Vergütungsexpertin über Vor- und Nachteile von Lohntransparenz
«Wer viel verdient, lügt oft über den eigenen Lohn»

Lohntransparenz ist in der Schweiz nach wie vor ein heikles Thema. Doch würden Angestellte und Firmen davon profitieren? Und warum sträuben sich viele Arbeitgeber davor, mehr Transparenz einzuführen? Professorin Anna Sender, die auf dem Gebiet forscht, hat Antworten.
Publiziert: 22.03.2025 um 06:52 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2025 um 08:53 Uhr
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Professorin Anna Sender lehrt und forscht an der Hochschule Luzern zum Thema Lohntransparenz.
Foto: ANNA KULESZA PHOTOGRAPHY

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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Viele Schweizer würden lieber mit dem Nachbarn einen Streit vom Zaun brechen, als dass sie Kolleginnen und Kollegen ihren Lohn offen legen. Und auch bei vielen Arbeitgebern ist es nicht gern gesehen, wie eine Studie der Universität Luzern 2018 gezeigt hat. Das damalige Ergebnis: Jedes vierte Unternehmen entmutigt ihre Beschäftigten, über den Lohn zu sprechen. Und jeder zehnte Arbeitgeber hat formelle Richtlinien, die dies verbieten.

Anna Sender (46) war Co-Autorin der Studie und ist heute Professorin an der Hochschule Luzern. Dort forscht und lehrt sie im Bereich Talent Management, Vergütungssysteme und Lohntransparenz.

Frau Sender, der Lohn ist für viele Angestellte ein Tabuthema. Gibt es Gruppen, die offener darüber reden?
Anna Sender: Hier sieht man klar, dass jüngere Angestellte und solche mit tieferen Löhnen viel offener darüber reden. Je älter die Beschäftigten und je höher ihr Lohn, desto verschlossener sind sie beim Thema Lohntransparenz.

Es gibt auch Arbeitgeber, die partout nicht möchten, dass sich ihre Angestellten über ihre Löhne austauschen. Was sind die Gründe?
Die Unternehmen befürchten, dass sie dadurch unproduktiver werden. Beispielsweise, weil Führungskräfte viel Zeit dafür aufwenden müssen, die Löhne gegenüber den Angestellten zu erklären, wenn die Teammitglieder untereinander die Löhne kennen. Und dass sich Angestellte zu sehr mit dem Lohnthema beschäftigen und ihnen Zeit für wichtige Projekte, die Wertschöpfung generieren, und Kunden fehlt. Kriegt jemand einen Bonus, sagt der Vorgesetzte deshalb womöglich, dass man darüber mit niemandem sprechen soll.

Sind diese Sorgen berechtigt?
Intransparente Firmen nehmen an, dass sich ihre Angestellten weniger mit dem Lohn beschäftigen. Doch das ist oft falsch. Die Beschäftigten tauschen sich trotzdem über Gehälter aus. Und ohne Lohntransparenz kursieren häufig falsche Zahlen. Unter anderem, weil Angestellte, die mit Kollegen über ihren Lohn sprechen, oft lügen. Gerade, wenn sie viel verdienen.

Dann würden Sie Firmen also die Einführung von Lohntransparenz empfehlen?
Das würde ich definitiv nicht jedem Unternehmen empfehlen. Es hängt davon ab, wie transparent ein Arbeitgeber generell ist und was für eine Kultur in der Firma herrscht. Eine weitere Frage ist, wie weit man bei der Lohntransparenz gehen will. Macht man Lohnbänder publik? Setzt man auf prozedurale Transparenz, also welche Kriterien für den Lohn eine Rolle spielen? Oder legt man gar personalisierte Löhne offen? Und Transparenz von heute auf morgen einzuführen, ist eine ganz schlechte Idee.

Weshalb?
Zuerst muss die interne Lohnstruktur überprüft werden. Bei einigen Arbeitgebern können manche Löhne komplett aus dem Gehaltsgefüge herausstechen. Da muss man zuerst Ordnung hineinbringen. Zudem muss man der Belegschaft das Lohnsystem erst erklären, bevor man personalisierte Löhne offenlegt. Ein weiteres Problem: Viele Grosskonzerne haben ein sehr komplexes Lohnsystem, das schwierig zu vermitteln ist.

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Welche Branchen sind besonders intransparent?
Dazu gehört sicher der Finanzsektor. Hohe Boni sind für die Einführung von Lohntransparenz hochproblematisch. Sie setzen sich meist aus objektiv messbaren Leistungen, aber auch aus qualitativen Faktoren zusammen, die viel schwieriger nachvollziehbar begründet werden können. Wir sehen derzeit jedoch einen Trend hin zu Teamboni, welche die Einführung von Lohntransparenz vereinfachen. Ganz generell führen in der Schweiz immer mehr Firmen Lohntransparenzmassnahmen ein.

Führt Lohntransparenz zu mehr Leistung?
Im negativen Fall kommt jemand zum Schluss, dass er oder sie im Vergleich zu den Kollegen zu wenig verdient, wirkt sich das negativ auf die Leistung aus. Problematisch sind auch Lohnunterschiede, die nicht leistungsbedingt zu erklären sind. Beispielsweise, weil gewisse Spezialisten auf dem Arbeitsmarkt viel rarer geworden sind und mit sehr hohen Löhnen geködert werden müssen, die das Lohngefüge sprengen.

Und im positiven Fall?
Hat man das Gefühl, dass das eigene Gehalt fair ist, fühlt man sich wertgeschätzt, und das kann sich leistungsfördernd auswirken. Kennt man den Lohn des Vorgesetzten, motiviert das zudem einige zu mehr Leistung, weil sie Karrierechancen sehen. Transparenz steigert auch das Vertrauen ins Unternehmen. Die Angestellten denken dann, die Firma hat nichts zu verstecken. Dadurch steigt auch die Treue zum Arbeitgeber. Für Firmen kann es zudem bei der Personalsuche ein Vorteil sein.

Trägt Transparenz auch zu faireren Löhnen bei?
Diskriminierung wie der Gender Pay Gap nehmen ab. Transparenz führt zu mehr Lohngleichheit. Aber sie führt auch dazu, dass das Lohnband zusammenrückt. Beispielsweise, weil Vorgesetzte die Boni gleichmässiger verteilen. Dabei können sich wiederum Leistungsträger benachteiligt fühlen.

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