Risiken und Anlagen richtig einschätzen
Das solltest du beim Investieren unbedingt beachten

Kein Gewinn ohne Risiko: Und Risiken sind mit Leiden verbunden – aber wie sehr? So setzen Sie den Schmerz ins Verhältnis zu den Chancen einer Geldanlage.
Publiziert: 20.08.2023 um 20:02 Uhr
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Aktualisiert: 21.08.2023 um 17:49 Uhr
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Wer ohne Erfahrung investiert, kann eine böse Überraschung erleben.
Foto: imago/UPI Photo
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Patrick Herger
Handelszeitung

Wie fest tut es weh? Das fragten die Versuchsleiter die Probanden immer wieder. Dabei war ein Hitzestrahl auf die Stirn der Probanden gerichtet, der immer heisser wurde. So wollten die Versuchsleiter im Jahr 1947 eine Masseinheit für das Schmerzempfinden entwickeln. Die Masseinheit hätte Dol heissen sollen – abgeleitet aus dem lateinischen Wort für Schmerzen, «dolor».

Die brachiale Methode mit dem Hitzestrahl hätte man durch Geldverluste an den Börsen ersetzen können. Dann wüssten wir jetzt vielleicht, wie viel Dol es sind, wenn man die Hälfte seines Börsenvermögens verliert. Aber Dol hat sich nie durchgesetzt und es gibt bessere Masseinheiten für die Einschätzung von Geldanlagen für Privatanlegerinnen und Privatanleger.

Wie viel kann ich verlieren, wenn die Börsenkurse gegen mich laufen? Wie gut werde ich dafür entschädigt, wenn ich mehr Risiken eingehe? Das sind Fragen, die sich jede Investorin und jeder Investor stellen sollte. Aber viele Privatanlegende wissen nicht, wie sie das Risiko von einzelnen Geldanlagen optimal einschätzen können.

Der Drawdown als Risikomass

Das liegt nicht daran, dass dafür keine Tools zur Verfügung stünden. Profianleger verwenden etwa die Volatilität und die Sharpe-Ratio. Allerdings haben diese zwei Kennzahlen und die meisten anderen Profi-Werkzeuge einen gewichtigen Nachteil: Sie messen nicht die Risiken, die für Privatanlegerinnen und -anleger relevant sind. Darum hier zwei einfache Kennzahlen, die helfen, das Risiko von Geldanlagen für Privatanlegende zu bewerten: Die eine wird «Drawdown» genannt und die andere «Mar-Ratio».

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.

Der Drawdown misst die möglichen Schmerzen, die mit einer Geldanlage verbunden sein können. Dafür zieht er den prozentualen Rückgang von einem erreichten Kurshoch zum nachfolgenden Kurstief heran. Ein Beispiel macht die Sache klarer: Angenommen, eine Aktie erreicht einen Jahreshöchststand von 200 Franken, aber sackt dann auf 150 Franken ab, bevor sie bis zum Jahresende wieder steigt. Dann beträgt der Drawdown in diesem Jahr 25 Prozent (200 Franken minus 25 Prozent = 150 Franken).

So wird gerechnet

Von besonderem Interesse ist der höchste Drawdown, der bei einer Geldanlage je gemessen wurde. Dieser misst, wie hoch der maximal mögliche Verlust eines Investors mit einer bestimmten Geldanlage innerhalb der gewählten Rückschauperiode hätte sein können. Der maximale Drawdown einer Periode gibt Anlegerinnen und Anlegern also eine Vorstellung davon, wie viel Schmerz sie hätten ertragen müssen, wenn sie zum ungünstigsten Zeitpunkt investiert und dann zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt verkauft hätten.

Mit dem Drawdown lässt sich also die Gefahrenseite einer Geldanlage einschätzen. Jetzt noch ein Mass für die Chancenseite. Hier kommt die Mar-Ratio ins Spiel, eine Kennzahl, die nach einem Börsen-Newsletter aus den 1970er-Jahren benannt ist.

Die Mar-Ratio misst die risikoadjustierte Rendite einer Investition. Dafür wird die durchschnittliche jährliche Rendite einer Geldanlage durch den maximalen Drawdown dividiert. Je höher diese Zahl, desto besser die risikoadjustierten Renditen.

Auch hier macht ein Beispiel die Sache klarer: Angenommen, ein Aktienindex rentiert im Durchschnitt mit 10 Prozent pro Jahr. Der maximal je erlittene Drawdown beträgt 20 Prozent. Dann liegt die Mar-Ratio bei 0,5 (10 Prozent durch 20 Prozent).

Zur Einordnung: Diese 0,5 wären bereits ein ausgezeichneter Wert. Denn selbst wenn man den maximalen Verlust erlitten hätte, würde es bei einer Anlage mit einer Mar-Ratio von 0,5 nur etwas mehr als zwei Jahre dauern, bis man den Verlust wieder aufgeholt hat.

Die Wahl der Rückschauperiode

So weit so gut. Nun gibt es noch die Schwierigkeit, einen optimalen Zeitraum für die relevante Rückschauperiode zu wählen, um die durchschnittliche Rendite und den maximalen Drawdown zu berechnen.

Es ist nicht eindeutig, wie weit ein Investor sinnvollerweise zurückschauen soll, um den maximalen Drawdown zu ermitteln. So erzielte der S&P 500 in den letzten 100 Jahren inklusive Dividenden eine durchschnittliche Jahresrendite von 10 Prozent. Während der globalen Finanzkrise betrug der Drawdown etwa 55 Prozent, was zu einer Mar-Ratio von 0,18 führt. In der Weltwirtschaftskrise Ende der Zwanzigerjahre betrug der Drawdown jedoch 90 Prozent, womit die Mar-Ratio nur noch rund 0,11 beträgt. Sollen die Investoren für den Drawdown und die Mar-Ratio tatsächlich bis zur Weltwirtschaftskrise zurückgehen?

Für verschiedene Investoren wird die Antwort wohl unterschiedlich ausfallen. Eine pragmatische Sichtweise für langfristig orientierte Privatanleger könnte jedoch lauten, etwa 25 Jahre zurückzugehen. Denn dann umfasst die Rückschauperiode sowohl das Platzen der Dotcom-Blase als auch die globale Finanzkrise sowie den Corona-Crash. Damit dürfte man eine angemessene Repräsentation der möglichen Risiken erhalten.

Warren Buffetts Kritik

Warum sollten Privatanleger nicht auf die bei Profi-Börsianern beliebten Risikokennzahlen setzen, allen voran die Volatilität? Ganz einfach, sagt Starinvestor Warren Buffett in seinem Brief an die Aktionäre für das Geschäftsjahr 2014: Die auf der Volatilität beruhenden Kennzahlen messen nicht das langfristige Verlustrisiko von Privatanlegern.

Die Volatilität misst, wie stark eine Investition in einem bestimmten Zeitraum schwankt. Für einen kurzfristig orientierten Trader ist das ein nützliches Risikomass. Denn eine hohe Marktvolatilität bedeutet für ihn die Chance auf grössere Gewinne. Gleichzeitig steigt das Risiko grösserer Verluste. Spekulative Händler nutzen die Volatilität als Hauptmotor für ihre Gewinne.

Aber für langfristig orientierte Anleger ist nicht die Schwankungsbreite das Risiko, sondern ein dauerhafter Kapitalverlust. Dieses Risiko bildet die Volatilität nicht ab. Und schlimmer noch, die Volatilität behandelt positive und negative Schwankungen gleich. Positive Schwankungen, also Bewegungen nach oben, empfinden Privatanleger jedoch kaum je als Risiko. Denn Kurssteigerungen sind das Ziel, nicht ein Risiko.

Keine Daten sind perfekt

Die von den Profis herangezogenen Kennzahlen können die meisten Privatanlegenden ausserdem nicht selbst berechnen. Sie müssen sich diese Kennzahlen von Dritten holen. Und weil sich die Berechnungsgrundlagen unterscheiden können, lassen sich die Kennzahlen verschiedener Anbieter oft nicht vergleichen – obwohl sie dem Namen nach gleich sind. Das gilt auch für die Sharpe-Ratio.

Der Drawdown und die Mar-Ratio vermeiden diese Probleme; sie lassen sich einfach berechnen und fokussieren nur auf das Abwärtsrisiko. Beide Kennzahlen widerspiegeln zudem die psychologische Wirkung von Verlusten auf Anleger.

Natürlich sind auch der Drawdown und die Mar-Ratio nicht perfekt. Beispielsweise sind beide Kennzahlen vergangenheitsbezogen und werden von der Wahl der Rückschauperiode beeinflusst. Aber sie geben eine anschauliche Vorstellung davon, mit welchem Risiko eine Rendite erkauft wird. Und sie sind so einfach, dass ihre Anwendung schnell erlernt und zu einer Gewohnheit werden kann. Dank diesen Vorteilen können sie Anlegerinnen und Anlegern dazu dienen, fundierte Entscheidungen zu treffen – was ihnen hoffentlich einige Dol an Schmerzen erspart.

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