Tina Müller (55) ist eine bekannte deutsche Managerin. Ihr Wechsel in die Schweiz sorgt nun für Stirnrunzeln: Die frühere Marketingchefin des Autokonzerns Opel, zuletzt Geschäftsführerin beim Kosmetik-Riesen Douglas, ist seit Oktober Chefin beim Schweizer Naturkosmetik-Hersteller Weleda mit Sitz in Arlesheim BL. Dabei trifft sie auf eine Branche, die sich nach der Pandemie auf dem absteigenden Ast befindet.
Müller bleibt damit den Konsumgütern treu. Nach einem Wirtschaftsstudium und einjährigen Stationen beim französischen Konsumgüterkonzern L'Oréal sowie dem deutschen Kosmetikunternehmen Wella folgt 1995 ihr erster grosser Job beim Waschmittel- und Klebstoffriesen Henkel. Dort bleibt sie zwei Jahrzehnte, steigt ins Topmanagement auf und verhilft den Kosmetikmarken Schwarzkopf und Syoss zu internationaler Bekanntheit. «Ich verdanke Henkel meine Karriere», sagt sie damals. Seitdem ist Müller Dauergast und Referentin zahlreicher Konsumgüter-Branchentreffen.
Doch 2012 kommt es zur Trennung. Müller wird Buchautorin. Ihr Erstling, geschrieben in Zusammenarbeit mit einer Dermatologin, streift das Kerngeschäft der Managerin: «Zum Jungbleiben ist es nie zu spät» verspricht das «perfekte Programm für mehr Gesundheit und Ausstrahlung». «Für mich steht im Vordergrund, dass ich einen sinnhaften Auftrag übernehme, bei dem es das Ziel ist, das Leben der Menschen schöner und vor allem gesünder zu machen», sagt Müller noch heute.
Von der «Shampoo-Prinzessin» zum «Umparken»
Als ihr Buch 2014 erscheint, hat Müller bei Opel bereits den nächsten Karriereschritt gewagt. Ob ihre Stelle als Marketingleiterin des Autobauers das Leben der Menschen «schöner» und «gesünder» machte, darf debattiert werden. Der Branchenwechsel ist jedoch mehr Zweckentscheid als Wunsch: Weitere Aufstiegschancen wurden Müller bei Henkel verbaut. Ihr damaliger Arbeitgeber blockiert auch einen Wechsel zu Nivea-Produzent und Konkurrent Beiersdorf. Eine Trennung mit Nebengeräuschen.
Medien und Branchenkenner zweifeln zudem, dass die «Shampoo-Prinzessin der deutschen Wirtschaft» plötzlich Individualverkehr kann. Kann sie: Für Müller ist der neue Posten der endgültige Durchbruch. Ihr Werbeslogan «Umparken im Kopf» poliert erfolgreich und wenige Jahre nach dem Beinahe-Konkurs den lädierten Ruf des deutschen Autobauers auf. Mit der Kampagne zerlegt Müller gesellschaftliche Mythen und verleitet die deutsche Bevölkerung, grossflächig wie nur selten über eine Werbung zu diskutieren.
Kaum eine Trennung ohne Nebengeräusche
Bei Opel erlernt Müller dazu eine Strategie, die sie nach vier Jahren zum schwächelnden Parfümerie-Giganten Douglas mitnimmt: kurze und wuchtige Kommunikation, ohne Grussformeln und Nettigkeiten. Nicht umsonst nannte sie das deutsche «Manager Magazin» bald die «härteste Managerin Deutschlands».
Müller bringt Douglas mit ihrer Herangehensweise wieder auf Kurs. Doch erfolgt die Trennung wiederum alles andere als freundlich. Im Oktober 2022 verlässt Müller den Chefposten Knall auf Fall «im gegenseitigen Einvernehmen». Hinter vorgehaltener Hand macht das Gerücht die Runde, dass ein Streit über die zukünftige Ausrichtung den Ausschlag gegeben habe. Müller wollte weiter in die Digitalisierung des Geschäftes investieren, die amerikanische Mehrheitseigentümerin CVC blockte ab.
Im Aufsichtsrat und als Investorin bleibt Müller vorerst im Unternehmen. Mit dem Amtsantritt bei Weleda legt sie nun diese Aufgaben beiseite, um sich der nächsten Baustelle zu widmen. Denn das 1921 gegründete Schweizer Unternehmen bewegt sich in einem Markt mit angestaubtem Ruf in der Kosmetikbranche. Auch die Geschäftszahlen von Weleda sind nach der Pandemie im Sinkflug. 2022 resultiert ein operativer Verlust von 3,2 Millionen Franken, der Umsatz sinkt um 2,6 Prozent. Die Fabrik in Frankreich wird geschlossen, 129 Menschen verlieren ihren Job. Am deutschen Sitz in Schwäbisch Gmünd soll Weleda eine zweistellige Anzahl Arbeitsplätze abbauen. Weshalb tut sich Topmanagerin Müller das an?
Die wirtschaftliche Situation besorge sie keineswegs, sagt Müller im Gespräch mit der deutschen Wirtschaftszeitung «Handelsblatt». Auch wenn 2022 ein schwieriges Jahr für den Konzern war, sei Weleda 2023 bereits wieder in den schwarzen Zahlen. Müller sieht sich selbst nicht als Retterin. «Wer mich holt, will profitabel und nachhaltig wachsen, da geht es weniger um Kostensenkungen.»
Ob es neben dem Mut zum Kleinen auch eine Entscheidung der Ideale war, ausgerechnet bei einem stark auf anthroposophischen Grundsätzen operierenden Unternehmen anzuheuern, ist nicht bekannt. Eine Interview-Anfrage von Blick lehnt Weleda jedenfalls vorerst ab. Man wolle Müller «ankommen lassen und ihr Zeit zur Einarbeitung geben». Zeit, die sie gut gebrauchen kann.