Netflix ist mit weltweit 223 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten sowie einer Marktkapitalisierung von rund 128 Milliarden Dollar weiterhin Marktführer im wettbewerbsintensiven Streaming-Business. Doch das US-Medienunternehmen hat mit abnehmenden Abozahlen zu kämpfen. Darum steht es laut dem «Wall Street Journal» kurz davor, eine grosse Kehrtwende einzuleiten – und den gemeinsamen Gebrauch eines Netflix-Kontos zu beenden.
Die Möglichkeit, Passwörter an Freunde und Familienmitglieder weiterzugeben, will das Unternehmen schon im nächsten Jahr abschaffen. Dann sollen User, die sich ein Konto teilen, aufgefordert werden, dafür zusätzlich zu bezahlen. Netflix wird damit wohl Anfang 2023 in den USA starten. Weder ein genaues Datum noch der Aufpreis sind bislang bekannt.
Pläne verschoben wegen Corona-Hoch
Vor fünf Jahren twitterte Netflix noch: «Liebe ist ein gemeinsames Passwort.» Damals liefen die Geschäfte prächtig, das Unternehmen verzeichnete ein stetiges Wachstum an zahlender Kundschaft. Das änderte sich dann 2019, als der Streamingdienst im zweiten Quartal einen seltenen Aborückgang in den USA erlitt.
Für die Führung war das ein Warnsignal, sie ging auf Ursachenforschung. Als Teil des Problems machten die Bosse das Teilen von Passwörtern aus. Schon damals gab es deshalb erste Überlegungen, das gemeinsame Nutzen von Konten zu unterbinden.
Doch dann kam die Pandemie – und mit ihr die Einschränkungen. Die Schliessung von Kinos, Restaurants und anderen Ausgeh-Angeboten liess viele Menschen auf der Suche nach Unterhaltung zu Hause zurück, was Netflix eine Welle neuer Abonnentinnen und Abonnenten bescherte. Allein im ersten Quartal 2020 verzeichnete das Unternehmen fast 16 Millionen neue verkaufte Abos. Die Bemühungen, das Teilen von Passwörtern unter die Lupe zu nehmen, gerieten in den Hintergrund.
In diesem Jahr änderte sich die Lage wieder. Im ersten Halbjahr 2022 verlor Netflix 1,2 Millionen Kundinnen und Kunden. Zwar fand der Streamingdienst im vergangenen Quartal dank dem Erfolg von Serien wie «Stranger Things» und «Dahmer: Monster» zum Nutzerwachstum zurück. Aber die Problematik mit geteilten Konten war wieder auf dem Zettel der Chefetage.
Mehr zu Netflix und TV
An einem Netflix-Meeting in diesem Jahr erklärte Mitgründer und Co-CEO Reed Hastings den leitenden Angestellten, dass der Pandemie-Boom das Ausmass des Passwort-Sharing-Problems verschleiert habe, wie involvierte Personen dem «Wall Street Journal» mitteilten. Das Unternehmen habe zu lange damit gewartet, sich damit zu befassen.
Erste Tests schon in Lateinamerika
Netflix testet das Verbot des Passwort-Teilens bereits in lateinamerikanischen Ländern. Dort ist das gemeinsame Nutzen von Bezahlkonten weit verbreitet. Dazu hat der Streaming-Dienst in Lateinamerika auch mit dem unerlaubten Handel von gestohlenen Passwörtern zu kämpfen.
In diesen Tests müssen die User aktuell zahlen für die gemeinsame Kontonutzung mit Personen, die nicht im gleichen Haushalt wohnen. Anstatt den Zugriff auf das Konto durch Mitbenutzer zu sperren, fordert Netflix den Inhaber, die Inhaberin des Hauptkontos dazu auf, einen Verifizierungscode innerhalb von 15 Minuten für das Gerät einzugeben.
Nach Eingabe des Codes kann der Passwort-Entleiher Netflix uneingeschränkt sehen, wird aber per Mitteilung aufgefordert, eine Gebühr für das Teilen zu bezahlen. Das Unternehmen hat mit diesem Vorgehen laut «Wall Street Journal» gute Erfahrungen gemacht. Deshalb plant der Streamingdienst, sich an dieser Lösung zu orientieren, wenn er seine Pläne in den USA umsetzen wird.
Den eigenen Ruf nicht aufs Spiel setzen
Netflix will das Verbot anfänglich also auf sanfte Weise umsetzen und dann den Druck auf die gemeinsame Nutzung von Passwörtern schrittweise erhöhen. Ein zu hartes Vorgehen birgt nämlich die Gefahr, dass das Unternehmen die Kundschaft verärgert und so seinen guten Ruf verspielt, den es über viele Jahre aufgebaut hat. Er glaube nicht, dass die User die Änderung sofort lieben würden, warnte Co-CEO Ted Sarandos Anfang Dezember bei einem Treffen mit Investoren.
In diesem hart umkämpften Marktumfeld haben die User viele Wechselmöglichkeiten. Erst vor wenigen Tagen startete der Streamingdienst Paramount+ der US-Filmproduktionsfirma Paramount Pictures in der Schweiz. Und in den Jahren zuvor sind bereits andere Angebote grosser Player wie etwa Disney und des US-Senders HBO (HBO Max ist in der Schweiz indirekt über Sky verfügbar) dazugekommen. Wegen des gestiegenen Konkurrenzdrucks sah sich Netflix im letzten Frühling dazu gezwungen, Stellen abzubauen.
Netflix ist nun der erste Anbieter, der das Passwortsharing aktiv unterbinden möchte. Die Konkurrenz könnte später nachziehen, weil sie ebenfalls unter Druck sind.
Anlehnung an Preis des neuen Billigabos
Um neue Kundschaft zu gewinnen, lancierte Netflix Anfang November ein Billigabo mit Werbung. Die Schweiz gehörte nicht zu den zwölf Ländern, in denen das neue Angebot eingeführt wurde. Sie soll aber später dazukommen.
In Deutschland kostet das Abomodell, bei dem zu Beginn und in der Mitte einer Serienepisode oder eines Films Werbespots eingeblendet werden, 4.99 Euro pro Monat. In den USA sind es monatlich 6.99 Dollar. Netflix beabsichtigt, sich bei der Gebühr für das gemeinsame Nutzen eines Kontos nach diesen Preisen zu richten. So soll der Betrag in den USA nur marginal weniger als 6.99 Dollar sein, um Passwort-Ausleiher dazu zu ermutigen, ein eigenes Abonnement abzuschliessen. Denn dadurch hätten sie die volle Kontrolle über ein eigenes Konto und müssten nicht den Hauptnutzer darum bitten, eine Gebühr fürs Teilen zu zahlen.
Mit seinen Plänen setzt der führende Streamingdienst eigentlich nur seine bereits bestehenden Regeln rigoroser durch. Schon jetzt erlaubt Netflix in seinen Nutzungsbedingungen nur das Teilen eines Accounts zwischen Personen, die im gleichen Haushalt wohnen. Bis anhin ignorierte das Unternehmen Zuwiderhandlungen. Mit dieser Toleranz scheint es nun aber vorbei zu sein.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.