Dank Chat GPT schreiben sich Zusammenfassungen und Programmiercodes wie von allein, Midjourney und Dall-E liefern Illustrationen nach Wunsch und Chatbots übernehmen die undankbare Arbeit der Callcenter. Die Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) sind gewaltig.
Die neuen Anwendungen sparen uns jede Menge Arbeit. Wir werden schneller und produktiver. Entsprechend gross ist die Euphorie: JP-Morgan-Chef Jamie Dimon sieht Parallelen zur Erfindung der Dampfmaschine. KI könnte der Weltwirtschaft einen gewaltigen Produktivitätsschub verleihen und den Wohlstand steigern.
Einer, der diesen Optimismus nicht teilt, ist der US-Ökonom Daron Acemoglu. Der MIT-Professor erlangte mit seinem Bestseller «Why Nations Fail» internationale Berühmtheit. Im neuen Buch «Power and Progress» widmen sich Acemoglu und sein MIT-Kollege Simon Johnson der Geschichte des technischen Fortschritts über tausend Jahre bis heute. Daraus schliessen die Autoren: Innovationen führt nicht automatisch zu mehr Produktivität, höheren Löhnen und mehr Wohlstand. Das gilt auch, und dies im besonderen Masse, für KI. Die «Handelszeitung» hat Acemoglu am Rande eines Anlasses am Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) in Rüschlikon getroffen.
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Herr Acemoglu, warum sind Sie so skeptisch und gar besorgt, was die Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz angeht?
Die meisten Politikerinnen und Entscheidungsträger, vor allem in den USA, sind zu optimistisch in Bezug auf neue Technologien. Doch besonders bezüglich der Entwicklung bei KI befürchte ich, dass diese Technologie ihre Versprechen nicht einlösen kann. Die Fortschritte sind zwar wirklich beeindruckend. Die Modelle werden immer potenter, und es fliessen Milliarden in die Entwicklung.
Was sind denn die Versprechen? Wie könnte KI der Menschheit nützen?
Im Idealfall liefern KI-basierte Technologien flexible und brauchbare Informationen für alle, die bei ihrer Arbeit Entscheidung treffen müssen – seien es Politiker, Ärztinnen oder Spengler –, um sie produktiver zu machen und das Spektrum neuer Tätigkeiten zu erweitern.
Und das sehen Sie derzeit nicht?
Der Trend geht in eine andere Richtung. Wie bei der Digitalisierung werden die neuen KI-Techniken vorwiegend zur Automatisierung genutzt, zum Teil in übertriebenem Mass. Ein Grund für diese Entwicklung ist die vorherrschende Vorstellung von KI als maschinelle Intelligenz, wonach Maschinen eine autonome Intelligenz, wie Menschen sie haben, erreichen. Doch ich bevorzuge eine alternative KI-Vision, wie sie der Mathematiker Norbert Wiener geprägt hat. Man kann es statt Intelligenz maschinelle Dienlichkeit nennen.
Also eine Art Symbiose von Mensch und Maschine.
Genau. Diese Idee einer dem Menschen nützlichen Maschine hat in der Vergangenheit zu fruchtbaren Ergebnissen geführt. Ein gutes Beispiel dafür ist Douglas Engelbart mit seiner Erfindung der Computermaus. Aber diese Perspektive wird in der aktuellen KI- und Automatisierungsobsession vergessen.
Sie reden so, als wäre Automatisierung per se etwas Schlechtes. Aber dadurch steigt doch die Produktivität?
Wenn neue Technologien wie KI nur zur Automatisierung eingesetzt werden, werden Arbeitskräfte ersetzt und somit weniger Leute eingestellt. Für die Unternehmen ist das natürlich attraktiv, aber der Gesellschaft ist damit nicht gedient. Wir müssen davon wegkommen, die Automatisierung von Prozessen über alles zu stellen. Technischer Fortschritt und Produktivitätsgewinne führen nicht automatisch zu mehr Wohlstand für alle.
Sind das die Lehren aus Ihrem neuen Buch «Power and Progress»?
Das ist im Kern das Ergebnis aus der Untersuchung historischer Beispiele. Wenn der technische Fortschritt bloss zu Automatisierung und mehr Überwachung führte, nahm die Einkommensungleichheit zu, aber die Produktivität kaum. In der ersten Phase der Industriellen Revolution stagnierten oder sanken die Löhne, die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich. Das änderte sich erst mit den politischen Reformen und der Gründung von Gewerkschaften.
Gibt es andere historische Beispiele, in denen der technologische Fortschritt der breiten Bevölkerung zugutekam?
Ein Paradebeispiel dafür ist die Fliessbandproduktion der Autofabrik Ford. Diese Innovation erhöhte die Produktivität massiv und schuf gleichzeitig jede Menge neuer Jobs mit guten Verdienstmöglichkeiten.
Und welche Erfindung brachte der Allgemeinheit nichts?
Von der Windmühle profitierten nur wenige, weil es keinen Wettbewerb gab. In den feudalen Strukturen des Mittelalters waren die Bauern und Bäuerinnen gezwungen, die Mühlen zu nutzen. Diese gehörten aber ausschliesslich den Grossgrundbesitzern.
Der US-Ökonom Daron Acemoglu (56) ist Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und einer der meistzitierten Wirtschaftswissenschafter. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den Bereichen politische Ökonomie, Entwicklungsökonomik und Wachstumstheorie.
Weltweit bekannt wurde er mit dem 2012 erschienenen Buch «Why Nations Fail», das er gemeinsam mit James A. Robinson verfasste. Darin untersuchen die Autoren die Ursachen, warum manche Nationen reich werden und andere scheitern. Entscheidend für den Erfolg ist demnach, dass politische und wirtschaftliche Institutionen inklusiv sind und möglichst vielen Teilen der Bevölkerung Zugang zu Ressourcen und Chancen bieten.
In seinem neuesten Buch «Power and Progress», auf Deutsch «Macht und Fortschritt», geht Acemoglu zusammen mit Simon Johnson der Frage nach, wie echter Fortschritt und gerechtere Innovation gelingen können. Dazu analysierten sie die tausendjährige Geschichte von Innovation und Fortschritt bis heute.
Acemoglu ist in Istanbul geboren, hat im englischen York studiert und an der London School of Economics promoviert, bevor er 1993 dem Ruf an die US-Spitzenuniversität folgte. Er ist Träger der John-Bates-Clark-Medaille, die als Vorstufe des Nobelpreises gilt. Acemoglu wird daher regelmässig als aussichtsreicher Kandidat für den Nobelpreis genannt.
Der US-Ökonom Daron Acemoglu (56) ist Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und einer der meistzitierten Wirtschaftswissenschafter. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den Bereichen politische Ökonomie, Entwicklungsökonomik und Wachstumstheorie.
Weltweit bekannt wurde er mit dem 2012 erschienenen Buch «Why Nations Fail», das er gemeinsam mit James A. Robinson verfasste. Darin untersuchen die Autoren die Ursachen, warum manche Nationen reich werden und andere scheitern. Entscheidend für den Erfolg ist demnach, dass politische und wirtschaftliche Institutionen inklusiv sind und möglichst vielen Teilen der Bevölkerung Zugang zu Ressourcen und Chancen bieten.
In seinem neuesten Buch «Power and Progress», auf Deutsch «Macht und Fortschritt», geht Acemoglu zusammen mit Simon Johnson der Frage nach, wie echter Fortschritt und gerechtere Innovation gelingen können. Dazu analysierten sie die tausendjährige Geschichte von Innovation und Fortschritt bis heute.
Acemoglu ist in Istanbul geboren, hat im englischen York studiert und an der London School of Economics promoviert, bevor er 1993 dem Ruf an die US-Spitzenuniversität folgte. Er ist Träger der John-Bates-Clark-Medaille, die als Vorstufe des Nobelpreises gilt. Acemoglu wird daher regelmässig als aussichtsreicher Kandidat für den Nobelpreis genannt.
Und wie ist es mit der Digitalisierung? Das Produktivitätswachstum ist trotz Computer und Smartphone im Westen nicht gestiegen.
In den meisten Bereichen wurde durch die Digitalisierung nicht viel gewonnen, zugenommen hat vor allem die Ungleichheit. Aber das liegt nicht an der Natur des technischen Fortschritts. Der Computer ist eine tolle Erfindung und nicht das Problem an sich. Die Frage ist, wie man neue Technologien einsetzt und wer darüber bestimmt.
Aber immerhin werden durch die Innovationen viele Produkte günstiger. So profitieren auch Leute ohne Lohnerhöhung.
Das hat man sich auch von der Globalisierung erhofft. Dank billiger Ware aus China soll es der US-Arbeiterschicht auch ohne grössere Lohntüte materiell besser gehen. Doch die Entwicklungen der Reallöhne zeigen ein anderes Bild. Noch in den 1960er-Jahren nahmen die Reallöhne in den USA über alle Bildungsstufen steil zu. Doch seit den 1970ern sind die inflationsbereinigten Löhne nur noch für die gut ausgebildeten Schichten gestiegen. Der grosse Rest verzeichnet auch real Lohneinbussen. Dass dies mit dem Zeitalter der Digitalisierung zusammenfällt, ist kein Zufall.
Und Sie glauben nicht, dass sich das mit der Entwicklung im Bereich KI ändert und diese Technologie allen zugutekommt?
Der Grossteil der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet hat sich in den letzten Jahren von den Universitäten in die Privatwirtschaft verlagert. Dort decken sich die Interessen nicht unbedingt mit jenen der Gesellschaft.
Was muss sich ändern?
Für die meisten Firmen gibt es Wege, die KI-Tools so zu nutzen, dass sie auch den Menschen dienlich sind. Sie müssen nur erkennen, dass Arbeitskräfte auch eine Schlüsselressource sind, nicht bloss ein Kostenfaktor. Wenn sie nur als Kostenfaktor angesehen werden, dann lohnt sich Automatisierung und Rationalisierung. Doch die meisten Unternehmen sind nur erfolgreich dank ihrer Mitarbeitenden – egal, auf welcher Hierarchiestufe. Wenn dieser Perspektivenwechsel gelingt, sind die Unternehmen auch bereit, für ihre Schlüsselressource bessere Tools zur Verfügung zu stellen und nicht bloss Arbeitskräfte mit Software und Robotern zu ersetzen.
Diese Tools kommen von der Tech-Industrie. Damit steht auch sie in der Verantwortung.
Ja, damit die neuen Technologien allen zugutekommen, müssen sich nicht nur die Managerinnen und Manager der Nutzerfirmen ändern, sondern auch die Tech-Unternehmen. Das Potenzial ihrer Plattformen ist enorm. Aber wenn die Tech-Industrie lediglich Instrumente zur Automatisierung von Prozessen und zur besseren Überwachung liefert, wird die Produktivität nicht wie erhofft zunehmen und sich die Einkommensungleichheit weiter verschärfen. Anbieter und Nutzende der Tools müssen in diese Richtung gehen, und weil dies der Koordination bedarf, ist es eine politische Frage.
Welche konkreten Massnahmen schlagen Sie vor?
Es gibt kein Patentrezept. Der erste Schritt ist, das Bewusstsein zu schärfen, dass technologischer Fortschritt nicht automatisch zu mehr Wohlstand für alle führt, sondern dass wir ihn in diese Richtung lenken müssen. In einem zweiten Schritt kann man über konkrete Massnahmen nachdenken.
Und die wären? Braucht es eine scharfe Regulierung?
Alle sind gefordert, auch der Regulator. Die US-Kartellgesetze müssen überarbeitet werden. Die Aufgabe der Wettbewerbshüter ist heute eine andere als früher, als noch die grossen Ölfirmen im Fokus standen. Auch beim Steuersystem muss man ansetzen. Helfen würde es, einen Teil der Asymmetrie der Besteuerung von Kapital und Arbeit aufzuheben, das heisst: Unternehmensgewinnsteuern erhöhen und Arbeit entlasten. Zentral ist auch, dass Arbeitnehmende mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung haben, so wie in Deutschland oder skandinavischen Ländern, damit nicht allein die Unternehmensspitze und die Managerinnen und Manager über den Einsatz der neuen Technologien entscheiden.
Sie wollen kartellrechtlich stärker gegen die Vormacht von Google und Co. vorgehen. Regelt der Markt das nicht von allein, wie im Fall des früheren Tech-Giganten IBM?
Der Wettbewerbsprozess kann funktionieren, der Abstieg von IBM ist ein Beispiel dafür. In anderen Fällen brauchte es aber einen Eingriff: zum Beispiel als Standard Oil begann, die ganze Lieferkette zu kontrollieren. Aber so etwas wie Google und Microsoft gab es in der Geschichte von Corporate America noch nie.
Was unterscheidet sie von früheren Grosskonzernen mit viel Marktmacht?
Sie sind nicht nur von beispielloser Grösse, sondern auch vertikal extrem stark integriert. Sie verfolgen eine Strategie, Rivalen und ihre Technologie einfach auszuschalten, und sie agieren in einem schwach regulierten Umfeld. Das zusammen macht sie so bedrohlich.
Sie verweisen auch auf die grosse Gefahr der Überwachung und der Manipulation durch die KI-Technologie. Was kann man dagegen tun?
Diese Entwicklung ist besonders besorgniserregend. Und was es noch schlimmer macht: Es ist ein äusserst lukratives Geschäft geworden in der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie und in der Art, wie Internetwerbung funktioniert. Deshalb sind mein MIT-Kollege Simon Johnson und ich Verfechter einer klug umgesetzten Steuer auf digitaler Werbung.
Daten sind die neuen Rohstoffe. Die grossen Tech-Konzerne und KI-Firmen sind besonders gut darin, diese zu sammeln. Wie kann man da ihre Dominanz brechen?
KI-Firmen haben das Sammeln von Daten ohne Erlaubnis der Urheber perfektioniert. Sie saugen alles von Webseiten, sozialen Netzwerken und den öffentlichen Institutionen ab. Das ist nicht nur verteilungsmässig schlecht, es schafft zudem ein Ökosystem, in dem es keine qualitativ hochwertigen Daten mehr gibt. Damit sich die KI-Technologie aber in die gewünschte Richtung entwickeln kann und nützliche Informationen liefert, braucht es zuverlässige Expertendaten für das Trainingsset. Das bedeutet, dass man einen Datenmarkt schaffen muss, in welchem die Daten der Nutzerinnen und Urheber geschützt sind und die Preise nicht durch aggressives Marktverhalten gedrückt werden. Es braucht also eine neue Dateninfrastruktur, zusammen mit einer Form von gemeinschaftlichem Eigentum. Die amerikanische Autorengewerkschaft WGA hat diesbezüglich schon Vorschläge vorgebracht, wie es gemacht werden könnte.