Sie sind gut ausgebildet, ambitioniert – und stehen auf dem Abstellgleis. Frauen, die nach der familienbedingten Pause mit über 40 Jahren am Arbeitsmarkt wieder voll durchstarten wollen.
In linearen Karrieren passieren die grössten Sprünge zwischen 30 und 40. Wer bis dann noch nicht im mittleren Kader ist, der (respektive: die) hat wohl überhaupt keine Karriereambitionen, so die landläufige Meinung. «Damit vergibt sich die Schweizer Wirtschaft unglaublich viel Potenzial», kritisiert Alexandra Rhiner (52) von Advance, einem Verband, der sich für die Geschlechtergleichstellung in der Schweizer Wirtschaft einsetzt. Rhiner ist Mit-Autorin eines jüngst erschienenen Whitepapers zu den Karriereaussichten von Frauen über 40. Die Bilanz der Umfrage bei 1200 berufstätigen Frauen in dieser Altersgruppe ist ernüchternd.
Fast jede zweite Frau zwischen 41 und 45 Jahren ist unzufrieden mit ihrem beruflichen Fortkommen. Befragt wurden Frauen aus unterschiedlichen Branchen, die in Grossunternehmen tätig sind. KMU waren nicht Teil der Erhebung. Die Umfrage von Advance, dem Kompetenzzentrum für Diversität und Inklusion der Universität St. Gallen und der Unternehmensberatung EY ist nicht repräsentativ – aber gemäss den Studienautorinnen «sehr aussagekräftig». Mehrere von Blick angefragte Forschende im Bereich Geschlechterungleichheit und Arbeitsmarkt bestätigen dies.
Gläserne Decke in der Schweiz dicker als anderswo
Viele Frauen reduzieren zwischen 30 und 40 für die Kinderbetreuung das Arbeitspensum. Während ihre männlichen Arbeitskollegen Beförderung um Beförderung erhalten, sind die Frauen karrieretechnisch aufgrund ihrer Teilzeitpensen langsamer unterwegs. Nur 4 Prozent aller Beförderungen gehen gemäss dem Gender Intelligence Report der HSG an Mitarbeitende, die weniger als 80 Prozent arbeiten.
«Nach 40 ist die ‹Rushhour des Familienlebens› bei vielen Frauen vorbei», erklärt Rhiner. «Sie stehen in ihrer Karriere dort, wo ihre männlichen Kollegen mit 30 standen.» Sie wären bereit, ihre Pensen wieder hochzuschrauben und mehr Verantwortung zu übernehmen. Doch in vielen Fällen gelangen sie dabei an die sprichwörtliche gläserne Decke.
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Sie ist für die Schweiz hinreichend statistisch belegt. Im «Glass-Ceiling Index» des britischen Magazins «The Economist» liegt die Schweiz Jahr für Jahr auf den hintersten Rängen. Wir schneiden weit schlechter ab als der OECD-Durchschnitt. «Das klassische Geschlechterrollenbild ist in der Schweiz nach wie vor stärker verankert als anderswo», sagt dazu die Soziologieprofessorin Stephanie Steinmetz (49). Sie forscht an der Universität Lausanne unter anderem zur Geschlechterungleichheit am Schweizer Arbeitsmarkt. «Frauen mit Kindern werden hierzulande stärker in die Teilzeitarbeit gedrängt, was oftmals unvereinbar mit einer Leitungsfunktion ist.»
Mit verheerenden Folgen, ergänzt Rhiner: «Mütter tragen in den Augen der Arbeitgeber einen Stempel: Sie gelten als Mütter, die auch noch arbeiten, statt als Arbeitskräfte, die auch noch Mütter sind.» Zwar gibt es mittlerweile in vielen Unternehmen Programme spezifisch für die Förderung von Frauen. Doch oft richten sie sich an junge Frauen in ihren 30ern. «Frauen über 40 sind am Arbeitsmarkt unsichtbar, sie sind ein blinder Fleck in der Führungskräfteentwicklung», sagt Rhiner. 40 gilt in der Gesellschaft als das neue 30 – am Arbeitsmarkt scheint das noch nicht angekommen zu sein.
Unterbeschäftigung – trotz Fachkräftemangel
Das sorgt bei betroffenen Frauen für Frust. In einer Studie zuhanden des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) aus dem Jahr 2023 geben 85 Prozent der befragten arbeitstätigen Mütter an, dass sie sich für ihren Job überqualifiziert fühlen.
«Frauen in ihren 40ern haben noch mehr als 20 Jahre Arbeitszeit vor sich», erinnert Rhiner. Investitionen in diese Arbeitskräfte würden sich lohnen – gerade angesichts des Fachkräftemangels. Die Lösung? «Die Unternehmen müssen sich dieses ungenutzten Potenzials bewusst werden», rät Rhiner. Eine Analyse der eigenen Belegschaft nach Geschlecht, Alter und Position kann dazu der erste Schritt sein.