Equity-Investoren, Family Offices und strategischen Investoren. Man wolle «den Staatsbetrieb zu einem agilen Unternehmen mit Start-up-Mentalität» machen. Produktion und Forschung sollen deutlich erhöht und beschleunigt werden, um mehr Nutzlastverkleidungen, Satellitenpaneele und Dispensersysteme, unter anderem für Amazons Blue Origin, liefern zu können.
Ruf nach mehr politischer Unterstützung
Die Nachfrage internationaler Weltraumfirmen wächst so rasant, dass es nicht einfach wird, diese zu bedienen. «Wir stehen im Wettbewerb mit europäischen, amerikanischen und globalen Unternehmen, die mehr denn je durch eine grosszügige Industriepolitik unterstützt werden», sagt Manzoni. Das fehlt offenbar in der Schweiz: «In einem Bereich, der für unsere Sicherheit, unsere Transporte, unsere Kommunikation und unsere Infrastrukturen von strategischer Bedeutung ist, sollte unsere Industrie besser unterstützt werden», sagt der Apco-Manager.
Der Bundesrat hatte bereits Ende 2020 erkannt, dass er handeln muss. Die nationale Weltraumpolitik wurde «insbesondere angesichts der Zunahme privater Akteure» überprüft. Doch erst drei Jahre später lag das Update vor. In der «Weltraumpolitik 2023» steht: «Gemessen am Volumen der staatlichen Investitionen gehört die Schweiz heute global zu den zwanzig aktivsten Raumfahrtnationen.»
Allerdings hat die Schweiz fast sechzig Jahre nach der Mitgründung der ESA auch mit Problemen zu kämpfen, allen voran deren Unternehmen. So wurden die Regeln für den Handel mit zivil sowie militärisch nutzbaren Gütern dramatisch verschärft. Zu solchen Dual-Use-Gütern gehören auch Weltraumprodukte und -technologien. Das führt zu Wettbewerbsnachteilen.
Problem Nummer zwei: Es gibt noch immer kein Rahmenabkommen mit der EU. Der Bund schreibt: «Die aktuelle Nicht-Assoziierung der Schweiz an die EU-Rahmenprogramme für Forschung und Innovation hat auch direkte Auswirkungen auf die Schweizer Teilnahmemöglichkeiten an europäischen Programmen mit Bezug zur Raumfahrt.» Die Konsequenz: Es drohen Wettbewerbsnachteile.
Für Manzoni von der Apco wäre schon viel gewonnen, wenn die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union im Bereich der Raumfahrt bekräftigt würde. Insbesondere wenn es um die Massenkommunikation und die Erdbeobachtung geht. «Es ist für die Schweizer Industrie, aber auch für die Schweizer Bürgerinnen und Bürger von entscheidender Bedeutung, dass sie von allen Dienstleistungen dieser Infrastrukturen profitieren können.»
Davon hängen in der Schweiz Millionen Mobilfunk- und Internetnutzer, Tausende Mitarbeiter, Hunderte Firmen und ein Astronaut ab.