Die Weltbevölkerung ist im Durchschnitt 29 Jahre alt. Entscheidungsträgerinnen aus Politik und Wirtschaft sind im Schnitt 55 Jahre alt.
Das spiegelt sich auch am WEF, das am Freitag zu Ende gegangen ist: Im Kongresszentrum waren viele graue Haare zu sehen. Angela Honegger (31) sticht aus der Menge heraus. Die Haare sind braun statt grau, der Blazer ist cremefarben statt schwarz. «Ich bin absichtlich nicht im schwarzen Anzug hier», sagt die junge Baslerin.
Sie war als eine von 50 Teilnehmenden am WEF, um die Perspektive der jungen Generation nach Davos zu tragen. Die Gruppe nennt sich Global Shapers Community, wurde vom WEF initiiert, der jüngste Teilnehmer ist heuer 22 Jahre alt. «Wir wurden oft darauf angesprochen, die coolste Truppe hier zu sein», sagt Honegger lachend. «Ein grosser Teil des WEF ist aber noch immer männlich und deutlich älter als wir.»
Betreibt das WEF «Youthwashing»?
Die Global Shapers haben sich diese Woche unter anderem mit Microsoft-CEO Satya Nadella (55) oder EZB-Chefin Christine Lagarde (67) unterhalten. «Ich war überrascht, dass diese Leute auf Augenhöhe mit uns gesprochen haben. Sie haben uns ernst genommen», erzählt Honegger, die an der Uni St. Gallen studiert hat und heute im Gesundheitsbereich arbeitet.
Sie und andere der jungen WEF-Teilnehmenden hätten im Vorfeld genau das Gegenteil befürchtet: Dass sie nur als «Quoten-Junge» ans Forum eingeladen werden, ihnen aber gar nicht zugehört wird. «Youthwashing» nennt Pratik Kunwar (29) das, ein Global Shaper aus Nepal. Angelehnt ans «Greenwashing», mit dem Unternehmen sich einen grünen Anstrich verpassen, ohne tatsächlich nachhaltig zu handeln.
Honegger ist anderer Meinung: «Es ist ein ehrliches Bestreben des WEF, junge Stimmen einzubinden.» Dennoch: Die 50 Global Shapers um Angela Honegger stellen einen verschwindend kleinen Anteil der fast 3000 Teilnehmenden dar.
«Nur die üblichen Verdächtigen am WEF»
Es fragt sich, wie gross ihr Einfluss auf die Entscheide ist, welche die Eliten am WEF treffen. Und sowieso: Ob am WEF überhaupt Entscheide getroffen werden, die den Zustand der Welt verbessern, wie es die Organisatoren versprechen – oder ob es nicht doch nur ein grosses Cüpli-Treffen der Mächtigen ist.
Auch unter den WEF-Teilnehmern selber ist Skepsis über sicht- und messbare Erfolge ihres Treffens zu spüren. «Wer ist denn am WEF?», fragt etwa der Zürcher Umwelt-Unternehmer Renat Heuberger (46) rhetorisch. «Es sind die üblichen Verdächtigen: die grossen Firmen.» Die 600'000 KMU in der Schweiz bleiben dem WEF mehrheitlich fern. Dabei stellen sie die Mehrheit der Arbeitsplätze im Land. Entsprechend gross ist ihr Einfluss, etwa wenn es um die Geschlechtergleichstellung am Arbeitsplatz oder die CO2-Emissionen der Wirtschaft geht.
Für KMU ist WEF zu teuer
Die meisten KMU bleiben dem WEF nicht aus Desinteresse fern – sondern aus Kostengründen. Die Teilnahme kostet mehrere Zehntausend Franken. «Die KMU kriegen von den Diskussionen hier am WEF gar nichts mit», kritisiert Heuberger. «Wir müssen die WEF-Themen in die breite Welt bringen. Sonst bringen die Diskussionen nichts.»
Das findet auch die junge WEF-Teilnehmerin Angela Honegger. Sie sieht dabei aber weniger das WEF, als viel mehr jeden Einzelnen in der Pflicht. «Man tut dem WEF Unrecht, wenn man ihm zu viel Weisungskompetenz zuschreibt.» Das WEF sei vor allem eine Plattform, um Kontakte zu knüpfen und neue Ideen zu spinnen. «Dann muss man aber auch etwas daraus machen.»
Kommt hinzu, dass das nicht einmal einwöchige Jahrestreffen in Davos nur die Spitze des Eisbergs ist. «90 Prozent der Arbeit finden unter dem Jahr statt», argumentiert Honegger, die sich seit mehreren Jahren im Netzwerk der Global Shapers engagiert. «Es wäre zu viel verlangt, nach fünf Tagen mit einem konkreten Plan, einem unterschriebenen Vertrag, aus Davos abzureisen.»
Sie sieht das Jahrestreffen als Startschuss. Das WEF habe ihr Gehör verschafft und Türen geöffnet. Nun gilt es, diese auch zu durchschreiten.
Nächstes Jahr werden Honegger und ihre Kolleginnen und Kollegen nicht mehr als Global Shapers am WEF teilnehmen – 50 andere junge Menschen aus dem Netzwerk erhalten ein Ticket. Aber vielleicht kommen sie dereinst zurück – als Ministerinnen, CEOs oder NGO-Vertreter. Oder, wie es Mariam Nourya Koné (27), Mitglied der Global Shapers aus der Elfenbeinküste, formuliert: «In 15 Jahren sitzen wir auf den Chefposten. Hoffentlich machen wir es dann besser.»