Herr Fischer, vor kurzem hat SNB-Präsident Thomas Jordan seinen Rücktritt erklärt. Und das, bevor die Parlamentarische Untersuchungskommission ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Dabei steht auch die SNB in der Kritik wegen des Managements der CS-Krise. Es heisst, sie habe zu streng auf ihr eigenes Mandat geschaut und zu wenig das Gesamtbild im Auge gehabt.
Lenny Fischer: Nun, keine Zentralbank der Welt schaut wirklich nur noch strikt auf ihr Mandat. Sonst wären die letzten Krisen alle schiefgegangen. Die Notenbanken sagen zwar, sie geben Liquidität nur gegen werthaltige Sicherheiten, aber in Tat und Wahrheit waren sie – Beispiel Corona-Krise – längst dabei, alle möglichen Wertpapiere zu akzeptieren. Aber erlauben Sie mir eine Gegenfrage: War wirklich das Verhalten der Notenbank in der CS-Krise ein Problem?
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Das ist einer der Kritikpunkte.
Ich finde, die Diskussion geht am wahren Thema vorbei. Das Grundproblem ist doch, dass die Credit Suisse eine weltweit agierende Bank war, mit Sitz in einem Land, dessen Wirtschaft und Währung im internationalen Vergleich zwar seriös, aber von der Grösse her vergleichsweise irrelevant sind. Das BIP der Schweiz umfasst rund 800 Milliarden Franken, die Bilanz der CS war rund 600 Milliarden Franken schwer. Das BIP der USA umfasst 23 Billionen Dollar, die grösste US-Bank hat vielleicht eine Bilanzsumme von 2 oder 3 Billionen Dollar. Damit ist klar, in welch vollkommenen unterschiedlichen Dimensionen die Zentralbanken der Schweiz und der USA agieren müssen. Die CS geriet in eine Liquiditätskrise, für die sie zum grossen Teil auch Fremdwährungen brauchte. Hier zu helfen, war für die Schweizerische Nationalbank also gar nicht so einfach.
Aber die SNB kann doch die nötige Liquidität in Dollar über sogenannte Swap-Abkommen von der US-Notenbank beziehen?
Natürlich kann die SNB Liquidität in Fremdwährungen aufnehmen. Aber sie geht damit ein Risiko ein. Denn die SNB muss sich in Relation zur Grösse der Schweizer Wirtschaft in überdimensionalem Masse in Dollar und Euro verschulden, um das Geld einer strauchelnden Bank zu leihen, damit jene ihre Kunden in Asien auszahlen kann.
Die Schweiz ist also zu klein, um Heimat für eine Bank von der Grösse der CS zu sein?
Eindeutig. Genau das heisst das.
Und was machen wir jetzt mit der UBS, die ja noch viel grösser ist?
Ich weiss es nicht. Hoffen, dass es nicht schiefgeht.
Das ist nicht sehr ermutigend.
Nein, und deshalb verstehe ich auch nicht, warum sich in der Schweiz alle noch so mit der Vergangenheit beschäftigen. Mit Fragen, ob Jordan zu zögerlich agiert hat. Viel wichtiger ist doch die Frage: Was soll der Chef einer Notenbank machen, deren Primärauftrag die Sicherstellung der Geldwertstabilität ist, wenn ein solcher Koloss ins Straucheln gerät? Wie viele Risiken darf die Nationalbank dann eingehen? Für die USA ist solch ein Fall kein Problem. Droht eine Bank pleitezugehen, kann die Fed praktisch unbegrenzt Dollars zur Verfügung stellen. Zudem sind die US-Bankenpleiten vor einem Jahr im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt des Landes nur Peanuts. In der Schweiz liegt der Fall dagegen anders.
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Braucht es also so etwas wie eine Grössenbeschränkung für eine Schweizer Bank?
Allein schon aus praktischen Gründen sollte sich eine Bank selbst die Frage stellen, ob die Schweiz für sie der richtige Standort ist, wenn sie eine aggressive globale Wachstumsstrategie verfolgt. Was waren und sind denn die grossen Vorteile des Standortes Schweiz? Das Private Banking profitierte von der politischen Neutralität des Landes. Hinzu kommen Faktoren wie die Solidität der Wirtschaft, des Staates und der Rechtsordnung. Das macht es den Schweizer Banken leichter, Gelder aus dem Ausland anzuziehen. Wenn sie aber hierbei eine gewisse Grösse überschreiten, geht die Rechnung für beide Seiten nicht mehr auf.
Warum? Profitiert die Schweiz nicht davon, dass sie Heimat einer Grossbank ist, etwa durch die Versorgung mit Grosskrediten, der Begleitung internationaler Transaktionen?
Sorry, aber dazu brauchen die Schweizer Unternehmen keine Grossbank mit Sitz in der Schweiz.
Wirklich? In der Finanzkrise haben US-Banken in Europa ziemlich schnell ihre Kreditlinien zusammengestrichen.
Wenn man das zu Ende denkt, müsste ja jedes Land sich seine eigene Grossbank vorbehalten. Das ist Unsinn, weil Banken ihre Kredite nicht primär nach nationalen Präferenzen vergeben. Auch die Amerikaner haben in der Krise Europa nicht komplett verlassen. Und in Sachen Finanzierung geht es auch immer um die Frage, über welche Währung man redet. Für die Finanzierung in Franken sind die Schweizer Banken gross genug. Die Frage ist einfach, ab wann eine Bank für ihren Heimatmarkt zu gross ist, als dass der Staat oder die Notenbank dieser Bank noch beispringen kann. Wie gross ist jetzt die UBS im Verhältnis zum Schweizer BIP?
Ihre Bilanz ist ungefähr doppelt so gross wie das BIP.
Dann wünsche ich doch viel Spass. Ich weiss nicht, warum das alle so entspannt sehen. Was ist denn, wenn mal was schiefgeht? Die Frage sollte sich auch die UBS selbst stellen. Wenn die Credit Suisse eine US-Bank gewesen wäre, dann wäre sie nicht pleitegegangen. Punkt.
Warum das denn?
Weil die US-Notenbank Fed der CS so viele Dollar wie nötig gegeben hätte.
Das hat die SNB doch auch getan?
Die SNB muss dazu aber Fremdwährungen leihen und geht damit enorme Risiken ein, sie kann keine Dollars drucken. Das kann nur die Fed. Ich weiss nicht, was an diesem März-Wochenende passiert ist, aber eines scheint mir klar zu sein: Die Amerikaner hatten ein Interesse, dass das Problem der Credit Suisse radikal gelöst wird. Und so wie die Dinge am Wochenende vom 19. März lagen, hatte die Schweiz kaum mehr Handlungsspielraum.
Sind nicht die Bonussysteme ein Brandbeschleuniger für Krisen, weil sie Anreize setzen, dass Banken immer grösser werden?
Es gibt viele Sektoren, da verdienen sie heute mehr als bei Banken. Und in Deutschland zum Beispiel waren es die Landesbanken, die in der Finanzkrise von 2008 sehr viel Geld durch ihre internationale Expansion verloren haben. Und deren Geschäftsleitungsmitglieder kannten in den meisten Fällen keine Boni. Der Treiber für die Expansion ist oft auch Grössenwahn und nicht nur das Vergütungssystem.
Aber auch bei den Vergütungssystemen zog in der Schweiz schnell amerikanischer Grössenwahn ein?
Das Grundproblem der europäischen Banken war lange, dass sie glaubten, in den USA gegen die US-Banken antreten zu können. Alle sind gescheitert: die Deutschen, die Briten, die Schweizer. Umgekehrt sind US-Banken mit Erfolg in den europäischen Bankenmarkt eingedrungen. Warum? Weil sie den Dollar als Finanzierungsquelle haben und der Dollar ist nun mal die Weltleitwährung, das gibt ihnen einen Wettbewerbsvorteil. Ich habe bis heute nicht begriffen, warum es nicht zu den strategischen Grundüberlegungen der europäischen Banken gehört, welchen Einfluss der Dollar auf ihr Geschäft hat. Gegen US-Banken mit ihrem Dollar-Vorteil in deren Kerngeschäftsfeldern anzutreten, halte ich für gefährlich.
Im vergangenen März wurde aber nicht nur die CS, sondern auch US-Banken wie die Silicon Valley Bank Opfer einer Vertrauenskrise?
Bei der Silicon Valley Bank war nicht das Vertrauen, sondern das Geld weg. Es ist doch der absolute Kalauer, dass die Silicon Valley Bank und die dahinterstehende Tech-Elite mit der ältesten Zockernummer des Bankgeschäfts vor die Wand gefahren sind: Aus kurz mach lang. Die Bank hat mit kurzfristigen Einlagen langlaufende US-Staatsanleihen mit höheren Zinsen gekauft. Das muss man sich mal vor Augen führen: Die ach so kluge Tech-Elite verliert ihr Geld mit dieser uralten Nummer. Als die Zinsen stiegen, verloren die Anleihen an Wert. Die Eigenkapitalposition sah nur deshalb anfänglich noch gut aus, weil Staatsanleihen nicht zu Marktwerten in der Bilanz stehen müssen. Doch als die Kunden ihr Geld abzogen und die Bank ihre Investments verkaufen musste, wurden die Verluste real.
Aber was kann getan werden, um diese Risiken zu minimieren? Hier muss doch der Regulator ran?
Am Ende können Sie nur hoffen, dass eine Bank von vernünftigen Leuten geführt wird. Und dass der Staat so solvent ist, dass er die Bank im Krisenfall retten kann.
Die ganze Diskussion um Bussen gegen fehlbare Banker, höhere Eigenmittel für Banken mag nützlich sein, löst das Grundsatzproblem aber nicht?
Genau so ist es. In den USA ist die letzte Bankenkrise, jene der Regionalbanken, durch eine Spekulation entstanden, nämlich langlaufende Staatsanleihen mit täglich verfügbaren Einlagen zu finanzieren. Hinzu kommt, dass das gesamte Weltwirtschaftssystem heute viel höher verschuldet ist als zum Beispiel in den 1980er-Jahren. Die hohe Verschuldung führt dazu, dass das gesamte System tendenziell instabiler wird. Das beste Risikomanagement in solch einem Umfeld ist, dass die Risiken, die man eingeht, in vernünftiger Relation zur eigenen Grösse stehen.
Trotz aller Kritik: Sie sind selbst ja weiterhin als Finanzakteur aktiv und beraten den sogenannten Zukunftsfonds, einen Mischfonds für Privatanleger?
Eigentlich sollte der ein Riesenerfolg werden, am Ende ist er nur noch ein Hobby von mir.
Sie wollten 20 Milliarden damit einsammeln, derzeit sind 20 Millionen drin. Was ging schief?
An der Performance liegt es nicht. Wir haben im Verhältnis zur erzielten Rendite eine der tiefsten Wertschwankungen. Und die durchschnittliche Rendite von knapp über 3 Prozent pro Jahr, die wir in den vergangenen fünf Jahren erreicht haben, kann sich meiner Meinung nach sehen lassen, schliesslich hatten wir gleich zwei grosse Krisen. Ich musste aber lernen, dass solche Betrachtungen alleine nicht ausreichen. Was zählt, ist oft die absolut erzielte Rendite. Zudem wir haben das Problem, dass uns keiner verkauft.
Sie haben keinen Bankvertrieb?
Ja. Es war unser Ziel, die Vertriebskosten auf ein Minimum zu senken, damit in einer Niedrigzinsphase bei überschaubarem Anlagerisiko noch genug für den Anleger übrig bleibt. In Deutschland bekommt die Bank beim Verkauf eines Fonds an ihre Privatkunden einen sogenannten Ausgabeaufschlag vom Fondsanbieter. In Grossbritannien und den USA ist das nicht üblich. Denn andernfalls verkauft die Bank nur jene Fonds, bei denen sie von den Anbietern die höchsten Vertriebsvergütungen bekommt. Daher verkauft uns keiner, wir zahlen zu wenig. Wir wollten das über den Digitalvertrieb kompensieren, das hat aber bis jetzt noch nicht richtig geklappt.
Leonhard «Lenny» Fischer (61) galt einst als das Finanzwunderkind Deutschlands. Mit nur 36 Jahren zog der im Emsland geborene Manager in die Geschäftsleitung der Dresdner Bank ein. In der Schweiz machte er sich als Sanierer der Winterthur-Versicherungen und Geschäftsleitungsmitglied der Credit Suisse einen Namen. Heute ist Fischer Unternehmer und Buchautor («Es waren einmal Banker»), zudem lehrt er an der Frankfurt School of Finance & Management.
Ausbildung 1987: Nach einem BWL-Studium an der Uni Bielefeld Abschluss eines Masters in Finanzwissenschaften an der University of Georgia
Berufliche Laufbahn 1985 bis 1995: JP Morgan, von Trainee arbeitet er sich bis in die deutsche Geschäftsleitung hoch 1995 bis 2002: Dresdner Bank, zunächst Leiter Treasury, 1999 Aufstieg in die Geschäftsleitung, Leiter Investmentbanking, nach der Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz wurde Fischer Geschäftsleitungsmitglied der Allianz 2003 bis 2007: Winterthur/Credit Suisse. Fischer übernahm die Leitung der Winterthur, die damals der CS gehörte. März 2007 übernahm er die Leitung des EMEA-Geschäfts der CS-Gruppe und galt als CEO-Kandidat. Doch Brady Dougan bekam den Job. 2007 bis 2016: Wechsel zum Finanzinvestor RHJ, der 2009 den britischen Vermögensverwalter Kleinwort Benson kaufte, 2014 Übernahme der BHF Bank, Umbennung der RHJ in BHF Kleinwort Benson Group. 2015 kaufte die französische Oddo Bank das Unternehmen. 2017: Fischer und Ex-Bild-Chef Kai Diekmann gründen den Investmentfonds «Zukunftsfonds», mit dem sie ursprünglich 20 Milliarden Euro einsammeln wollten.
Leonhard «Lenny» Fischer (61) galt einst als das Finanzwunderkind Deutschlands. Mit nur 36 Jahren zog der im Emsland geborene Manager in die Geschäftsleitung der Dresdner Bank ein. In der Schweiz machte er sich als Sanierer der Winterthur-Versicherungen und Geschäftsleitungsmitglied der Credit Suisse einen Namen. Heute ist Fischer Unternehmer und Buchautor («Es waren einmal Banker»), zudem lehrt er an der Frankfurt School of Finance & Management.
Ausbildung 1987: Nach einem BWL-Studium an der Uni Bielefeld Abschluss eines Masters in Finanzwissenschaften an der University of Georgia
Berufliche Laufbahn 1985 bis 1995: JP Morgan, von Trainee arbeitet er sich bis in die deutsche Geschäftsleitung hoch 1995 bis 2002: Dresdner Bank, zunächst Leiter Treasury, 1999 Aufstieg in die Geschäftsleitung, Leiter Investmentbanking, nach der Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz wurde Fischer Geschäftsleitungsmitglied der Allianz 2003 bis 2007: Winterthur/Credit Suisse. Fischer übernahm die Leitung der Winterthur, die damals der CS gehörte. März 2007 übernahm er die Leitung des EMEA-Geschäfts der CS-Gruppe und galt als CEO-Kandidat. Doch Brady Dougan bekam den Job. 2007 bis 2016: Wechsel zum Finanzinvestor RHJ, der 2009 den britischen Vermögensverwalter Kleinwort Benson kaufte, 2014 Übernahme der BHF Bank, Umbennung der RHJ in BHF Kleinwort Benson Group. 2015 kaufte die französische Oddo Bank das Unternehmen. 2017: Fischer und Ex-Bild-Chef Kai Diekmann gründen den Investmentfonds «Zukunftsfonds», mit dem sie ursprünglich 20 Milliarden Euro einsammeln wollten.
Neu sind Sie auch in der Medienwelt aktiv und sind Verwaltungsrat der «Weltwoche». Warum?
Ich bin grosser Fan des Ansatzes der «Weltwoche», welche die Dinge aus anderen Blickwinkeln betrachtet als die Mainstream-Medien.
Stört Sie die Russland-Berichterstattung denn nicht? Die «Weltwoche» hat sehr verständnisvoll über Putin geschrieben, was Kritik auslöste.
Ich finde es sehr gut, dass die «Weltwoche» auch in der Ukraine-Krise eine andere Sicht in die Diskussion miteinbringt. Dass dies nicht allen gefällt, sehe ich als Ausdruck der Meinungsvielfalt.
Eine letzte Frage: Sie sind kritisch gegenüber dem Schweizer Bankenplatz. Haben Sie dennoch ihr eigenes Geld bei einer Schweizer Bank?
Natürlich, und ich bin auch überhaupt nicht kritisch gegenüber Schweizer Banken und habe erst recht kein Problem mit der UBS. Aber das darf mich ja nicht daran hindern, auf den Interessenkonflikt hinzuweisen, den es gibt zwischen der Grösse und dem Wachstum einer Schweizer Bank und der Grösse ihres Heimatmarktes.