Roche-Präsident Christoph Franz über Daten, Tests und Spritzen
«Unser Auto checken wir jährlich, unsere Gesundheit nicht»

Roche-Präsident Christoph Franz erwartet von der digitalen Medizin nicht nur bessere Therapien. Sie ermögliche auch, die Epidemie chronischer Krankheiten zu bremsen. Dazu brauche es aber wie bei der Corona-Impfung mehr Eigenverantwortung und Solidarität, sagt er BLICK.
Publiziert: 13.02.2021 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2021 um 11:31 Uhr
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Roche-Verwaltungsratspräsident Christoph Franz erwartet von der digitalen Medizin, dass sie hilft, Krankheiten früher zu erkennen.
Foto: STEFAN BOHRER
Interview: Claudia Gnehm und Christian Dorer

Die Begeisterung für digitale Lösungen im Gesundheitswesen ist Roche-Verwaltungsratspräsident Christoph Franz (60) sichtbar anzusehen. In Zukunft sei Datenspenden das neue Blutspenden. Im BLICK-Interview erklärt er, wieso Daten zur Verfügung stellen, ein Dienst an der Gesellschaft sei. Wenn er über sein Buch «Die digitale Pille» diskutiert, betont er stets, wie wichtig der Datenschutz ist, aber auch, dass es einen neuen Gemeinschaftssinn brauche. Und natürlich wäre Solidarität besser als ein Impfobligatorium.

BLICK: Herr Franz, wie kann die Digitalisierung unsere Gesundheit verbessern?
Christoph Franz: Sie macht vieles einfacher, schneller, effizienter. Diagnosen oder Therapieempfehlungen übers Smartphone eröffnen neue Perspektiven. Die Digitalisierung hilft, mehr Menschen zu erreichen, etwa solche, die in Entwicklungsländern noch keinen Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung haben. Wo Ärzte fehlen, können Röntgenaufnahmen auf einem anderen Kontinent analysiert werden.

Welche Aufgaben der Ärzte lassen sich digital auslagern?
Die neuen Technologien sollen die Ärzte nicht ersetzen, sondern unterstützen. Das medizinische Wissen verdoppelt sich derzeit alle paar Monate. Ärzte können gar nicht mehr stets auf dem neusten Stand sein. Digitale Lösungen stellen sicher, dass der Patient von der besten aktuellen Behandlung profitiert.

Sie schreiben in Ihrem Buch, es wäre eigentlich ganz einfach: ausgewogen essen, sich mehr bewegen, nicht rauchen, wenig Alkohol – und die Menschheit wäre gesünder. Das wissen wir doch längst!
Richtig, doch auch hier kann die Digitalisierung helfen: Wenn ich eine Krankheit früher erkenne, bin ich früher in der Lage, Gegensteuer zu geben. Gerade chronische Krankheiten wie etwa Diabetes entwickeln sich nicht von heute auf morgen. Sie führen über Jahre dazu, dass bestimmte körperliche Funktionen sich stetig verschlechtern. Mit einer Früherkennung kommt es idealerweise gar nicht so weit, dass man Medikamente braucht.

Es erstaunt, dass Sie als Präsident eines Pharmakonzerns so viel Wert auf Prävention legen. Schliesslich ist der Verkauf von Medikamenten Ihr Geschäft.
Ich versichere Ihnen: Bei Roche würde jeder Mitarbeiter unterschreiben, dass es uns darum geht, dass Krankheiten früh erkannt und möglichst schnell geheilt werden. Leider wissen wir bei vielen Krankheiten noch nicht, wann und in welcher Form sie entstehen. Aber wir wissen: Je früher man sie diagnostiziert und dann ein Medikament gibt, desto grösser sind die Chancen, dass es wirkt.

Sie plädieren für einen jährlichen Service wie beim Auto. Wird es so weit kommen, dass auch wir Menschen uns alle einmal im Jahr an ein Diagnosegerät anschliessen?
Tatsächlich wollen Menschen ihre eigene Gesundheit vermehrt durch Messgrössen bestätigt haben und verfolgen. Mit mehr Indikatoren können wir Abweichungen früher erkennen. Mit dem Auto gehen wir jährlich zum Service, aber unsere Gesundheit checken wir nicht!

Sind Sie für ein Check-Obligatorium?
Für ein Obligatorium bin ich nicht. Ich kann so einen Check-up aber sehr empfehlen. Ich selber mache alle ein bis zwei Jahren einen Grundcheck, seit ich 30 bin.

Nur drei Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben fliessen in die Prävention. Was wäre zu tun?
Relativ günstige digitale Lösungen könnten viel bewirken. Roche hat zum Beispiel eine App entwickelt für Patienten, die Multiple Sklerose haben oder bei denen die Krankheit vermutet wird. Der Patient macht täglich eine Übung am Smartphone, welche die Veränderung bei der Bewegungsfähigkeit erhebt. Damit kann die Therapie viel besser angepasst werden als mit zweiwöchentlichen Check-up-Terminen. Die Krankheit kann auch viel früher erkannt und sogar abgebremst werden, bevor sie voll ausbricht.

Sie wollen Gesundheit zum Schulfach machen. Aber gerade junge Menschen sind doch an diesem Thema noch gar nicht interessiert.
Trotzdem wäre es wichtig. Denn Menschen, die sich mit der eigenen Gesundheit auseinandersetzen, sind nachweislich gesünder. Es macht aber auch Sinn, weil bereits manche Schüler an Übergewicht leiden. Im Übrigen glaube ich, dass viele junge Menschen durchaus gesundheitsbewusst sind.

Sie schreiben: «Datenspenden ist das neue Blutspenden». Wieso soll es ein Dienst an der Gesellschaft sein, wenn ich meine Daten zur Verfügung stelle?
Weil wir aus Daten Phänomene ablesen können, die wir sonst nur anekdotisch von einzelnen Patienten erfahren. Darin liegt ein enorm grosser Nutzen für die medizinische Forschung und die Behandlung der Patienten. Gleichzeitig ist Datenschutz enorm wichtig, weil es hier um eine höchstpersönliche Sache geht. Das lässt sich aber mit heutiger Technik lösen. Wir sind nur an anonymisierten Daten interessiert.

Wie wichtig ist das elektronische Patientendossier?
Sehr wichtig, denn es ermöglicht jedem Arzt einen viel schnelleren und umfassenden Zugang zur Krankheitsgeschichte. Wenn ich mit einem Berg von Blutbild-Analysen und Röntgenaufnahmen unterschiedlicher Spezialisten zum Arzt gehe, hat er es schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. Die derzeitige Pandemie zeigt: Wenn wir Daten schneller erfassen, finden wir schneller heraus, was wirkt und was nicht.

Die Pandemie zeigt aber auch: Die Schweiz ist in der Digitalisierung noch nirgends!
Die allermeisten Länder nutzen die Chancen der Digitalisierung heute noch viel zu wenig. Dabei können wir doch nicht einerseits eine Diskussion über Kosten im Gesundheitswesen führen, anderseits auf derart erhebliche Effizienz- und Qualitätsverbesserungen verzichten.

Wieso wollen Sie es nicht jedem Einzelnen überlassen, ob er seiner Gesundheit Sorge trägt, gesund lebt, Daten zur Verfügung stellen will?
Weil wir gleichzeitig enorme Solidarität einfordern! Solidarität ist die Basis der Krankenversicherungen: Der Gesunde bezahlt den gleichen Beitrag wie jemand, der wegen seines ungesunden Lebensstils eine Krankheit entwickelt. Die Solidarität aber sollte in beide Richtungen gehen. Eine App oder ein Tracker kann beispielsweise dazu motivieren, gesund zu leben, nicht zu rauchen, sich regelmässig zu bewegen.

Soll eine höhere Prämie zahlen, wer ungesund lebt?
Krankenkassen erproben solche Ansätze bereits. Wichtig finde ich, dass dabei die Grenzen klar gesteckt sind. Denn es gibt auch vieles, was der Einzelne nicht beeinflussen kann. Es wäre falsch, wenn Menschen eine günstigere Prämie erhalten, die aufgrund ihrer Gene eine bestimmte Krankheit mit tieferer Wahrscheinlichkeit bekommen. Das würde den Solidaritätsgedanken untergraben.

Ob jemand raucht, kann jeder zu 100 Prozent selber beeinflussen.
Die Statistik zeigt beim Rauchen klare Zusammenhänge zu Krankheiten und Gesundheitskosten. Aber: Damit kann man nicht den Einzelfall beurteilen. Wir sollten deswegen nicht bestrafen, sondern Anreize setzen. Es geht vielmehr um einen neuen Gemeinschaftssinn: Es geht nicht, dass jeder in grösstmöglicher Freiheit entscheidet, aber die Folgekosten sollen dann alle tragen.

Sie haben sich kürzlich in der «Handelszeitung» für einen Corona-Impfzwang ausgesprochen. Halten Sie Impfen ebenfalls für eine Form von Solidarität?
Ja, denn eine Impfung ist nicht nur ein Schutz für sich selber – worüber jeder selber entscheiden soll. Die Impfung ist auch ein Schutz für andere Menschen und damit ein Zeichen der Rücksichtnahme. Am besten ist es natürlich, wenn dieser Akt der Solidarität freiwillig erfolgt. Ich freue mich über das grosse Interesse an den Covid-19-Impfungen.

Sie haben bestimmt viele böse Reaktionen erhalten.
Unterschiedlich. Manche fanden es gut. Jemand hat es mit der Einführung der Gurtenpflicht verglichen: Diese wurde damals auch als persönliche Freiheitsberaubung empfunden, heute ist sie selbstverständlich. Andere haben kritisch reagiert, weil sie ihren Körper als etwas höchst Persönliches empfinden. Ich verstehe beide Positionen. Wichtig ist die Debatte, und dazu hat meine Aussage wohl beigetragen.

Werden bis Juni tatsächlich alle geimpft sein, die wollen?
Das hoffe ich, weiss darüber aber nicht mehr als Sie auch. Ich stehe auch keinem Impfstoffhersteller vor. Was man bei der Diskussion nicht vergessen sollte: Es ist eine Sensation, dass die medizinische Forschung nach weniger als einem Jahr gut funktionierende Impfstoffe entwickelt hat! Das dauert normalerweise mehrere Jahre. Ich habe grosse Bewunderung dafür.

Roche produziert Corona-Tests. Können Sie die Nachfrage inzwischen abdecken?
Wir haben in einem riesigen Kraftakt und mit einer hohen dreistelligen Millioneninvestition die Kapazitäten vermehrfacht. Gerade in diesen Wochen nehmen wir weitere Produktionslinien in Betrieb. Und trotzdem ist die Nachfrage noch immer höher als das, was alle Hersteller weltweit liefern können. Immerhin stehen die Antigen-Schnelltests nun in derart hoher Zahl zur Verfügung, dass die Länder ihre Tests auf symptomfreie Personen ausdehnen können. Damit haben wir immer bessere Möglichkeiten, die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren.

Wann kehrt die Normalität zurück?
Ich hoffe, dass wir in der zweiten Jahreshälfte nach und nach zu einem normalen Leben zurückkehren können.


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