Die neue Normalität ist noch nicht ganz die alte Realität wie in den Zeiten vor Corona. Am Hauptbahnhof Zürich einen ruhigen Ort für das Gespräch mit Santésuisse-Präsident Heinz Brand (64) zu finden, ist kein einfaches Unterfangen. In einem Restaurant werden gerade Tische gerückt, um die Schutzvorkehrungen zu verbessern, das andere wird gründlich gereinigt. Im letzten Moment gelingt es, ein Sitzungszimmer für das Gespräch mit BLICK zu finden.
BLICK: Die Corona-Pandemie ist für das Gesundheitswesen auch eine grosse finanzielle Belastung. Wer bezahlt das alles?
Heinz Brand: Darüber wird gerade heftig gestritten. Nach unserer Schätzung dürfte die Behandlung von Corona-Patienten die Krankenversicherer mit einem dreistelligen Millionenbetrag belasten, deutlich über 100 Millionen Franken. Vorläufig ist das nur eine grobe Schätzung, denn es fehlen noch viele Rechnungen der Ärzte und Spitäler. Zudem liegen ja auch noch Corona-Patienten in den Spitälern.
Droht nun ein Prämienschub?
Nein. Wegen Corona werden die Prämien nicht steigen. Das kann ich versprechen. Kein Prämienschub aufgrund von Corona. Dafür haben die Krankenversicherer über die Jahre Reserven gebildet, daraus können sie nun allfällige Zusatzkosten bestreiten. Auch auf eine zweite Welle sind die Kassen finanziell vorbereitet. Insgesamt verfügen die Krankenversicherer gegenwärtig über Reserven von rund acht Milliarden Franken.
Ist das viel?
Das deckt die Behandlungskosten in der Grundversicherung für rund drei Monate. Es ist nicht übermässig viel etwa im Vergleich mit der Suva.
Wie haben sich denn die Gesundheitskosten ohne Corona entwickelt? Es gab viel weniger Eingriffe.
Aufgrund des Behandlungsstopps lassen sich die genauen Kosten im ersten Halbjahr noch gar nicht richtig abschätzen. Die Folgen dieses Stopps werden sich in den Kostendaten des Monats Juni zeigen, hier rechnen wir tatsächlich mit sinkenden Kosten. Bis Ende Jahr dürften die Kosten aber insgesamt trotzdem leicht anwachsen.
Könnten die Kosten durch den Behandlungsstopp sogar sinken?
Viele der ausgefallenen Operationen werden jetzt nachgeholt. Es ist damit zu rechnen, dass die Kosten im zweiten Halbjahr überdurchschnittlich ansteigen. Aber allein bis Ende April haben wir schon eine Kostenzunahme von rund vier Prozent. Wir sehen keinen totalen Einbruch bei den Gesundheitskosten aufgrund des Lockdowns.
Selbständige müssen Einnahmenausfälle verkraften, Angestellten droht der Jobverlust. Liegt vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise eine Prämienerhöhung überhaupt drin?
Die Krankenkassen legen die Prämien nicht alleine fest. Sie müssen diese beim Bundesamt für Gesundheit eingeben. Aus Sicht der Kassen – und damit der Prämienzahler – ist natürlich eine möglichst tiefe Erhöhung immer das Ziel. Die Pandemiefolgen sind auch beim einzelnen Prämienzahler spürbar, da verträgt es keine Zusatzbelastung durch einen grossen Anstieg der Krankenkassenprämien.
Läge gar eine Nullrunde drin?
Viele Krankenkassen müssten Reserven auflösen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Auflösung von Reserven möglicherweise in einem Jahr zu weniger Prämienwachstum führt, dafür steigen die Prämien dann in den Folgejahren umso stärker an.
Sie sind seit fünf Jahren Präsident von Santésuisse, wurden eben wiedergewählt. Wie lange werden Sie noch an der Spitze des Verbandes bleiben?
Das hängt natürlich zunächst vom Verband und seinen Mitgliedern ab. Aber dann gibt es noch das eine oder andere Projekt, das ich gerne weiter vorantreiben möchte.
Zum Beispiel?
Zum einen geht es um die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Da gibt es noch viel zu tun. Zudem sind gerade zwei Sparpakete im parlamentarischen Prozess. Je mehr davon umgesetzt wird, desto mehr wirkt sich das dämpfend auf die künftige Prämienentwicklung aus. Die Prämien können nicht mehr beliebig weiter steigen. In allen Bereichen zusammen gibt es auf die nächsten zehn Jahre gesehen Wünsche in der Grössenordnung von weit über zehn Milliarden Franken. Das muss man genau anschauen. Der Kampf gegen das Prämienwachstum bleibt mein oberstes Ziel.
Vor Corona gab es eine intensive Diskussion über den Abbau von Spitalkapazitäten. Hat sich diese Diskussion nun erledigt?
Es gibt in der Schweiz durchaus noch erhebliches Sparpotenzial bei den Spitälern. Aber die Corona-Krise hat gezeigt, dass das heutige Spitalangebot noch verbessert werden kann. Dafür hat das Spitalpersonal einen Superjob gemacht hat. Im intensivmedizinischen Bereich ist das Angebot zu klein, bei den klassischen Spitälern dagegen zu gross.
Blick hat nachgeschaut: Das ändert sich bei den Spitälern
Das heisst, es braucht mehr Intensivbetten auf Vorrat?
Der Spitalbereich muss dynamischer werden und in der Lage sein, sich schneller auf die wechselnde Nachfrage einzustellen. Heute geht es darum, dass sowohl Personal als auch Geräte flexibler eingesetzt werden können.
Sie wurden 2019 als Nationalrat abgewählt. Haben Sie dadurch als Präsident von Santésuisse an Einfluss verloren?
Es hat vielleicht den Nachteil, dass man den direkten Zugang zu einzelnen politischen Akteuren im Alltag nicht mehr automatisch hat. Aber es hat auch den Vorteil, dass man nicht mehr immer unter dem Generalverdacht der Lobbyistentätigkeit steht. Der direkte Einfluss eines einzelnen Parlamentariers auf den Geschäftsverlauf wird grundsätzlich überschätzt.
Aber gerade die Gesundheitsbranche hat doch viele Parlamentarier unter ihren Fittichen.
Stimmt. Aber die Leistungserbringer wie Ärzte, Spitäler oder Spitex sind im Parlament deutlich besser vertreten als die Krankenkassen. Weniger als zehn Parlamentarier haben heute einen Bezug zu den Kassen. Die Vertretung der Prämienzahler ist stark unter Druck, befindet sich in der Defensive. Wir versuchen die enorme Entwicklung im Angebotsbereich zu dämpfen.
Wie konkret?
Eine wichtige Vorlage ist das sogenannte Referenzpreissystem für Generika. Also für Medikamente, deren Patentschutz abgelaufen ist. Es geht um ein Sparpotenzial von 400 Millionen Franken – das ist ein beträchtlicher Betrag! Hier können die Parlamentarier zeigen, ob es ihnen wirklich ernst ist mit sparen.
Bei Medikamentenkosten von insgesamt sieben Milliarden Franken – wie soll das den Prämienanstieg dämpfen?
Das würde die Kosten um ein bis eineinhalb Prozent senken. In der Schweiz liegt der Marktanteil von Generika erst bei rund gut 20 Prozent. In anderen Ländern ist dieser viel höher, liegt teilweise gar über 80 Prozent. Beispielsweise in Deutschland.
Wäre es da nicht effizienter, die Marktdurchdringung anzuheben, anstatt um den Preis zu feilschen?
Mit dem Referenzpreissystem würde eben beides passieren. Die Apotheken und Ärzte wären angehalten, das günstigste Generikum zu verschreiben – sofern dieses keine Nachteile mit sich bringt. Ich bin klar der Meinung, dass der Generika-Markt in der Schweiz viel zu klein ist und das damit verbundene Sparpotenzial zu wenig genutzt wird.
Während der Corona-Krise war das Stichwort Versorgungssicherheit ein grosses Thema. Das Referenzpreissystem würde diese gefährden, sagen die Gegner.
Mit Bezug auf Generika hat dieses Argument nachweislich keine Bedeutung. Wir haben höhere Preise als andere Länder – und sind zu Beginn der Krise Gefahr gelaufen, punktuell Engpässe ertragen zu müssen.
Heimatberechtigt ist Heinz Brand (64) im Kanton Bern. Doch seine Karriere hat er vor allem in Graubünden verfolgt, zuerst vor allem im Prättigau, in seiner Wohngemeinde Klosters-Serneus. Inhaltlich widmete er sich zunächst der Migrationspolitik, von 2011 bis 2019 sass Brand für die SVP Graubünden im Nationalrat. Seit 2015 steht der Jurist an der Spitze von Santésuisse. Er ist verheiratet und hat ein Kind.
Heimatberechtigt ist Heinz Brand (64) im Kanton Bern. Doch seine Karriere hat er vor allem in Graubünden verfolgt, zuerst vor allem im Prättigau, in seiner Wohngemeinde Klosters-Serneus. Inhaltlich widmete er sich zunächst der Migrationspolitik, von 2011 bis 2019 sass Brand für die SVP Graubünden im Nationalrat. Seit 2015 steht der Jurist an der Spitze von Santésuisse. Er ist verheiratet und hat ein Kind.