Am Ende musste noch lange gezittert werden. Zwar zeichnete sich seit Mitte Februar eine Lösung zur Rettung der Winterthurer Brauerei Chopfab Boxer ab, die sich finanziell übernommen hatte. Doch die Appenzeller Brauerei Locher wollte nur einsteigen, wenn alle Gläubiger einem Schuldenschnitt zustimmten.
Nun ist klar: Locher schiesst Geld ein und übernimmt die Mehrheit der Aktien. Das bestätigen die Geschäftsführer der beiden Brauereien im Gespräch mit der «Handelszeitung». Zu den genauen Konditionen schweigen sich die beiden Seiten aus. Heute Freitag wurden Mitarbeitende und Geschäftspartner über die Übernahme informiert.
Die Verhandlungen waren harzig, denn Locher machte den Forderungsverzicht zur Bedingung. «Wir spürten viel Goodwill bei unseren Geschäftspartnern», sagt Locher-Geschäftsführer Aurèle Meyer. Keine Abstriche gemacht werden konnten lediglich bei staatlichen Rechnungen wie den Mehrwertsteuer-Ausständen von Chopfab Boxer. «Aber das war eigentlich klar», so Chopfab-Boxer-Chef Philip Bucher.
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Operativ bleibt vorerst vieles gleich. Chopfab Boxer werde eine Beteiligung von Locher, an der Geschäftsleitung und den Betriebsstandorten ändere sich nichts, versichern Meyer und Bucher. Locher-Chef Meyer und Brauerei-Inhaber Karl Locher ziehen jedoch in den Verwaltungsrat der Winterthurer Tochter ein.
Rote Zahlen seit der Boxer-Übernahme
Mit dem Verlust der Eigenständigkeit endet der sagenhafte Aufstieg einer Brauerei, die erst 2013 als «Doppelleu» ins Geschäft eingestiegen war und innert weniger Jahre unter die Top Ten der Schweizer Brauereien vorstiess. Zuletzt rangierte Chopfab Boxer gemäss HZ-Recherchen auf Rang sechs mit einem Marktanteil von 3 bis 4 Prozent.
Zum Verhängnis wurde Chopfab der hohe Verschuldungsgrad, insbesondere nach dem Anstieg der Zinsen. Die Finanzierung mit viel Fremdkapital erlaubte ein steiles Wachstum, das zuletzt jedoch nicht mehr rentabel war. 2017 und 2018 habe man noch schwarze Zahlen geschrieben, sagt Bucher. Danach kam zuerst die Übernahme der Westschweizer Brauerei Boxer und anschliessend Corona, womit Chopfab in die Verluste rutschte.
Und so dürfte Locher inzwischen wohl auch den Bierkonzern Heineken hinter sich gelassen haben, der bislang mit seinen zwei Brauereien in Chur (Calanda) und Luzern (Eichhof) auf Rang zwei lag.
Eine der grössten Schweizer Brauereien steht in Appenzell
Locher ist längst ein Riese unter den Schweizer Bierproduzenten mit zahlreichen Braustätten. In Appenzell betreibt Locher zwei Brauereien: Eine Kleinbrauerei am historischen Firmensitz und eine grosse am Dorfrand, in der unter anderem das Massenbier «Quöllfrisch» gebraut wird. Chopfab Boxer bringt zwei Brauereien mit: jene in Winterthur sowie eine zweite in Yverdon für die 2017 akquirierte Tochter Boxer. Doch das ist nicht alles.
Schleichend haben die Appenzeller auch ihren Einfluss auf die Berner Brauerei Egger ausgebaut. Erst nur als Produktionspartnerin während des Umbaus der Brauerei in Worb, vor kurzem dann auch mit Kapital. Man habe das Gelände für den geplanten Neubau finanziert und sich darüber hinaus an der Brauerei Egger beteiligt, sagt Meyer. Ob Locher an Egger eine Mehrheit hält, bleibt unklar. Gerüchte, wonach der Neubau infrage gestellt sei, verneint Meyer kategorisch. «Das Projekt läuft und hat mit der Chopfab-Beteiligung nichts zu tun.»
Zum Netzwerk der neuen Brauereigruppe gehört auch ein Ableger im Engadin. Noch bevor Chopfab Boxer selbst in Schwierigkeiten kam, trat die Winterthurer Brauerei als Partnerin bei der Bieraria Tschlin AG auf, die das «Biera Engiadinaisa» produziert. Nicht nur wird das Bündner Bier seither über Chopfab Boxer vertrieben und teilweise über diese abgefüllt, Chopfab-Gründer Philip Bucher ist seit letztem Jahr auch Präsident des Verwaltungsrats.
Eigentlich war geplant, dass Chopfab sich im Rahmen einer Sanierung in Tschlin auch finanziell beteiligen sollte, wie Recherchen der «Handelszeitung» zeigen. Demnach gab es 2022 den Plan, dass die damalige Doppelleu im Rahmen einer Kapitalerhöhung die Mehrheit übernehmen könnte. Doch dazu kam es nicht mehr. «Es gibt keine Beteiligung, sondern nur einen Kooperationsvertrag», erklärt Bucher. Das Bier wird gemeinsam vertrieben und in den Brauereien in Winterthur und Yverdon abgefüllt. «Gebraut wird alles im Engadin.»
Und so sind nicht weniger als sechs Brauereien mit der Brauerei Locher assoziiert oder verbandelt. Hinzu kommen andere in der Branche, die bei Locher produzieren oder abfüllen lassen. Längst nicht jeder, der hierzulande Bier vertreibt, hat auch eine eigene Brauerei. Zu den Kunden von Locher gehören unter anderem die Marken Nubia und Calvinus, Chopfab braut in Winterthur Bier für Storm & Anchor. Insgesamt habe man etwa zehn solche Partner, sagt Locher-Chef Meyer.
Brauereibranche in der Konsolidierung
Dass der Zusammenschluss gerade jetzt stattfindet, ist kein Zufall. Die Corona-Krise hat in der Brauereibranche tiefe Spuren hinterlassen, wie sich zunehmend zeigt. Erst brach der Absatz ein, weil viele Restaurants lange geschlossen waren. Dann stiegen die Kosten an. Erst wegen Versorgungsengpässen, dann wegen des Kriegs in der Ukraine, der die Preise für Energie, Rohstoffe und Glasflaschen – in der Ukraine stand ein für die Schweiz wichtiges Werk – ansteigen liess.
Nun läuft eine Konsolidierung in einem Markt, der in den Jahren zuvor nur Euphorie kannte. Zwar stagnierte der Bierkonsum pro Kopf schon seit längerem in der Schweiz. Doch einerseits liess die Zuwanderung die Nachfrage insgesamt ansteigen. Und andererseits führte die grössere Brauerei- und Biersortenvielfalt dazu, dass mehr einheimisches und weniger importiertes Bier getrunken wurde. Und so nahm zuletzt nicht nur die Zahl der Brauereien, sondern auch die Inlandproduktion zu. Und: Viele Schweizerinnen und Schweizer greifen statt zum günstigen Lagerbier zunehmend zu höherpreisigen Spezialitäten.
Doch zumindest in der Statistik ist der Brauerei-Boom zu Ende. Waren Ende 2021 noch 1278 Brauereien beim Bund registriert, so sank diese Zahl per Ende 2023 auf 1192. Nicht bekannt ist, ob es sich bei den gelöschten Brauereien eher um kommerzielle Brauereien oder um Hobbybetriebe handelt. Das zuständige Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit begründet die Abnahme einerseits mit «der Covid-Pandemie und/oder höheren Produktionskosten», führt aber gleichzeitig auch auf, dass man die Statistik im Rahmen einer Digitalisierung von Brauereien bereinigt habe, die keine relevante Produktion mehr hatten.
Brauerei-Verbandsdirektor: «Die traditionelle Stammtischkultur stirbt zunehmend weg»
Auch Verbandsdirektor Marcel Kreber spricht von einer Konsolidierung. Er verweist einerseits auf die genannten Umstände, die zuletzt den Betrieben das Leben schwerer gemacht haben, aber auch auf verändertes Konsumverhalten. «Die traditionelle Stammtischkultur stirbt zunehmend weg und die Generation, welche nachkommt, ist anspruchsvoller.» Die Entdeckerzeit der letzten Jahre sei vorbei, nun gelte es auch für die neuen Brauereien, Zuverlässigkeit und Qualität sicherzustellen. «Die Leute haben inzwischen eine Vorstellung, wie ein India Pale Ale zu schmecken hat.»
Klar ist: Nicht nur bei den Kleinen, sondern auch bei den mittelgrossen Brauereien kam zuletzt Bewegung rein. So gab im Jahr 2021 die Badener Brauerei Müller die eigene Brauerei auf und lässt inzwischen das Bier mehrheitlich bei Falken in Schaffhausen brauen. In Baden verblieb eine kleine Brauerei für den lokalen Konsum. Die Fischinger Klosterbrauerei von Brauerlegende Martin Wartmann hat ihre Zusammenarbeit mit Falken ebenfalls ausgebaut. Die Schaffhauser brauen immer mehr Dosenbier unter der Marke Pilgrim, wie Wartmann bestätigt. Falken hatte als eine der ersten Brauereien in der Schweiz eine Dosenabfüllanlage und hilft schon seit Jahren anderen Brauereien mit Abfüllen und Lohnbrauen aus.
Und so ist der Schweizer Markt mittlerweile hochkonzentriert. Die grössten fünf Brauereigruppen produzieren gegen 90 Prozent des Schweizer Biers: Feldschlösschen/Carlsberg, Locher/Chopfab, Heineken, Ramseier und Schützengarten. Gar 97 Prozent des Biers kommt von den 37 grössten Brauereien des Landes, die im Brauerei-Verband organisiert sind.
Nun werden Synergien zwischen Chopfab und Locher geprüft
An den Strukturen bei Locher und Chopfab Boxer soll sich zunächst nichts ändern, sagen die Beteiligten. Standorte sollen nicht aufgehoben werden. Klar ist aber auch: Doppelspurigkeiten dürften künftig vermieden werden. So plante Chopfab noch vor kurzem, selber eine teure Dosenabfüllanlage bauen zu wollen. Diese Pläne sind nun gestrichen. Primär wolle man zunächst mal den Einkauf zusammenlegen und Synergien im Vertrieb nutzen, sagt Locher-Chef Meyer. «Wir decken mit unseren Marken ein breites Spektrum ab, alle unsere Marken sind etabliert und erfolgreich.»
Ein Gerücht in der Branche dementiert Meyer hartnäckig: das, wonach Firmenbesitzer Karl Locher den imposanten Familienbetrieb dereinst verkaufen oder an die Börse bringen wolle. Man sei gut aufgestellt und habe keine entsprechenden Pläne, sagt Firmenchef Meyer. Und ergänzt: «Dafür bin ich zu sehr Appenzeller.»