Aserbaidschan greift Armenien an – 49 Personen sterben
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Steht ein neuer Krieg bevor?Aserbaidschan greift Armenien an

Konflikt in Bergkarabach – Blick beantwortet die wichtigsten Fragen
Löst Putins Schwäche einen zweiten Krieg aus?

Im Grenzgebiet zwischen Armenien und Aserbaidschan sind wieder Kämpfe ausgebrochen. Hinter den verfeindeten Staaten stehen Russland und die Türkei. Greifen die Schutzmächte in den Streit ein? Blick ordnet ein.
Publiziert: 13.09.2022 um 14:33 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2022 um 17:06 Uhr
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Ein armenischer Soldat feuert auf den Gegner: 2020 kam es in der Grenzregion zwischen Armenien und Aserbaidschan zu einem offenen Konflikt.
Foto: keystone-sda.ch
Guido Felder

Im Schatten des Ukraine-Krieges sind zwischen Aserbaidschan und Armenien in der Nacht auf Dienstag wieder heftige Kämpfe ausgebrochen. Schauplatz ist das umkämpfte Grenzgebiet Bergkarabach, das 13 Mal kleiner ist als die Schweiz. Brisant: Russland ist Schutzmacht von Armenien, die Türkei unterstützt Aserbaidschan.

Wie reagiert Putin, kommts zu einem weiteren Krieg?

Was passiert zurzeit in Bergkarabach?

Das armenische Verteidigungsministerium teilte mit, aserbaidschanische Truppen hätten an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und grosskalibrigen Waffen angegriffen. Es gebe mindestens 49 Tote. In Baku sprach das Verteidigungsministerium Aserbaidschans wiederum davon, dass ein grossangelegter armenischer Sabotageversuch die Kämpfe ausgelöst habe.

Warum bricht der Konflikt gerade jetzt wieder aus?

Aserbaidschan könnte die Gelegenheit nutzen, um im Schatten des Ukraine-Krieges in Armenien einzumarschieren. Denn Russland ist als Schutzmacht Armeniens zurzeit in der Ukraine beschäftigt und militärisch massiv unter Druck. ETH-Sicherheitsanalyst Niklas Masuhr (29) bestätigt diese These: «Aserbaidschan hat seit dem Krieg von 2020 kontinuierlich den Druck aufrechterhalten.»

Hilft die Schutzmacht Russland den Armeniern?

Russland und Armenien gehören dem postsowjetischen Militärbündnis «Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit» (CSTO) an. Moskau wäre damit verpflichtet, seinem Bündnispartner militärisch beizustehen. Dem Bündnis gehören zudem Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan an. Bisher hat sich der Kreml zum jüngsten Konflikt noch nicht geäussert. Russland zeigte aber schon immer wenig Interesse daran, sich in den Konflikt hineinziehen zu lassen. Wegen des Ukraine-Kriegs hätte Moskau zurzeit auch die Ressourcen nicht dazu.

Welche Rolle spielt die Türkei?

Die Türkei versteht sich als Schutzmacht von Aserbaidschan. Beim Konflikt vor zwei Jahren hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan (68) rund tausend Soldaten der Hamza-Brigade, mit der er in Syrien gegen Herrscher Baschar al-Assad, den IS und die Kurden kämpft, nach Aserbaidschan verlegt. Zum aktuellen Konflikt hat er noch nicht reagiert.

Erdogans provokatives Vorgehen hat mehrere Gründe: Einerseits bezieht die Türkei Gas und Öl aus dem «muslimischen Bruderstaat» Aserbaidschan, andererseits ist das Thema Armenien in der Türkei aus historischen Gründen hochemotional. So wehrt sich die Türkei, die Massaker während der Zeit des Osmanischen Reichs an der armenischen Bevölkerung als Völkermord anzuerkennen.

Nicht anerkannte Republik

Bergkarabach ist ein selbsternannter Staat an der Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird. Mit einer Fläche von 3170 Quadratkilometer ist das Gebiet rund 13 Mal kleiner als die Schweiz. Die Einwohnerzahl beträgt 146’000. Die Republik wird auch Arzach genannt. Präsident ist Arajik Harutjunjan (48).

Bergkarabach ist ein selbsternannter Staat an der Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird. Mit einer Fläche von 3170 Quadratkilometer ist das Gebiet rund 13 Mal kleiner als die Schweiz. Die Einwohnerzahl beträgt 146’000. Die Republik wird auch Arzach genannt. Präsident ist Arajik Harutjunjan (48).

Eskaliert die Lage?

Das ist schwierig zu sagen. Das deutsche Auswärtige Amt jedenfalls mahnte Deutsche in der Region zur Vorsicht, eine Ausweitung der Kämpfe sei nicht ausgeschlossen. Wer in einem von Kampfhandlungen betroffenen Gebiet sei, solle sich an einen geschützten Ort begeben und dort warten, bis man ihn sicher verlassen könne. Gerade Dschermuk ist bei ausländischen Touristen beliebt, dort befindet sich ein bekanntes Mineralbad.

Wer hat die besseren Chancen?

Das öl- und gasreiche Aserbaidschan ist militärisch und wirtschaftlich überlegen. Auch ist es dreimal so gross wie der Nachbar und hat eine vorwiegend junge Bevölkerung. 2,24 Milliarden Dollar steckt Baku pro Jahr in den Verteidigungshaushalt, bei Armenien sind es 625 Millionen. Bei den Panzerkräften hat Aserbaidschan so inzwischen ein vierfaches Übergewicht, bei den Luftstreitkräften immerhin ein doppeltes.

Worum geht es beim Bergkarabach-Konflikt?

Das umstrittene Bergkarabach gehört völkerrechtlich zum islamisch-geprägten Aserbaidschan, wird aber von christlichen Armeniern bewohnt und hat sich für selbstständig erklärt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatten sich armenische Kräfte in einem Krieg von 1992 bis 1994 die Kontrolle über das Gebiet gesichert und besetzten weite Teile Aserbaidschans.

2016 starben beim «Viertägigen Krieg» mindestens 200 Menschen. 2020 gewann Aserbaidschan seine Gebiete zurück und eroberte strategisch wichtige Stellen in Bergkarabach. Russland war Vermittler und sorgte für eine Waffenruhe. Die letzten Kämpfe fanden im August statt.

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