Ein bisschen sieht er aus wie eine Treppe – der Frauenanteil auf Stufe Verwaltungsrat. Jedes Jahr finden sich ein paar Verwaltungsrätinnen mehr, jedes Jahr macht der Graph einen kleinen Sprung in die Höhe. Seit der Pandemie hat sich der Effekt gar verstärkt.
Nun hat die Quote der Verwaltungsrätinnen eine wichtige Schwelle überwunden: Zum ersten Mal ist die Frauenquote in den Verwaltungsräten bei 180 untersuchten Schweizer Unternehmen höher als 30 Prozent. Das zeigt eine exklusive Auswertung des Personalberaters Schilling Partners für die «Handelszeitung». Die Liste umfasst die 150 meistkapitalisierten Unternehmen des SPI sowie die dreissig wichtigsten, nichtkotierten Unternehmen der Schweiz.
Substanzieller Anlauf, der jetzt Früchte trägt
«Es sind zunehmend die Vorreiterfirmen, die den Wert in die Höhe ziehen», sagt Guido Schilling, Gründungspartner der Executive Search Firma Schilling Partners. «Über die Hälfte der Unternehmen hat heute bereits mehr als 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat», führt er aus, «die Kehrseite sind natürlich die 8 Prozent, die noch keine weibliche strategische Kraft haben.» Doch auch da ist er überzeugt, dass es bald vorwärtsgehen wird – denn im Moment sei alles in Bewegung. «Es ist ein Speed drin, die Frauen wollen, sie haben einen höheren Anspruch an ihre berufliche Laufbahn.»
Dem Zusammenspiel unterschiedlich involvierter Anspruchsgruppen sei es zu verdanken, dass dieser Trend auch die nächsten fünf Jahre anhalten und sich flächendeckend durchsetzen wird: «Da sind erstens die Unternehmen. Sie machen nie etwas aus Selbstzweck. Diversität auf der Führungsebene entpuppte sich für sie als Mehrwert bei komplexen Herausforderungen – entsprechend treiben sie die Entwicklung voran», sagt Guido Schilling.
Ein Management müsse heute zeigen, dass es genderaffin sei. Denn die qualifizierten Frauen – die zweite Gruppe – suchen sich sonst schleunigst einen anderen Ort. Das ist bei einem herrschenden Mangel an Topleuten für Firmen fatal. Schilling verweist aber auch auf den Staat und die Gesellschaft: «Der Staat muss das Ganze begünstigen. Er soll den Frauen die Kapazität ermöglichen und soziale Strukturen schaffen, die Familien unterstützen.» Schlussendlich müsse sich das soziale Image der arbeitenden Mutter mit Kind ändern. «Statt einander zu applaudieren, wird heute noch viel hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Aber die Sache ist im Schwung – die nächsten Jahre wird viel passieren», so Schilling.
Das braucht es für das Topmandat – von Firmen und von Frauen
Bei einer Verwaltungsrätin ist bereits viel passiert. Maria Teresa Vacalli, studierte Ingenieurin, ist seit diesem Frühjahr Inhaberin von vier Mandaten: Burckhardt Compression, Schweizerische Post, Kardex und Post Finance. Die neuen Zahlen freuen Vacalli. Aber doch: «Wir sind noch nicht am Ziel und wir müssen weiter daran arbeiten. Der Trend darf nicht abflauen.»
Wie also schaffen es weitere Frauen in Verwaltungsratsmandate? Vacalli sieht beide Seiten in der Pflicht: «Für Firmen gilt mehr Flexibilität bei der Suche und für Frauen mehr Visibilität am Markt.»
Der Suchprozess eines Verwaltungsratsmandats setzt sich aus drei Schritten zusammen – der Longlist, der Auswahl für die Shortlist und den Interviews mit Personen auf der Shortlist. Bevor der Prozess jedoch startet, sei bereits das Nominationskomitee gezielt zu wählen. «Sitzen im Komitee homogene Verwaltungsräte, dann werden sie auch ihnen ähnliche Personen rekrutieren», so Vacalli. Genau deshalb hat sie im Nominierungskomittee Einsitz genommen – es ist in ihren Augen das wichtigste Komitee, da es die strategische Spitze einer Firma wählt und entsprechend weitreichende Befugnisse besitzt.
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«Das Komitee erstellt die Longlist. Um es auf diese Liste zu schaffen, ist Bekanntheit gefragt. Gelistet wird nur, wen man kennt.» Im nächsten Schritt entscheidet dann das CV. Stimmen die angegebenen Erfahrungen mit den Erwartungen überein? Hat die Person Erfahrung im Bereich P&L – Profit and Losses – und kann sie strategisch denken?
Genau hier fordert Vacalli heute Flexibilität von den Firmen: «Unternehmen suchen ein klassisches Profil. Nur: Viele Frauen hatten keine CEO-Position inne. Sie waren nicht international tätig oder weisen nicht alle geforderten Jahre Erfahrung auf. Oft haben sie gar eine Lücke im CV wegen der Familie.»
Das ist ein Fakt und lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Doch je enger Firmen ihre Suchprofile setzen, desto schwieriger wird es, eine Frau zu finden. Deshalb gilt: Firmen müssen sich flexibler zeigen.
Bei Interviews sind Frauen gefordert
Schafft es dann doch eine Frau in die Shortlist, sei sie gefordert: «Nach der Shortlist kommen die Interviews. Es zeigt sich, wer die Person hinter dem CV ist. Und da leiden die Frauen», so die erfahrene Verwaltungsrätin.
Frauen konzentrieren sich oft zu stark auf die Firma und weniger darauf, was sie dem Unternehmen bringen. «Wer eine Verwaltungsratsposition will, muss sich fragen, warum er oder sie die richtige Person dafür ist.» Kandidaten machten das besser als Kandidatinnen, sie heben ihre Erfahrungen stärker hervor.
«Das ist die Aufgabe der Frau, dass sie sich zeigen und profilieren», fordert Vacalli. Ausserdem appelliert sie an die Frauen, dass sie nicht das erstbeste angebotene Mandat annehmen: «Strebt eine Frau eine VR-Karriere an, dann muss sie sich unbedingt überlegen, wie das Portfolio aussehen soll. Es ist ihre Visitenkarte. Man muss eine Strategie haben, sich der eigenen Stärken bewusst sein und wissen, wie man sich positionieren will.»
Maria Teresa Vacalli und Guido Schilling sind jedoch beide überzeugt, dass die nächsten fünf Jahre matchentscheidend sein werden. «Der Kampf um qualifizierte Frauen geht weiter. Sie können sich bald ihre Stellen aussuchen», so der Personalberater. Vacalli bestätigt die Aussage, sie bekommt immer wieder neue Anfragen. «Das bringt die Visibilität mit sich», sagt sie. Vorerst sei sie aber zufrieden mit ihren vier Mandaten – freut sich aber auf viele neue Verwaltungsratskolleginnen.