Und plötzlich greift er in die Innentasche seines Mantels, zückt eine anthrazitfarbene Schmuckschatulle, geht mitten auf der Millennium Bridge in London auf die Knie und fragt: Willst du mich heiraten?
Es ist so eine Sache mit Traditionen. Man kann sie kitschig finden, sich darüber lustig machen oder – in diesem Fall – das patriarchalische Fundament kritisieren, auf dem die Institution Ehe fusst.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Doch an diesem kühlen Märztag tat ich nichts davon. Ich dachte nicht an die hohen Scheidungszahlen (es waren letztes Jahr knapp 15’500 in der Schweiz), nicht an die Heiratsstrafe (ja, es gibt sie immer noch) und auch nicht an die reduzierte AHV-Rente (drei Viertel im Vergleich mit einem Konkubinatspaar). Ich folgte meiner Intuition und sagte Ja.
Wollen Sie heiraten? Das Steueramt freuts!
Mehr als 37’500 Paare haben 2023 das Gleiche getan. Sie haben Ja gesagt – und das, obwohl «bis dass der Tod uns scheidet» vor allem aus steuerlicher Sicht nicht immer die sinnvollste Lösung ist. So folgt nach dem romantischen Tülltraum für viele Paare die grosse Ernüchterung.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung schätzt, dass 700’000 Ehepaare von der Heiratsstrafe betroffen sind. Eine beispielhafte Steuerberechnung des VZ Vermögenszentrums zeigt, dass die Steuerlast vor allem für gut verdienende, kinderfreie Ehepaare massiv höher sein kann.
Die folgenden Fallbeispiele zeigen die Unterschiede in der Steuerrechnung eines Winterthurer Paares, wenn es verheiratet ist oder im Konkubinat lebt, mit und ohne Kinder:
Die Steuerrechnung eines kinderfreien Ehepaares, das in Winterthur ZH lebt und gemeinsam 210’000 Franken verdient, würde mit insgesamt 41’330 Franken über 7500 Franken höher ausfallen als die eines Konkubinatspaares.
Das ergibt sich aus dem progressiven Steuersystem der Schweiz: Je mehr jemand verdient, desto höher ist der Grenzsteuersatz. So können insbesondere Paare mit einem tiefen gemeinsamen Einkommen dank einer Heirat sogar Steuern sparen. Auch das zeigt ein Fallbeispiel des VZ Vermögenszentrums eindrücklich: Ein Ehepaar, das in Winterthur lebt, keine Kinder hat und gemeinsam 64’000 Franken verdient, würde über 1300 Franken weniger Steuern zahlen als ein kinderfreies Paar im Konkubinat (siehe Tabelle unten).
«Die Heiratsstrafe gibt es – das kann man nicht wegdiskutieren. Allerdings wird die Steuerrechnung von sehr vielen Faktoren wie etwa dem Wohnsitz, dem Eigentum, der Anzahl Kinder, aber auch dem Gesamt- und der Zusammensetzung des Einkommens zwischen den Partnern beeinflusst», erklärt Karl Flubacher, Geschäftsleiter beim VZ Vermögenszentrum.
Eine Forschungsarbeit der Universität St. Gallen verdeutlicht, wie komplex die Situation ist. Studienautorin Nadia Myohl beziffert die durchschnittliche Heiratsstrafe für alle Verheirateten im Erwerbsalter auf 868 Franken pro Jahr.
Zwei Initiativen gegen die Heiratsstrafe
Sie kommt jedoch zum Schluss, dass bei drei von vier verheirateten Paaren mit Kindern die steuerliche Benachteiligung auf mehr als das Doppelte ansteigt – auf 2128 Franken. Dagegen sparen Verheiratete ohne Kinder gemäss Myohls Berechnungen im Schnitt sogar 872 Franken.
Zusammengefasst: Es ist kompliziert. Und höchst individuell. Aber es gibt einen Lichtblick. Gleich zwei Initiativen – eine von der Mitte-Partei, eine andere von der FDP – wollen der Heiratsstrafe an den Kragen. Der Bundesrat hat im Februar 2024 zudem eine Botschaft zur Einführung der Individualbesteuerung verabschiedet.
Ehrlicherweise muss man sagen, dass es nicht der erste Anlauf ist, die verfassungswidrige Heiratsstrafe abzuschaffen. Obwohl sich die meisten einig sind, dass das System angepasst werden muss, scheiterte es bislang immer am Wie.
Weniger AHV-Rente für Ehepaare
Die gute Nachricht ist: Das Leben besteht nicht nur aus Steuernzahlen. Spätestens bei der Pensionierung bekommt man auch etwas zurück. Die schlechte Nachricht – zumindest für Eheleute: Sie bekommen massiv weniger als unverheiratete Paare. Wenn beide Partner regelmässig Beiträge an die AHV entrichtet haben, bekommen Konkubinatspaare mindestens 1225 Franken beziehungsweise maximal 2450 Franken AHV-Rente pro Person.
Anders sieht es bei Ehepaaren aus. Obwohl auch verheiratete Personen während ihres Berufslebens individuell in die AHV einzahlen, ist ihre Rente auf 150 Prozent der Maximalrente pro Person beschränkt. Statt insgesamt 4900 Franken bekommen sie also höchstens 3675 Franken ausbezahlt. Auch dagegen will die Mitte-Partei etwas tun. Ende April ist ihre Initiative zur Abschaffung des Rentendeckels zustande gekommen.
Sicherheit für finanziell Schwächere
Wer nun den Verlobungsring zurückgeben und das Tüllkleid ungetragen auf Ebay verkaufen will, sollte weiterlesen. Denn die Ehe hat selbstverständlich nicht nur finanzielle Nachteile. Im Gegenteil. «Je grösser die wirtschaftliche Ungleichheit, desto stärker sichert die Ehe die finanziell schwächer gestellte Person ab», erklärt Martin Müller, Vorsorgeexperte im Beobachter-Beratungszentrum.
Der Schweizer Medianlohn betrug 2022 knapp 6800 Franken. Wobei Frauen im Durchschnitt weiterhin 9,5 Prozent weniger verdient haben als Männer. Noch stärker ins Gewicht fällt aber die Teilzeit-Erwerbstätigenquote, die in der Schweiz bei knapp 40 Prozent liegt – fast drei Viertel davon machen Frauen aus.
Die Folge davon zeigt eine Befragung des Zahlungsdienstleisters Mastercard: Fast ein Drittel aller Frauen ist finanziell von einer anderen Person abhängig. Weit über die Hälfte der Befragten vermutet zudem, dass sich das nie ändern werde.
Bis dass der Tod uns scheidet …
… ist zwar eine schöne Vorstellung, bei einer Scheidungsrate von knapp 40 Prozent aber auch keine Sicherheit. Wer vor dem Ja-Wort keinen Ehevertrag abschliesst, lebt im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung.
Vereinfacht formuliert bedeutet das, dass bei einer Scheidung alles, was die Eheleute während der Ehe erwirtschaftet haben, hälftig geteilt wird. Dazu gehören auch Einzahlungen in die erste und die zweite Säule sowie die Säule 3a. «Wenn sich ein unverheiratetes Paar trennt, hat der finanziell schwächere Partner grundsätzlich keinen Anspruch auf das Vermögen des Bessergestellten. Und auch Alimente für die wirtschaftlich schwächere Seite sind kein Thema», sagt Martin Müller.
Richtig prekär wird es finanziell meist dann, wenn Kinder im Spiel sind. Die Armutsquote der Einelternhaushalte mit Kindern beträgt laut einer Erhebung des Bundes 14 Prozent. Jede vierte Mutter und jeder achte Vater ist nach einer Trennung mit Geld knapp dran. Umso wichtiger ist es, sich finanziell abzusichern – zum Beispiel durch eine Heirat.
Wenn tatsächlich der Tod scheidet
Falls es tatsächlich der Tod und nicht ein Seitensprung ist, der ein Paar trennt, sind Verheiratete besser abgesichert als Konkubinatspartner. Aus der ersten Säule, der AHV, erhält der überlebende Ehepartner in der Regel Hinterbliebenenleistungen. Überlebende Konkubinatspartner gehen hingegen leer aus, denn sie können sich in der ersten Säule auch nicht durch ein Testament begünstigen lassen.
Wenn der Ehemann stirbt, hat die Hinterbliebene ausserdem Anspruch auf Witwenrente – aktuell noch lebenslang. Dafür gelten grob folgende Voraussetzungen: Die Frau muss mindestens ein Kind haben oder fünf Jahre verheiratet gewesen sein – und über 45. Auch verwitwete kinderlose Frauen erhalten bisher eine Witwenrente.
Männer hingegen bekommen nur bis zur Volljährigkeit der gemeinsamen Kinder eine Witwerrente. Nach einer Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte soll das Gesetz nun angepasst werden. Der Bund schlägt vor, Witwenrente für Paare mit Kindern nur bis zum 25. Lebensjahr des jüngsten Kindes zu zahlen. Falls der Partner danach stirbt, soll es eine zweijährige Übergangsrente geben. Bei kinderlosen Paaren ist eine ähnliche Regelung geplant.
Aus der zweiten Säule, der Pensionskasse, erhält der überlebende Ehepartner eine Hinterlassenenrente oder zumindest eine Abfindung. «Unverheiratete Paare können sich zwar gegenseitig begünstigen, letztlich hängt es aber vom jeweiligen Pensionskassenreglement ab, ob und unter welchen Umständen das zulässig ist», sagt Karl Flubacher vom VZ Vermögenszentrum. So setzen manche Pensionskassen etwa voraus, dass das Paar mindestens fünf Jahre im selben Haushalt gelebt hat.
Erben im Konkubinat ist teuer
Auch beim Thema Erben bietet die Ehe Vorteile. Unverheiratete Paare haben keinen gesetzlichen Erbanspruch und müssen sich entsprechend gegenseitig in einem Testament begünstigen. Dabei sind die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtteile zu beachten. «Insbesondere beim Kauf von Wohneigentum ist das ein Risiko, da die Kinder auf ihrem Pflichtteil beharren können und der hinterbliebene Konkubinatspartner das Objekt unter Umständen nicht allein tragen kann», erklärt Flubacher.
Hinzu kommt, dass Witwen und Witwer in der Schweiz praktisch zum Nulltarif erben. Anders sieht es im Konkubinat aus. Da variieren die Erbschaftssteuersätze von Kanton zu Kanton stark.
Ein Beispiel: Im Kanton Zug werden auf eine Erbschaft von einer halben Million 71’000 Franken Erbschaftssteuer fällig. Im Kanton Genf sind es dagegen volle 270’000 Franken.
Immerhin: In einigen Kantonen werden Konkubinatspaare milder besteuert. «Aber auch da gibt es klare Vorschriften – etwa, dass das Paar mindestens fünf oder zehn Jahre im selben Haushalt gelebt haben muss», sagt Flubacher.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Immerhin müssen sich Konkubinatspaare keine Gedanken zu Haftungsfragen machen. Wenn ein Partner Schulden anhäuft, hat man damit als Konkubinatspartner juristisch betrachtet nichts zu tun.
Allerdings sind Ehepaare ebenfalls nicht voll haftbar. «Auch bei Verheirateten verwaltet und nutzt jede Person ihr Vermögen selbst und verfügt allein darüber», sagt Karin von Flüe, Expertin für Familien- und Erbrecht im Beobachter-Beratungszentrum. Das gilt zumindest für alle Rechtsgeschäfte, die für persönliche, nicht lebensnotwendige Bedürfnisse abgeschlossen werden.
Anders sieht es aus, wenn zum Beispiel ein Ehepartner Schulden macht, um die gemeinsame Wohnungsmiete zu bezahlen oder Lebensmittel einzukaufen. «In diesem Fall haften die Eheleute solidarisch», sagt von Flüe.
Letztlich gibt es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, ob sich die Ehe finanziell rechnet. Stattdessen lohnt es sich, die eigene Situation genau zu prüfen und unter Umständen mithilfe einer Fachperson durchzurechnen.
Und genau deshalb ziehen mein Verlobter und ich – der Begriff fühlt sich immer noch etwas fremd an – mittlerweile eine zeremonielle Trauung ohne zivilrechtliche Konsequenzen in Betracht. Denn schliesslich soll am Tag nach der Hochzeit kein böses Erwachen, sondern im besten Fall ein Champagnerfrühstück auf uns warten.