Von Kiew nach Zürich sind es auf dem Landweg rund 2100 Kilometer. Als der Krieg im Februar 2022 losging, flüchteten viele Ukrainerinnen und Ukrainer per Auto. Manche von ihnen gelangten bis in die Schweiz.
Die Autos mit ukrainischen Nummernschildern führen bei Blick-Lesern zu Fragen: Sind ukrainische Autos für den Fall einer Kollision genügend versichert?
Versicherungsbüro und Garantiefonds greifen ein
Grundsätzlich gilt: Verursacht ein mit ukrainischen Kontrollschildern versehenes Motorfahrzeug in der Schweiz einen Unfall, prüft zuerst das Nationale Versicherungsbüro (NVB), ob die notwendigen Papiere vorliegen – also eine grüne internationale Versicherungskarte oder eine anderweitige Grenzversicherungspolice. Ist das der Fall, ist das NVB für die Deckung der Schäden zuständig. Die Abwicklung erfolgt durch Mitglieds- und Schadenregulierungsgesellschaften. Diese nehmen anschliessend Rückgriff auf den zuständigen ukrainischen Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer.
Fehlt die grüne Karte oder eine Grenzversicherungspolice, erfolgt die Schadensdeckung durch den Nationalen Garantiefonds der Schweiz (NGF). Dieser muss für Schäden einstehen, die in der Schweiz durch nicht versicherte Motorfahrzeuge verursacht werden. Wichtig: Der NGF nimmt auf die nicht versicherten Halter für die von ihm an deren Stelle erbrachten Leistungen Rückgriff, soweit diese Halter durch den Regress nicht in eine finanzielle Notlage geraten.
Finanziert werden das NVB und der NGF durch Beiträge der Autofahrer. Die Haftpflichtversicherer erheben diese Beiträge zusammen mit der Prämie.
Stromausfälle machen ukrainischen Versicherern zu schaffen
Svitlana Shvydka (51) wohnt aktuell in Adliswil ZH. Sie hat vor einigen Wochen ihren BMW aus der Ukraine geholt. «Ich habe für das Auto damals einen Kredit aufgenommen und hatte Angst, dass es im Krieg beschädigt wird», erklärt sie. Sie hat regelkonform eine grüne Versicherungskarte für 6613 ukrainische Hrywnja (rund 169 Franken) eingelöst. Diese ist ein Jahr gültig. Ohne grüne Karte kommt jetzt ohnehin niemand mehr aus der Ukraine: Die polnischen und ungarischen Grenzwächter achten laut Shvydka peinlich genau darauf, dass diese vorhanden ist.
Umso überraschter ist Shvydka, dass sich viele in der Schweiz fragen, ob es bei einem Unfall mit einem Auto mit ukrainischem Nummernschild zu Komplikationen kommen könnte: «Die Sorge ist völlig unbegründet.» Zudem sind die ukrainischen Versicherungen weiterhin solvent. «Trotz der Widrigkeiten sind die ukrainischen Versicherer in der Lage, internationale Versicherungskarten herauszugeben und Schäden abzuwickeln», weiss NVB-Sprecher Daniel Wernli.
Aufgrund der kriegsbedingten Strom- und Internetausfälle sei zwar mit vermehrten Schwierigkeiten zu rechnen. «Die Schadenabwicklung gegenüber Schweizer Geschädigten ist dadurch jedoch nicht tangiert, da sie durch das NVB und den NGF nicht von einer Vorleistung eines ukrainischen Versicherers abhängt», so Wernli.
Autoverkauf kein Thema
«Wir fahren möglichst selten und sind sehr vorsichtig unterwegs, weil wir keine Probleme haben wollen und die Kosten niedrig halten», sagt Svitlana Shvydka. Angst hat sie vor den teuren Schweizer Bussen. In der Ukraine seien Tempoüberschreitungen bis 20 km/h bussenfrei. Ihr Auto ist beim Unternehmen Arx in der Ukraine versichert, das auch Büros in der Schweiz hat. Sie habe also alles Mögliche getan, um hier regelkonform zu verkehren.
Umso verunsicherter ist sie, dass sie nun demnächst gezwungen sein könnte, ihr Auto zu verkaufen. Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) hat vorgeschlagen, dass alle Sozialhilfe beziehenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine dies nach spätestens einem Jahr in der Schweiz tun müssen. In gewissen Fällen können Ausnahmen gelten.
Für Svitlana Shvydka ist klar: «Ich bleibe, bis der Krieg vorbei ist.» Verkaufen will sie ihr Auto nicht, auch wenn sie es selten benutzt. Weil sie viel zu wenig Geld dafür erhalten würde. Weil sie das Auto brauche, um ihre Habseligkeiten nach Hause zu bringen. Weil sie gar nicht wisse, wie sie beim Verkauf vorgehen sollte. Sie hoffe, dass sie ihr Auto bei Bedarf auch längerfristig behalten könne – und sich alle bewusst seien, dass die ukrainischen Verkehrsteilnehmer keine Gefahr darstellten.