Es sollte ein Befreiungsschlag sein, doch der wird nun zum Rohrkrepierer. In einem Schreiben an Schweizer Parlamentarier rühmte der Migros-Chef sein Unternehmen als Unterzeichnerin eines Uno-Pakts für verantwortungsvolles Wirtschaften. Das Problem: Die Migros ist schon seit 2019 nicht mehr Mitglied dieses Pakts – unter anderem wegen der Kosten.
Hintergrund des Zumbrunnen-Fauxpas ist die Zusammenarbeit der Migros mit Socar. Die Migros-Tochter Migrolino hat mit dem staatlichen aserbaidschanischen Erdölunternehmen eine Franchisevereinbarung für den Betrieb von rund 70 Migrolino-Shops an den Socar-Tankstellen. Das heisst: Der kaukasische Staatskonzern betreibt die Migrolino-Shops, der Gewinn fliesst nach Aserbaidschan.
Socar fiel in sozialen Medien negativ auf
Die Kooperation ist heikel. Aserbaidschan ist eine totalitäre Autokratie. Machthaber Ilham Alijew führt in der Region Bergkarabach Krieg gegen Armenien. Und Socar fiel in den sozialen Medien mit Kriegspropaganda auf.
Am 16.September schrieb Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt zusammen mit Parlamentskolleginnen und Parlamentskollegen einen Brief an den Migros-Chef. Darin wirft er ihm vor, mit der Socar-Kooperation den Krieg gegen Aserbaidschans Nachbarland zu finanzieren. Und fordert ihn auf, die Zusammenarbeit zu beenden.
Nur eine Woche später antwortete Zumbrunnen. In einem Mail an die Politiker verteidigte er die Zusammenarbeit mit Socar, betonte aber: «Die Migros verurteilt grundsätzlich jegliche Art von Menschenrechtsverletzungen.» Es sei der Genossenschaft ein grosses Anliegen, dass die Menschenrechte überall auf der Welt eingehalten werden. Dann folgt der heikle Satz: «Als Unterzeichner des UN Global Compact (...) haben wir uns freiwillig verpflichtet, hohe Sozial- und Umweltstandards in unserer Lieferkette umzusetzen.»
Migros fehlt auf Uno-Liste
Wer den Uno-Pakt unterschreibt, bekennt sich zu sozialen und ökologischen Mindeststandards. Aktuell sind 207 Schweizer Unternehmen dabei, darunter die UBS, Novartis oder Glencore. Die Migros aber fehlt auf dieser Liste.
Der Detailhändler ist 2019 ausgetreten, ebenso wie Coop. Bis zu jenem Zeitpunkt war es den unterzeichnenden Firmen freigestellt, ob sie einen finanziellen Beitrag leisten wollen oder nicht. Danach war eine Mitgliedsgebühr Pflicht.
Die Höhe des Beitrags hängt vom Umsatz ab. Im Falle der Migros wären jährlich rund 10'000 Franken fällig. Die hat die Migros nie bezahlt. Und wurde aus der Liste der Unterzeichnenden gelöscht.
CEO behauptet das Gegenteil
Warum behauptet CEO Zumbrunnen im Brief an die Parlamentarier das Gegenteil? Migros-Sprecher Tristan Cerf: «Im Brief haben wir geschrieben, dass Migros den Pakt unterzeichnet hat. Diese Aussage bezieht sich auf das Commitment von 2006, als die Migros sich offiziell den Prinzipien des UN Global Compact verpflichtet hat.»
Zugleich räumt Cerf ein, dass sich die Migros 2018 gegen die damals eingeführte kostenpflichtige Mitgliedschaft entschieden habe. Grund: «Weil die dort fokussierten Themen wie Umwelt, Menschenrechte, Sozialstandards und Korruption bereits durch wichtige andere Initiativen umfassend abgedeckt sind.» Die Migros bekenne sich aber unabhängig von der Mitgliedschaft weiterhin zu den Prinzipien des UN Global Compact.
Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. «Es kann nicht sein, dass ein CEO einfach vergisst, dass er gar nicht mehr auf der Liste ist. Das ist der Migros unwürdig.»
Migros löst Irritationen aus
Auch die Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone, die den Brief an Zumbrunnen mitunterzeichnet hat, zeigt sich irritiert: «Offenbar fühlt sich die Migros zu Recht unwohl bei der Zusammenarbeit mit Socar. Sonst würde Herr Zumbrunnen kaum nicht verifizierte Informationen verbreiten.» Die Politiker fordern, dass die Migros ihren Austritt aus dem Uno-Pakt überdenkt.
Zumbrunnen wird sich kaum noch darum kümmern können. Er hat seinen Rücktritt bekannt gegeben.
Ende April 2023 legt er sein Amt als CEO nieder.